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Gremien von ARD und ZDF
Die unsichtbaren Stellvertreter

Die Gremien von ARD und ZDF sollen überwachen, dass das öffentlich-rechtliche Qualitätsversprechen eingelöst wird. Die Vertreter in den Gremien kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten und vertreten bei den Rundfunkanstalten diejenigen, für die das Programm gemacht wird, nämlich die Bürger.

Von Brigitte Baetz | 03.05.2014
    Ruth Hieronymi, Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats, aufgenommen am 29.05.2013 bei der Pressekonferenz zur Wahl des neuen WDR-Intendanten in Köln.
    Ruth Hieronymi, Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats, gilt im Gremium als engagierte Vertreterin der Allgemeinheit. (dpa / Horst Galuschka)
    "Die Öffentlichkeit weiß eigentlich gar nicht, was die Gremien machen. Die Meisten wissen nicht, welche Leute da drin sind, sie wissen nicht, woher sie kommen, und sie wissen nicht, was sie da tun. Sie sind aber Teil der Sender, die von öffentlichen Geldern finanziert werden. Deswegen hat die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf zu wissen, was hier diskutiert wird", meint Fritz Wolf, der im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung eine ganze Studie über das Selbstverständnis der Rundfunkräte von ARD und ZDF verfasst hat, und das meinen auch wir hier bei Markt und Medien und wollen uns deshalb heute in einer ganzen Sendung mit denjenigen beschäftigen, die stellvertretend für alle Bürger den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrollieren sollen.

    Zugegeben: schon das Wort "Gremien" allein macht nicht unbedingt Lust auf mehr, klingt nach Aktengeraschel und Amtsbürokratie. Noch heute hängt den Männern und Frauen aus den Rundfunkräten die Kritik nach, die Günther Jauch in einem Interview mit dem Spiegel Anfang 2007 formuliert hat. Seine ersten Verhandlungen über eine eigene ARD-Talkshow hatte er damals abgebrochen - und gab die Schuld den "Gremien-Gremlins": "Ich hatte am Ende das Gefühl, dass man mich an möglichst kurzer Leine um die Anstalt rennen lassen wollte. Jeder drittklassige Bedenkenträger schlug ein anderes Pflöckchen in den Boden. Jeder hatte eine Meinung - im Zweifel eine unfreundliche. Mir war natürlich klar, dass die Rundfunkräte als Kontrollorgan ein scharfes Auge auf meinen Vertrag haben würden. Aber dass monatelang jede Woche Gremien voller Gremlins der Verführung nachgeben würden, mit meinem Namen auch mal den eigenen in der Zeitung zu lesen - das war schon anstrengend."
    Manchmal aber gibt es ja ein Happy End. Seit 2011 talkt Günther Jauch nun doch in der ARD - aber der erhoffte Quoten- und Qualitätserfolg ist die Sendung nicht. Vielleicht waren also die ursprünglichen Bedenken gegen einen möglicherweise zu teuren Star vom Privatfernsehen gar nicht so falsch gewesen? In einem internen Papier kam der Programmbeirat der ARD, der mit Gremienvertretern der einzelnen Anstalten besetzt ist, zu dem Schluss, das Format "Günther Jauch" sei eher eine Show als ein politischer Talk - eine beunruhigende Entwicklung für ein öffentlich-rechtliches Format.
    Gremien diskutieren teure Sportrechte
    Auch teure Sportrechte, unter anderem das bei den Zuschauern beliebte Boxen, werden von einigen Aufsichtsgremien der ARD kritisiert. Zu brutal und vor allem unseriös sei der Profisport, der besonders im Osten Deutschlands für hohe Einschaltquoten sorgt: "Boxen im Ersten ist eine Erfolgsgeschichte. Seit zehn Jahren überträgt die ARD spannende Boxkämpfe mit herausragenden Gegnern und hervorragenden Athleten. Über 500 Millionen Zuschauer in dieser Zeit. Also ein Grund einmal zu gratulieren", hieß es noch 2010. Guildo Horn: "Happy Birthday, dem Boxen im Ersten, to you."
    Während 2010 noch gefeiert wurde, hat sich die ARD nun entschieden, ihren zum Jahresende auslaufenden Vertrag mit dem Boxstall Sauerland nicht zu verlängern. Eine Entscheidung, die vor allem dem umtriebigen WDR-Rundfunkrat und seiner Vorsitzenden Ruth Hieronymi zugeschrieben wird. Das Ziel beim Profiboxen, den Gegner bis zur Wettkampfunfähigkeit zu schlagen, sei mit den Anforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zu vereinbaren, hatte sie argumentiert und betont: die Quote könne nicht das entscheidende Kriterium sein.
    Nur wenige Zuschauer bei öffentlicher Rundfunkratssitzung
    Anfang April in Köln: die Rundfunkräte des WDR betreten die Kantine der Anstalt. Nicht um zu essen, sondern um in öffentlicher Sitzung zu tagen. Schon zuvor haben sie hinter geschlossenen Türen mit der Leitung des Hauses zusammen gesessen, um beispielsweise über Verträge zu reden, in denen ja auch die Interessen Dritter tangiert werden.
    Nur wenige Zuschauer sitzen in dem grauen Saal mit dem Charme der Nachkriegsjahre. Die meisten stellen sich auf Nachfrage als WDR-Mitarbeiter heraus. Auch ein Fernsehteam des Senders ist da, es wird in den Abendnachrichten des Dritten Programms die Bürger in Nordrhein-Westfalen darüber unterrichten, dass der Intendant Tom Burow heute dem Rundfunkrat Rede und Antwort gestanden hat. "Also, jetzt geht's los. Lieber Herr Intendant, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Gäste, ich begrüße Sie herzlich zur öffentlichen Sitzung", sagt Hieronymi. Heute unter anderem auf der Tagesordnung: Berichte der Vorsitzenden, des Intendanten und des Integrationsbeauftragten.
    Gremien vertreten die Allgemeinheit
    "Oft wird ja auch gesagt: wer kontrolliert die eigentlich?" Ruth Hieronymi, 66 Jahre alt, CDU-Politikerin, zehn Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlamentes, seit 2009 Vorsitzende des Rundfunkrats des WDR. "Und insofern ist ganz wichtig, dass die Bevölkerung weiß, das sind im Prinzip Leute wie wir - breit aus den gesellschaftlichen Verbänden und Gruppen, die uns, die Bürgerinnen und Bürger, in der Aufsicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertreten. Wir vertreten ja nur die Allgemeinheit. Es können nicht ein paar Millionen dasitzen."
    Die Aufsichtgremien der Sender teilen sich auf in Rundfunk- und Verwaltungsräte. Grob gesagt, wählen die Rundfunkräte den Intendanten und andere Leitungspersonen der Anstalten, kontrollieren und beraten sie bei der Programmgestaltung. Die Verwaltungsräte, die meist aus den Rundfunkräten gewählt werden, prüfen die Finanzen. Festgelegt ist das in den jeweiligen Rundfunkgesetzen der Länder, bzw. im ZDF-Staatsvertrag. Dort wird auch festgelegt, welche Organisationen Vertreter in die Rundfunkräte schicken dürfen. Den Rundfunkräten kommt also eine entscheidende Bedeutung zu. 49 Mitglieder zählt der Rundfunkrat des WDR. 15 von ihnen werden vom Landtag Nordrhein-Westfalen bestellt. Die beiden großen christlichen Konfessionen und die Landesverbände der Jüdischen Gemeinden schicken jeweils einen Vertreter. Weitere Entsender: der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Beamtenbund, die Arbeitgeberverbände, der Nordrhein-Westfälische Handwerkstag, die Landwirtschaftsverbände, der Landessportbund, die Verbraucherzentrale, der Landesjugendring, der Landesmusikrat um nur Einige zu nennen.
    Unter ihnen ist auch Dagmar Gaßdorf. Die studierte Literaturwissenschaftlerin besitzt eine Kommunikationsagentur und ist Vizepräsidentin der IHK Essen. Sie betont den Grundsatz, der auch gesetzlich verankert ist: Rundfunkräte sollen Sprachrohr der Allgemeinheit sein, auch wenn sie von Gruppen entsandt werden, die natürlich immer auch Partikularinteressen vertreten: "Wir sind keine Lobbyisten. Ich bin zwar entsandt von den nordrhein-westfälischen Industrie- und Handelskammern, aber ich bin jetzt keinesfalls Lobbyistin der IHK-Organisationen. Natürlich: jeder hat seine Prägungen und ich erlaube mir dann in der Diskussion um den neuen Rundfunkbeitrag zu fragen, ob es denn fair sei, in welchem Umfang die Unternehmen und insbesondere die Filialisten und die mit den vielen Firmenwagen belastet werden. Das ist vollkommen klar. Aber das liegt nicht daran, dass ich Lobbyistin bin, sondern weil ich diesen Erfahrungshintergrund habe."
    Ein Rundfunkmodell frei von staatlichen Einflüssen
    Die Mitwirkung von sogenannten gesellschaftlich-relevanten Gruppen bei der Aufsicht über ARD und ZDF geht noch auf die Nachkriegszeit zurück. Damals wollten die britischen und amerikanischen Militärregierungen ein Rundfunkmodell etablieren, das frei von staatlichen Einflüssen sein sollte und unabhängig von den Zwängen des Marktes. Doch von Anfang an, so stellt der Medienjournalist Fritz Wolf fest, hatte die Politik ein begehrliches Auge auf die Rundfunkgremien geworfen: "Ich finde das sehr wichtig, dass man sich daran erinnert, dass diese Gremien einmal entstanden sind als eine Reaktion auf staatlich gelenkten Journalismus, als den Versuch, ein Rundfunksystem zu etablieren, das dem staatlichen Einfluss ganz klar entzogen ist und daher diese Konstruktion gefunden hat. Wie sich sehr schnell herausgestellt hat, hat die Politik sehr schnell begriffen, welche Chancen in diesen Gremien sind. Es gibt eine kleine Episode: Als NDR und WDR noch beisammen waren, hatte Hugh Greene damals gefordert, vier Wissenschaftler sollten die Universitäten repräsentieren. Da gab es eine ziemliche Diskussion hin oder her. Ergebnis: Erstens, die Anzahl der Gremienmitglieder wurde erhöht, zweitens, anstelle der Wissenschaftler wurden Vertreter der Wissenschaftspolitik nominiert und ein paar Monate später saßen vier Wissenschaftsminister im Gremium."
    Schon fast gehören sie zur bundesdeutschen Nachkriegsfolklore: die Anrufe und Beschwerden von Politikern bei den Senderverantwortlichen, egal ob sich die Politiker in den Aufsichtsgremien befinden oder nicht. Wolf: "Zu manchen Zeiten war das sehr direkt. Zum Beispiel habe ich gehört vom damaligen SFB, dass durchaus der Innenminister in die Gremiensitzung gekommen ist und den Rundfunkratsvorsitzenden mal kurz zu sich zitiert hat und ihm gesagt hat, wo es lang geht. Alle Gremienmitglieder haben gelacht, aber das muss sehr direkt gewesen sein."
    Einflussnahme seitens der Politik
    Einen Höhepunkt fand die Einflussnahme der Politik auf die Sender über die Gremien in der sogenannten Causa Brender: 2009 nutzte der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch, Mitglied der CDU, seinen Einfluss im ZDF-Verwaltungsrat, um zu verhindern, dass der Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender verlängert werden konnte. Obwohl Intendant Markus Schächter dies beantragt hatte. Koch setzte sich zwar durch, doch der ZDF-Staatsvertrag kam in der Folge beim Bundesverfassungsgericht auf den Prüfstand. Das höchste deutsche Gericht urteilte: "Staat und Parteien sind wesentlicher Bestandteil des politischen Gemeinwesens mit eigenen Erfahrungen und Ansichten. Ihre Angehörigen können deshalb in begrenzter Anzahl auch in den Aufsichtsgremien vertreten sein. Verfassungsrechtlich gefordert ist keine völlige Staatsfreiheit, sondern allein eine numerisch konsequent begrenzte Staatsferne. Dieses Gebot der Staatsferne verlangt, dass in den Gremien und ihren Ausschüssen jedem staatlichen oder staatsnahen Mitglied zumindest zwei staatsferne Mitglieder gegenüber stehen, das heißt ihr Anteil ist auf ein Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl zu begrenzen."
    Manchem Juristen und manchen Medienbeobachtern, die die Politik am Liebsten ganz aus den Rundfunk- und Verwaltungsräten entfernen würden, geht das immer noch nicht weit genug. Doch viele Aufsichtsgremien der ARD sind längst relativ staatsfrei, so hat der WDR keine Regierungsangehörigen mehr im Rundfunkrat. Und die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben für den SWR schon vor dem ZDF-Urteil ähnlich entschieden: "Die Landesregierungen werden keine Mitglieder mehr in den Rundfunkrat entsenden und im Verwaltungsrat sind zusätzlich drei staatsferne Mitglieder vorgesehen", sagt Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württembergs.
    Programmfreiheit als hohes Gut
    Diemut Roether beobachtet als Teamleiterin Medien und Kultur beim Evangelischen Pressedienst seit Jahren die Aufsichtsgremien von ARD und ZDF: "Also ich glaube, dass sich da die Gesellschaft insgesamt etwas gewandelt hat. Ich glaube, dass die Gremienvertreter da auch etwas offener geworden sind und das es da nicht mehr so viele gibt, die da sitzen und zählen: wie viele Minuten ist jetzt meine Partei im Programm vertreten und wie viele Minuten die anderen. Es gibt diese Ausnahmen leider immer noch, aber ich glaube, dass viele Gremienvertreter kapiert haben, dass sie nicht als Parteipolitiker in den Gremien sitzen, sondern dass sie eben Vertreter der Gesellschaft sind und dass die Rundfunkgremien eben auch gemerkt haben, dass Programmfreiheit eine wichtige Sache ist und dass sie da mal mit ihren parteipolitischen Grundsätzen sich ein wenig zurückhalten sollten."
    Doch Politik ist ja nicht nur Parteipolitik. Vor allem in den großen Rundfunkgremien wie beispielsweise dem Fernsehrat des ZDF ist eine weltanschauliche "Vorsortierung2 üblich, wie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer auf der medienpolitischen Tagung der Otto-Brenner-Stiftung erzählte: "Ich gehe dort als Gewerkschaftsvorsitzender hin und vertrete die Interessen von abhängig Beschäftigten. Das gehört zu meinem Selbstverständnis. Und jetzt fängt schon das erste Problem an. Als ich zum ersten Mal in den ZDF-Fernsehrat kam - ich hatte es versäumt, am Vorabend an der Freundeskreis-Sitzung teilzunehmen - musste ich mich orientieren. Jetzt will ich nur mal den verehrten Zuhörerinnen und Zuhörern den Sitzungssaal schildern. Da ist eine lange Querbank und das ist so wie eine Fischgabel mit drei Bänken. Und wie von selbst versammelt sich an der ersten Bank sehr viel mehr, da ist der Freundeskreis, der hieß damals noch: Koch. Und da gibt es eine Mittelbank, da sitzt vorne der Verwaltungsrat, wenn er da ist. Dann ist eine Lücke und dann kommen hinten sozusagen die bekannteren ZDF-Gesichter und die sich dafür halten. Und dann gibt es ne dritte Reihe, da sitzen heute Linke, Grüne, SPDler. Wenn Sie Einfluss nehmen wollen in einem solchen Gremium, dann werden Sie sich einem Freundeskreis zuordnen. Die FDP hat das übrigens so gemacht: die hat immer zwei Vertreter drin. Bei uns saß der Herr Brüderle im linken Freundeskreis und der Herr Westerwelle im rechten Freundeskreis."
    Teilentmachtung der Politik
    Nach dem ZDF-Urteil steht im Mainzer Sender nun diese Praxis auf dem Prüfstand. Ausgerechnet die Politik - nämlich die Ministerpräsidenten und die Länderparlamente - muss ihre eigene Teilentmachtung per neuem Staatsvertrag in die Wege leiten. Doch stellt sich auch die Frage, und zwar nicht nur für die ZDF-Gremien: wer gehört eigentlich heute, im Jahr 2014, zu den in der Bundesrepublik gesellschaftlich relevanten Gruppen, denen ein Platz in den diversen Rundfunkräten zusteht? Auch hier hat Karlsruhe eine Veränderung angestoßen: "Der Gesetzgeber hat einer Dominanz von Mehrheitsperspektiven und einer Versteinerung der Zusammensetzung der Gremien entgegenzuwirken."
    Auch kleinere Gruppierungen, die über weniger Organisationsmacht oder Einfluss verfügen als große Verbände, müssen berücksichtigt werden, so urteilte das höchste deutsche Gericht weiter. Nur im SWR haben Muslime bislang einen Platz im Rundfunkrat. 2013 musste dafür ein Vertreter der evangelischen Freikirchen ausscheiden. Sollten die Muslime auch im ZDF künftig mitbestimmen dürfen, dürften auch weitere Bundesländer entscheiden, ihre Gesetzgebung dahingehend zu verändern. Doch nicht nur in die Zusammensetzung der Gremien kommt Bewegung, auch die Zuschauer und Hörer melden sich immer häufiger direkt zu Wort. So unterzeichneten vor zwei Jahren fast 19.000 Menschen einen offenen Brief der Initiative Radioretter, die sich gegen eine weitere Reform bei der Kulturradiowelle WDR 3 wandte: "Wenn das verflacht wird - wobei noch keiner weiß, in welche Richtung das gehen soll - dann ist das natürlich höchst bedenklich, weil es im Grunde keinen Sender mehr mit derartigen Formaten gibt. Es darf nicht so sein, dass man sich alleine oder vorzugsweise an Einschaltquoten orientiert. Das ist zu wenig, dafür haben wir andere, aber nicht die Öffentlich-Rechtlichen, das ist ja das letzte, was noch bleibt in dem Fall. Es ist ja nicht nur der Kultursender, es ist der gesamte Komplex eigentlich. Mit den Orchestern geht's weiter, da weiß ich auch: es wird gestrichen, gestrichen, gestrichen. Das ist sehr traurig, dass wir die Kultur, die über Jahrhunderte gewachsen ist, mit Füßen, sag ich mal... treten? Kann man so sagen, oder?", äußerte sich ein Radioretter.
    Rundfunkrat ist kein Programmmacher
    Doch trotz aller Proteste lehnte es der WDR-Rundfunkrat ab, ein Moratorium in der Frage "Reform von WDR 3" durchzusetzen. Eigentlich aber war er auch gar nicht zuständig, die Senderleitung hatte ihn gebeten, sich aufgrund der Unmutsbezeugungen der Frage anzunehmen. Das Gremium hat versprochen, die Programmentwicklung von WDR 3 genau zu beobachten, um einer möglichen Verflachung dadurch entgegenzuwirken. Der Rundfunkrat darf kein Programmmacher sein. Wenn es um finanzielle Entscheidungen in einer gewissen Höhe geht, wie beispielsweise in der Frage Sportrechte, kann er sein Veto einlegen. Doch in inhaltlichen Fragen kann er erst im Nachhinein Kritik anbringen. Ein Recht, das man nicht unterschätzen sollte. Sommer: "Was ich dann in dem Chefredaktionsausschuss mache, ist: ich vertrete dort nicht Rot-Grün oder Rot, aber ich vertrete in meinem Selbstverständnis die Interessen derer, die ich zu vertreten habe, beispielsweise die Frage, ob Arbeitnehmerinteressen überhaupt eine Relevanz haben dort oder nicht. Und ich erlaube mir ab und zu auch Frontal 21 zu verteidigen. Die werden nämlich systematisch seit mehreren Jahren mit Programmbeschwerden von der rechten Seite überzogen, um die mundtot zu machen. Und bislang haben wir es verhindert im Chefredaktionsausschuss, die mundtot zu machen. Wenn ich jetzt bei der ARD wäre, würde ich mal nachfragen, sagen sie mal, finden sie das eigentlich gerechtfertigt, zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht gerade einen Film über Rommel im Ersten Deutschen Fernsehen zu zeigen?"
    "Und so tickt natürlich jeder anders und das ist ja das Schöne daran an diesem Gremium, dass man auch aus der Perspektive der Anderen immer was dazulernt", sagt Dagmar Gaßdorf, Rundfunkrätin des WDR. " Also, ich sag ihnen mal ein Beispiel: Bei bestimmten Produktionen müssen wir ja unsere Zustimmung geben, wenn ein bestimmtes finanzielles Niveau überschritten wird. Und dann kommen solche Sachen wie die so genannten Telenovelas - Rote Rosen und Sturm der Liebe - und ich guck mir diese Beispiele auf DVD an und denke: um Himmels willen, da soll ich jetzt zustimmen. Und dann spreche ich aber mit Leuten, die aus dem sozialen Bereich kommen und mir erklären: ja, für viele ältere alleinlebende Menschen in Altenheimen, ist das so eine Art Ersatzfamilie und auf einmal werde ich dann, die das bis dahin allein finanziell betrachtet habe, ganz kleinlaut."
    Gremien haben an Selbstbewusstsein gewonnen
    Viele Medienbeobachter konstatieren, dass die Gremien von ARD und ZDF an Selbstbewusstsein gegenüber den Senderleitungen gewonnen haben, auch wenn sich viele Rundfunkräte immer noch sehr stark mit ihrem Haus identifizieren. Spätestens seitdem aber Rundfunk längst auch das Internet umfasst, die Sender auch im Netz vorkommen wollen und nach der Rundfunkrechtsprechung auch können sollen, müssen sich die Gremien auf eine vollkommen neue Zeit einstellen. So müssen sie seit einigen Jahren im sogenannten Drei-Stufen-Test beurteilen, ob und wie lange Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender im Netz auftauchen dürfen. Der Medienjournalist Fritz Wolf sieht diesen Test, der auf die Lobbyarbeit der Verleger zurückgeht, deshalb auch als eine Art Katalysator: "Da ist eine Aufgabe auf sie zugekommen, die gab es vorher nicht, so was war bei der Gründung nie angedacht, das es solche Diskussionen geben wird und die Frage, wie regeln wir die Internetauftritte der Sender. Und da hat sich auch herausgestellt, was für die Gremien eine ganz wichtige Frage ist: wie qualifizieren wir uns so weiter, dass wir den sich ändernden Medienverhältnissen wenigstens halbwegs auf der Spur bleiben können und wie holen wir uns Expertise ins Haus. All diese Fragen sind natürlich mit dem Medienwandel verbunden, das heißt die geschichtliche Reminiszenz alleine, dass es ein demokratisches Gundgut ist, das man nicht ohne Not aufgeben sollte. Dies ist die eine Seite, die andere Seite: dass die Gremien sich natürlich mit den Medien mitverändern müssen."
    Die Veränderungen in der Medienlandschaft tangieren aber nicht nur das Selbstverständnis der Gremien, sondern auch die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Systems überhaupt. Denn vor allem jüngeren Menschen, die schon durch das Internet sozialisiert worden sind, erschließt sich nicht mehr selbstverständlich, warum es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt geben muss, wenn doch so viele Informationen und auch Unterhaltungsangebote kostenlos via Netz konsumiert werden können. Der Gedanke, der den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zugrunde liegt, nämlich dass ARD und ZDF das leisten müssen, was von den kommerziellen Anbietern nicht geleistet werden kann, muss immer wieder erneut gerechtfertigt werden, sagt Diemut Roether vom Evangelischen Pressedienst: "Ich glaube, dass diese Transparenzdebatte, die in diesem Moment geführt wird über die öffentlich-rechtlichen Sender, das die auch sehr wichtig ist für die Gremien und dass die Gremien auch verstehen müssen, dass sie tatsächlich sozusagen der Link sind zwischen dem Sender und der Gesellschaft und dass sie sehr offen umgehen sollten mit dem, was sie da verhandeln in ihren Gremiensitzungen. Weil sie ja schließlich die Vertreter der Beitragszahler sind und den Beitragszahlern vermitteln sollen, warum bestimmte Entscheidungen wie getroffen werden."
    Ehrenamtliche Kontrolleure
    Und noch einmal zurück in die Kantine des WDR, zur öffentlichen Sitzung des Rundfunkrates. Geht es nach den Plänen der Landesregierung, soll er künftig immer vor Publikum tagen: "Verehrte Vorsitzende, wir stehen nicht nur in der ganzen Medienlandschaft vor einem großen Umbau, sondern vor allem ganz besonders im WDR. Wir haben Rahmenbedingungen, die sich ändern, wir haben Ministerpräsidentenbeschlüsse, aber wir wollen aktiv diesen Umbau in der neuen Medienzeit beschreiten, ich freue mich, ihnen heute berichten zu dürfen, dass dieser Umbau jetzt konkrete Formen annimmt, buchstäblich sichtbar und fühlbar wird. Davon können sie sich und ich hoffe, sie tun das mal, im Funkhaus Düsseldorf selbst überzeugen", sagt WDR-Intendant Tom Buhrow.
    Der Denderchef stellt den neuen multimedialen Newsdesk vor, an dem in Zukunft die nordrhein-westfälische Landespolitik für alle Medien, die der WDR bespielt, aufgearbeitet werden soll. Eine Innovation, die die Frauen und Männer des Rundfunkrates wohlwollend begleiten, weil sie darauf vertrauen, dass die Leitung des WDR wissen wird, dass sie notwendig ist. Die Kontrollarbeit eines jeden Aufsichtsgremiums, auch in der freien Wirtschaft, ist nie so ausführlich wie sie vielleicht sein müsste. Umso mehr, wenn es sich wie bei den Rundfunkräten der Anstalten um ehrenamtliche Kontrolleure handelt. Wenn man den nicht-öffentlichen Teil der Sitzung hinzuzählt, wird der WDR-Rundfunkrat am Ende des 1. April 2014 über vier Stunden getagt, Berichten zugehört und diskutiert haben. Dazu kommt noch die regelmäßige Mitarbeit eines jeden Mitglieds in den jeweiligen Ausschüssen und die Vorbereitung zuhause. Damit die Gremien dafür sorgen können, dass das öffentlich-rechtliche Qualitätsversprechen auch wirklich eingelöst wird, müsste diese Arbeit noch stärker als bisher unterstützt werden, strukturell wie ideell – denn schließlich vertreten die Gremien gerade die, für die das Programm gemacht wird, nämlich die Bürger.