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ZDF-Staatsvertrag
Pleitgen: "Sehr froh über dieses Urteil"

Der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen hat das Urteil über eine Eindämmung der politischen Einflussnahme beim ZDF begrüßt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ziehe aber weitere Verpflichtungen des Senders nach sich, sagte Pleitgen im Deutschlandfunk.

Fritz Pleitgen im Gespräch Stephanie Rohde | 26.03.2014
    Der Journalist und ehemalige Intendant des WDR, Fritz Pleitgen
    Der Journalist und ehemalige Intendant des WDR, Fritz Pleitgen (dpa / Horst Galuschka)
    Dirk Müller: Mehr als vier Jahre nach der Causa Nikolaus Brender ist der Streit über den staatlichen Einfluss auf das ZDF höchstrichterlich entschieden. In Zukunft darf nur noch jedes dritte Gremienmitglied ein Vertreter des Staates, also ein Vertreter der Parteien sein. Damit hat das Bundesverfassungsgericht den Einfluss der Politik auf das ZDF und das Fernsehen generell, das öffentlich-rechtliche Fernsehen zumindest, deutlich eingeschränkt. Meine Kollegin Stephanie Rohde hat darüber mit dem früheren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen gesprochen.
    Stephanie Rohde: Nur maximal jeder dritte in den Gremien des ZDFs darf ein Politiker sein. Aber wird die Politik deshalb auch die Rundfunkgremien wirklich weniger beeinflussen? Darüber möchte ich jetzt mit dem Journalisten Fritz Pleitgen sprechen. Er war von 1995 bis 2007 Intendant des WDR. Guten Abend, Herr Pleitgen.
    Fritz Pleitgen: Guten Abend!
    Rohde: Herr Pleitgen, Hand aufs Herz: Sind Sie traurig, jetzt nicht mehr Intendant zu sein, wo die Politiker aus den Aufsichtsratsgremien vertrieben werden?
    Pleitgen: Nein. Ich hatte es als Intendant auch nicht schwer. Das WDR-Gesetz gibt dem Intendanten eine starke Stellung und ich hatte es eigentlich mit sehr vernünftigen Aufsichtsgremien zu tun.
    Rohde: Lassen Sie uns kurz hinter die Kulissen gucken. Wie ist das so als Intendant? Bekommt man dann abends mal Anrufe von Politikern, die ihre Wünsche äußern, in welche Richtung die Berichterstattung gehen sollte, oder wie stellt man sich das vor?
    Pleitgen: Man bekommt nicht nur Anrufe von Politikern, sondern aus allen möglichen Kreisen der Gesellschaft, auch diejenigen, die im Rundfunkrat oder im Verwaltungsrat vertreten sind. Da wird dieser oder jener Wunsch geäußert, eigentlich weniger Wunsch, sondern eher Kritik an einer Sendung. Aber das muss man aushalten können. Wir leben in einer Demokratie. Ich habe damit keine Probleme gehabt, wenn sich da jemand beschwerte. Es kommt auf einen selbst an, auf den Intendanten, auf den Redakteur. Man muss da entsprechend Rückgrat zeigen. Aber da wird auch nicht zu viel verlangt. Wir haben Verhältnisse wie in keinem anderen Land in Europa, zugunsten der Pressefreiheit, zugunsten der Rundfunkfreiheit. Also ich weiß nicht, warum man da immer wieder sagt, das sei mutiger Journalismus, wenn eine kritische Sendung gemacht wird. Das ist im Gehalt schon mit drin.
    Politik "sollte allerdings nicht übermächtig sein"
    Rohde: Die FDP fordert jetzt im NRW-Landtag, dass sämtliche Regierungsvertreter, also nicht nur einige, aus diesen Aufsichtsratsgremien ausscheiden sollen. Für wie sinnvoll halten Sie diese Forderung?
    Pleitgen: Ich weiß nicht. Wie gesagt, es kommt auf den Intendanten, es kommt auf den Sender an, ob der sich da beeindrucken lässt. Ich denke, dass die Politik schon ein wichtiges Element in unserer Gesellschaft ist. Sie sollte allerdings nicht übermächtig sein. Dies war beim ZDF der Fall. Insofern bin ich sehr froh über dieses Urteil. Es hat für das ZDF gute Verhältnisse in Aussicht gestellt. Ich habe mich gewundert, dass man nicht schon früher darauf eingegangen ist. Aber dieses Urteil hat natürlich auch die Verpflichtung, dass man entsprechend unabhängig seine Berichterstattung, seine Programme gestaltet, und es hat auch die Verpflichtung, dass man alle Gruppen dieser Gesellschaft berücksichtigt.
    Rohde: Wird dann so etwas – Sie haben es gerade angesprochen – wie der Fall des ZDF-Chefredakteurs, dessen Vertrag nicht verlängert wurde auf Betreiben von CDU-nahen Kreisen, wird so etwas jetzt nicht mehr vorkommen?
    Pleitgen: Das weiß ich nicht. Das hängt immer auch von denjenigen ab, die die Verantwortung tragen. Ich denke aber, dass es jetzt doch dazu führen wird, dass solche Exzesse - und das war ein Exzess -, wie er dort im Fall des Chefredakteurs Brender vonseiten der Unions-Nahen und Unions-Vertreter im Verwaltungsrat des ZDFs ausgeübt wurde, das wird wohl auf absehbare Zeit verhindert werden. Aber wer sich leicht einschüchtern lässt, der kann auch so ein bisschen unter die Räder geraten.
    "Die Verhältnisse hier in Deutschland sind so gut wie in keinem anderen Land in Europa"
    Rohde: Und genau an diesem Punkt kann man ja anknüpfen und fragen, was bringt denn eigentlich eine niedrigere Quote von Politikern? Jeder hat ja gewissermaßen eine politische Ausrichtung, der in diesen Gremien sitzt. Also ist das Ganze nicht nur Augenwischerei?
    Pleitgen: Das glaube ich nicht, denn das Gericht hat ja auferlegt, dass die anderen gesellschaftlichen Gruppen nicht unterwandert werden sollten. Das heißt, dass da nun versprengte Agenten der Parteien plötzlich in den Aufsichtsgremien auftreten. Da ist schon ein Riegel davorgeschoben worden. Noch einmal: Die Verhältnisse hier in Deutschland sind so gut wie in keinem anderen Land in Europa. Da schließe ich auch noch Großbritannien mit ein. Und dieses haben wir natürlich in erster Linie denjenigen zu verdanken, die die Verantwortung dafür tragen, aber wir haben für kritische Fälle immer noch das Bundesverfassungsgericht, und das ist in jedem Fall, in jedem Urteil bis jetzt zugunsten der Rundfunkfreiheit eingetreten.
    Rohde: Dann lassen Sie uns gucken, wer die Politiker jetzt ersetzen könnte. Können Sie denn schon sagen, wer genau diese staatsfernen Vertreter sein sollen?
    Pleitgen: Ja, die finden Sie in allen Gruppierungen unserer Gesellschaft, ob das nun im Bereich der Kultur, der Wissenschaft, des Sports, der Religionen ist. Da gibt es viele Kandidaten, die dafür in Frage kommen. Und ich finde das sehr gut, dass sie in einem Rundfunkrat, in einem Verwaltungsrat auch vertreten sind. Das bringt die Vielfalt unserer Gesellschaft zum Ausdruck. Aber auch von dort können natürlich durch Absprachen Druckmittel ausgeübt werden. Es kommt darauf an, wie darauf ein Sender, wie darauf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wie die Führung darauf reagiert. Aber ich denke, das Urteil von heute hat noch einmal deutlich gemacht, dass die Rundfunkfreiheit hier in Deutschland außerordentlich gesichert ist.
    Rohde: Was heißt das jetzt konkret für andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten? Sie haben den WDR ausgenommen, für das ZDF ist es geklärt. Was müssen die anderen jetzt machen?
    Pleitgen: Ich weiß nicht, ob ich jetzt den WDR da ganz ausnehmen muss. Man muss die Besetzung der Gremien betrachten. Ich hatte aber bis jetzt den Eindruck und auch aus eigener Erfahrung, dass die Zusammenarbeit oder das Miteinander, manchmal auch Gegeneinander im Westdeutschen Rundfunk sehr ausbalanciert ist. Natürlich braucht ein Sender auch eine Kontrolle durch die Aufsichtsgremien. Das ist unsere Stärke, das hat uns bislang sehr geholfen. Die Waage darf nur nicht zur einen wie zu der anderen Seite sinken, aber das wird von den jeweils Verantwortlichen dann auch in Zukunft zu beachten sein.
    Müller: Meine Kollegin Stephanie Rohde im Gespräch mit dem früheren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.