Capellan: Herr Müller, auch bei Ihnen ist das Geld knapp. Haben Sie Verständnis für den Simonis-Vorstoß?
Müller: Auch bei uns ist da Geld knapp - das ist richtig. Trotzdem glaube ich, dass die Forderung nach Steuererhöhungen im Moment genau das falsche Signal ist. Wir müssen einfach sehen, dass die Ursache für den Einnahmeausfall der öffentlichen Hand die Wachstumsraten und das schlechte Wachstum in Deutschland und die Tatsache sind, dass wir Schlusslicht im Wachstum in Europa geworden sind. Das sind die Folgen der Politik dieser Bundesregierung. Diese Bundesregierung ist nicht nur steuer- und finanzpolitisch gescheitert, sondern auch wirtschaftspolitisch und darunter leiden wir heute.
Capellan: Aber der Aufschwung steht uns ja kurz bevor, das sagt Eichel und das sagen auch viele Volkswirte und Wirtschaftswissenschaftler. Bei einem Wachstum von über zwei Prozent im Verlauf dieses Jahre, wären wir aus dem Schneider, so die einhellige Meinung. Sie wollen darauf nicht vertrauen?
Müller: Wir werden in diesem Jahr kein Wachstum von zwei Prozent auf das ganze Jahr gerechnet bekommen. Das ist eindeutig. Es gibt auch kein Wirtschaftsinstitut, das dieses vorhersagt. Ganz im Gegenteil. Wir haben gestern ja noch einmal Zahlen erhalten, die deutlich machen, dass sich das Geschäftsklima in Deutschland weiter verschlechtert hat. Der Aufschwung ist für das zweite Quartal vorhergesagt worden. Das zweite Quartal ist vorbei, von Aufschwung keine Spur. Er ist für das dritte Quartal vorhergesagt worden, da hat sich jetzt die Stimmung noch einmal verschlechtert. Vor diesem Hintergrund ist das Gesundbeterei, die der Bundesfinanzminister da betreibt. Mit der realen Lage hat dies nichts zu tun.
Capellan: Er sagt allerdings auch, dass die Steuerausfälle absehbar und nicht überraschend gewesen seien. Für Sie doch?
Müller: Na ja, auch da hat er ja seine Position verändert. Im Bereich der Körperschaftssteuer etwa hat man gesagt, dass es Steuersusfälle im Jahre 2001 geben wird. Im Jahre 2002 wird sich dies wieder regulieren. Wir stellen jetzt fest, dass sich die Entwicklung im Bereich der Körperschaftssteuer nicht reguliert hat, sondern dass sie noch dramatischer, noch schlimmer geworden ist. Der Körperschaftssteuertitel ist ja kein Einnahmetitel, sondern ein Ausgabetitel. Das war er im vergangenen Jahr, und das ist er auch in diesem Jahr. Wir tragen jetzt die Konsequenzen einer völlig verfehlten Steuerreform dieser Bundesregierung. Ich sage es noch einmal: Das ist das Scheitern von Hans Eichel, und jede noch so wohlklingende Erklärung kann davon nicht ablenken.
Capellan: Es wird auch immer wieder gefordert, die Gewerbesteuerumlage zu verändern. Immerhin müssen ja die Gemeinden, die besonders von den Mindereinnahmen im Steuerbereich betroffen sind, Milliarden an den Bund und ebenso auch an die Länder zurückgeben. Jetzt wollen die Kommunen Geld zurück. Können die Länder noch irgendwas abgeben?
Müller: Man muss ja sehen, dass die Entwicklung des Steueraufkommens, die negative Entwicklung, sich sehr ungleich auf die Ebenen Bund, Länder und Gemeinden verteilt. Der Bund hat versucht, sich teilweise Kompensationen durch die Erhöhung der Verbrauchssteuer, Ökosteuer, Tabaksteuer, Versicherungssteuer zu verschaffen, und er hat die Gewerbesteuerumlage zu seinen Gunsten verändert. Die Union hat in ihrem Wahlprogramm klar gesagt, dass sie dies korrigieren wird und dass durch die Wiederherstellung der früheren Verhältnisse im Bereich der Gewerbesteuerumlage den Kommunen geholfen wird. Das ist auch ein sinnvoller Schritt. Insgesamt brauchen wir natürlich wieder mehr Fairness im Verhältnis Bund, Länder und Gemeinden. Am Ende ist niemandem damit gedient, wenn der Bund versucht, seine Probleme dadurch zu lösen, dass er Ländern und Kommunen in die Taschen greift.
Capellan: Steuererhöhungen in der Rezession, die sind töricht, das haben Sie sinngemäß so gesagt, das hat Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber so gesagt. Es spricht einiges dafür, dass, wenn es mit der Konjunktur nicht so läuft, die Bürger Geld in der Tasche haben sollten, das sie ausgeben können, um die Nachfrage anzukurbeln. Also, Steuersenkung - so hört sich das bei der Union an -, nur fragt man sich, wo das Geld herkommen soll.
Müller: Also, was wir brauchen ist eine Politik, die konsequent auf Wachstum setzt. Und wenn Sie eine vernünftige Wachstumsentwicklung haben, dann sprudeln auch die Steuereinnahmen trotz reduzierter Steuersätze. Das wird nur schrittweise möglich sein. Diesen Weg werden wir nur schrittweise gehen können. Das haben wir auch immer wieder deutlich gemacht. Nur, Sie müssen doch einmal sehen: Bereits jetzt arbeiten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes etwa 200 Tage im Jahr ausschließlich um ihre Abgaben zu finanzieren. Da ist die Grenze der Belastung erreicht und vor diesem Hintergrund kann es da keine zusätzlichen Steuererhöhungen geben. Das ist völlig ausgeschlossen. Es wäre der falsche Weg, und es wäre Gift für die Wirtschaft und vor allem Gift für den Mittelstand, der in Deutschland ja Träger des wirtschaftlichen Wachstums ist und derjenige, der die Arbeitsplätze zur Verfügung stellt.
Capellan: Dennoch, Herr Müller, wenn das milliardenschwere Arbeitsmarktprogramm der Union umgesetzt werden sollte, wenn mehr Geld für die Bundeswehr bereitgestellt werden sollte, so wie es im Wahlprogramm gefordert wird, dann wären das doch alles Ausgaben, die auch zu ihren Lasten, zu Lasten der Länder gehen würden?
Müller: Wenn es uns gelingen würde, mit dem vorgelegten Programm für Arbeit und Beschäftigung die Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren, und ich bin fest davon überzeugt, dass dies gelingt, dann heißt dies ja nicht, dass es auf der einen Seite veränderte Einnahmen gibt, sondern es gibt dann ja auch eine Veränderung auf der Ausgabenseite. Jeder Arbeitslose weniger in Deutschland ist ein Stück Entlastung der öffentlichen Haushalte, und deshalb gibt es ohne Zweifel Selbstfinanzierungseffekte. Richtig ist allerdings, dass man in einem Zwischenraum zusätzlichen Finanzbedarf hat, und da gibt es ja eine Reihe von Vorschlägen, beginnend bei der Verwendung der Rückflüsse aus der europäischen Ebene, wie die Finanzierungen geleistet werden können. Ich sage noch einmal: Man wird alles, was wünschbar ist, nicht in einem Schritt machen. Man wird schrittweise vorgehen können. Das haben wir ja klar und deutlich gesagt. Aber wir brauchen eine Kurskorrektur, eine Kurskorrektur in Richtung mehr Wachstum. Wir müssen wieder Wachstumslokomotive in Europa werden und dafür brauchen wir eine andere Regierung.
Capellan: Peter Müller war das, Ministerpräsident im Saarland, Christdemokrat. Herr Müller, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
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