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Grenzen der Biomasse-Nutzung

Umwelt. - Biomasse soll einer der zentralen Träger der erneuerbaren Energieversorgung werden. Doch die Befürworter einer energetischen Verwertung von Pflanzen mit Stumpf und Stiel haben Ökologen auf den Plan gerufen, die auf Versuchsflächen in Schweden erforschen, was die vollständige Entfernung von Bäumen bis hinab zum Wurzelteller für das Ökosystem bedeutet. Auf der Konferenz "The Future of Biodiversity" in Gießen wurden erste Ergebnisse vorgestellt.

Von Volker Mrasek | 30.09.2010
    Wer Energie aus Holzresten gewinnen möchte, dem kommen schnell Baumstümpfe im Wald in den Sinn. Die Ökologin Astrid Taylor von der Schwedischen Hochschule für Agrarwissenschaften in Uppsala kann das durchaus nachvollziehen:

    "Energietechnisch, wenn man sich einen Baum anschaut, macht es auch Sinn, weil ein Drittel der Biomasse des Baumes eben im Boden steckt. Unterirdisch hängt da ja noch ein Riesenwurzelsystem dran. Und das ist sehr viel Biomasse."

    Doch kann man Wäldern ihre Stümpfe samt Wurzel einfach so komplett ziehen? Oder nehmen sie dadurch Schaden? Um diese Frage beantworten zu können, durchleuchten Astrid Taylor und andere Forscher in ihrem neuen Projekt, wer so alles als Untermieter in oder auf den Baumstubben lebt. So systematisch habe das bisher noch niemand gemacht, sagt die deutsche Biologin. Sie und ihre Kollegen arbeiteten auf zwei schwedischen Forst-Versuchsflächen. Proben nahmen sie aus Baumstümpfen von Fichte und Kiefer. Taylor:

    "Die waren fünf, zehn und 20 Jahre alt. Bei den Fünfjährigen braucht man also eine Säge. Bei den älteren kann man das mit einem Bodenbohrer, ein Metallrohr, das man dann reinsteckt in dieses verweste Totholz. Die Proben kommen dann ins Labor. Und kommen in Austreibvorrichtungen. Und dann wird oben Licht und Wärme draufgegeben. Und die Tiere fliehen dann sozusagen nach unten und / fallen unten in den Auffangbehälter."

    Astrid Taylor selbst ist Spezialistin für Milben. Andere Projektteilnehmer studierten Käfer, Asseln und Springschwänze – lauter Insekten und eng verwandte Tiere, die zur "Zersetzer-Gemeinschaft" im Wald gehören. Sie sind es, die abgefallene Blätter und totes Holz abbauen und letztlich in fruchtbaren Waldboden verwandeln, unter fleißiger Mitarbeit von Bakterien und Pilzen. Zum Teil liegen die Ergebnisse der Artenbestimmung schon vor. Sie zeigten, daß Baumstümpfe "Hot Spots" der Biodiversität im Wald seien, wie es die Biologin formuliert:

    "Ein Kollege von mir, der sich eben mit Käfern beschäftigt, hat um die 120 Arten gefunden. Und da sind dann auch einige Rote-Liste-Arten mit dabei. Ein Käfer, den wohl jeder kennt, ist der Hirschkäfer. Und ich habe insgesamt bis jetzt 80 Milbenarten auf den verschiedenen Stümpfen gefunden. Und das ist deutlich mehr als im Boden. Es war einfach interessant zu sehen, daß auf einmal ganz neue Arten unterm Mikroskop lagen, die ich vorher auch noch gar nicht kannte, weil ich immer im Boden gearbeitet habe."

    Demnach beherbergen die Baumstümpfe sogar eigene Insektenarten, die auf dieses spezielle Mikro-Habitat angewiesen sind und die man im Waldboden nicht findet. Bei einer radikalen Rodung der Stubben würden diese Tiere dem Wald-Ökosystem verloren gehen, so Taylor:

    "Ich würde auf jeden Fall eine Mindestmenge an Totholz oder an Baumstümpfen, die ja ein sehr großes Volumen des Totholzes darstellen, zurücklassen. Als Habitat für die ganzen Organismen, die ja in das Großgefüge Wald reingehören. So ein wichtiges Habitat einfach rauszunehmen – da denke ich schon, daß wir dem Wald Schaden zufügen."

    So in etwa dürfte auch der Tenor des Berichtes lauten, den die Forscher im Frühjahr offiziell vorlegen wollen. Er wird der Bioenergie-Branche nicht den Zutritt zum Wald verweigern, sie aber dazu auffordern, Baumstümpfe und anderes Totholz nur so stark zu nutzen, wie es das Ökosystem verkraftet. Eine solche Lösung würde auch Volkmar Wolters begrüßen, der Präsident der Gesellschaft für Ökologie:

    "Man wird Kompromisse schließen müssen. Man wird diesen Anspruch, Energie nutzen zu wollen, befriedigen müssen. Bestimmte Waldstücke vielleicht nur dafür anlegen müssen. Vielleicht auch so eine Art Kultivierung, die einen Zirkel erlaubt: Man räumt alle zehn Jahre mal was raus und läßt es dann wieder liegen. Das ist eigentlich im Moment das, was wir anbieten können. Denn wenn Tiere verschwinden, dann verschwinden sie vor allen Dingen, weil der Lebensraum verschwindet."

    Und das sollte bei den Baumstümpfen in Wäldern auf keinen Fall geschehen. "Denn", so die Ökologe, "nichts wäre falscher, als Totholz im Wald für etwas Überflüssiges zu halten."