Gerd Breker: Gestern hat die Bundesregierung die geplante zentrale Sammlung der Lohnsteuerdaten aller Bürger gegen datenschutzrechtliche Bedenken noch einmal verteidigt. Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar hat heute kritisiert, ohne wirklich schlüssige Begründung solle nun ein zentraler Datenpool entstehen, in dem die Daten aller Steuerpflichtigen gespeichert werden, und er warnte ausdrücklich vor Missbrauch, denn die Datei werde schließlich nicht nur persönliche Identifikationsdaten und die Steuernummer enthalten, sondern ebenfalls höchst sensible Informationen wie etwa die Zahl der Kinder oder auch Angaben zur Religion. Alles in allem scheint die Öffentlichkeit mit wenigen Ausnahmen die Sache sehr gelassen hinzunehmen. - Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Zeitgeschichtler an der Freien Universität in Berlin, mit Paul Nolte. Guten Tag Herr Nolte!
Paul Nolte: Schönen guten Tag!
Breker: Herr Nolte, kann das sein? Beobachten wir derzeit eine neue Gewichtung von Datenschutz? Ist Datenschutz heute nicht mehr so wichtig wie in den 80er Jahren?
Nolte: In den 80er Jahren war das ein ganz neues Thema, als uns auch bestimmte Informationstechnologien die technologischen Möglichkeiten, etwas mit Daten, mit persönlichen Daten anzufangen, noch gar nicht so vertraut waren, nicht nur nicht vertraut waren, sondern die waren ja noch gar nicht entwickelt. Die Entwicklung in der Informationstechnologie in den letzten zwei Jahrzehnten allein kommt ja schon mindestens einer Revolution gleich. Also da war natürlich eine ganz andere Sensibilität vorhanden und in vieler Hinsicht mag man schon sagen sind da auch Gewöhnungseffekte eingetreten. Wir gehen jetzt in mancher Hinsicht cooler damit um, auch wenn möglicherweise manche Gefahren oder Bedenken gar nicht per se aus dem Wege geräumt sind.
Breker: Kann es sein, dass eine Art Urvertrauen in die Obrigkeit im Laufe der Zeit entstanden ist, oder ist das wirklich nur das Banale? Man hat sich daran gewöhnt und denkt gar nicht mehr darüber nach?
Nolte: Ich glaube nicht, dass da ein Urvertrauen in die Obrigkeit entstanden ist. Das ist eher glaube ich ein Prozess, der auch weiterhin, so wie das in den letzten Jahrzehnten in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen ist, Schwankungen unterworfen bleibt. Dann gibt es eine Phase des größeren Vertrauens und dann, wie wir das in den 80er Jahren zum Beispiel erlebt haben, bei dem Widerstand gegen die Volkszählung, bei dem Volkszählungsboykott, unterstützt dann ja auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Alles musste in abgespeckter und gesicherterer Form dann noch einmal neu gemacht werden. Also das war eine Phase des extremen Misstrauens gegenüber Staat und Obrigkeit. Das hat auch immer viel mit generationellen Stimmungen zu tun. Damals ein Gefühl des Vertrauensverlustes der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Staat, das noch aus der Nachrüstungsdebatte, aus der Friedensbewegung herauskam, die damals ja gerade auslief, weil dann eben doch nach dem Regierungswechsel zu Kohl die Weichen anders gestellt wurden. Ich würde nicht ausschließen, dass das auch wieder kommen kann, dass eine solche Phase des größeren Misstrauens wieder entstehen kann, aber im Moment erleben wir die nicht. Man muss aber immer sehr vorsichtig sein. Wer weiß: auch dieses Thema fängt ja gerade erst möglicherweise an, heiß zu werden.
Breker: Heute herrscht eigentlich eher die Argumentation vor, wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, der muss auch nichts befürchten. Dessen Daten können ruhig gesammelt werden.
Nolte: Ja. Das ist ein Gesichtspunkt, den man oft hört. Das ist allerdings auch ein Argument, das in den 80er Jahren immer auch schon von den Befürwortern der Volkszählung und von denjenigen, die dort nicht so starke Bedenken haben, ins Feld geführt worden ist. Es ist im Grunde also auch ein altes Argument. Viele Dinge haben sich tatsächlich auch verschoben im Verhalten der Menschen, auch wiederum der jüngeren Menschen. Diejenige Generation, die 18- bis 30-Jährigen, die in den 80er Jahren da besonders sensibel gewesen sind, die sind ja heute die, die am offensivsten nicht nur mit Informationstechnologien umgehen, sondern auch mit der Veröffentlichung ihrer eigenen Privatheit, wenn man an Weblogs oder Chatrooms, oder Myspaces in den öffentlich zugänglichen Netzen denkt, wo das private Leben, die private Lebensführung, Bilder der eigenen Person und so weiter dargestellt werden. Da ist auch ein neues Bedürfnis sogar nach einer Veröffentlichung des Privaten entstanden. Das heißt nicht, dass es da nun gar keine Sensibilität mehr gibt gegenüber einer staatlichen Inanspruchnahme der Daten. Das steht in vieler Hinsicht auf einem anderen Blatt. Aber es haben sich glaube auch in den letzten zwei Jahrzehnten, wie man an diesen gerade erwähnten Entwicklungen verfolgen kann, die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verschoben und sind in vieler Hinsicht flüssiger geworden. Vieles was privat ist, stellen wir in die Öffentlichkeit und das Private bildet sogar eine Art von Ersatzöffentlichkeit oder von neuer Öffentlichkeit. Solche Chatrooms oder Weblogs sind ja ein Beispiel dafür.
Breker: Herr Nolte, Sie haben die neuen Informationstechnologien angesprochen. Ist denn das einfach nur das Forum, auf dem das jetzt geschehen kann, oder ist das auch ursächlich dafür da oder hilfreich begründet, die Bewegung der Selbstdarstellung in die Öffentlichkeit, des Privaten in die Öffentlichkeit zu geben, das wirklich dann auch zu tun, wie das die jungen Leute ja vielfach tun?
Nolte: Ich weiß nicht, wo da sozusagen Ursache und Folge ist. Das ist schwer auseinanderzuhalten, wo das Technische sozusagen ein Medium ist für bestimmte Entwicklungen oder auch an der ursächlichen Wurzel einer Entwicklung steht. Wir können auch dann noch schwer beurteilen, wo das hinführt, ob möglicherweise da auch wieder Gegentendenzen eintreten. Ich glaube, dass langfristig doch auch die Datensicherheit von Bürgern auf einem anderen Blatt stehen wird als das, was sich dort jetzt in diesen Formen der Veröffentlichung des Privaten im Internet tut. Aber die Sensibilität jedenfalls ist im Moment gerade auch bei vielen Jüngeren zurückgegangen. Das hat aber immer auch viel mit Grundaufmerksamkeiten in einer Gesellschaft zu tun. Man kann das dann gar nicht alleine aus der Entwicklung von Informationstechnologien zum Beispiel oder aus dem Umgang mit Daten erklären, sondern es gibt immer in einer bestimmten Zeit sozusagen einen Aufmerksamkeitshorizont einer Gesellschaft, der auf bestimmte Dinge gerichtet ist. In den 80er Jahren war es wie gesagt nach der Nachrüstungsdebatte die Volkszählung und die Datensicherheit. Heute oder im Moment ist es vielleicht eher der Klimawandel, der Irak-Krieg und Afghanistan. Andere Aufmerksamkeiten müssen dann dahinter zurückstehen, auch wenn sie per se nicht weniger wichtig geworden sind.
Breker: Aber Angst vor Missbrauch, vor Datenmissbrauch scheint im Moment nicht sehr ausgeprägt zu sein?
Nolte: Die Angst ist im Moment nicht so da. Das ist richtig. Vielleicht war diese Angst auch aus begründeten Anlässen, auch aus historischen Gründen in Deutschland teilweise besonders stark ausgeprägt. In den 80er Jahren hat sie sicherlich auch sehr übersteigerte Züge teilweise angenommen. Es ist immer interessant, auch einen Blick in die USA zu werfen, wo es ja seit dem Bestehen der USA alle zehn Jahre zum Beispiel eine Volkszählung gibt. Obwohl die USA ein Land sind mit sehr ausgeprägtem Konsumentenbewusstsein, einem sehr ausgeprägten kritischen Bewusstsein der Bürger, was den Schutz von Privatheit angeht, hat es dagegen nie Widerstand gegeben. Und es gibt auch - das führt an die aktuelle Debatte heran - in den USA ein berüchtigtes zentralisiertes Washingtoner Finanzamt, das genau diese Funktion verfolgt, die Steuerdaten aller Bürger zu haben, zu sammeln und verfügbar zu haben. Auch da gibt es dann bestimmte datenschutzrechtliche Bestimmungen, aber das funktioniert dort auch, obwohl wie gesagt die USA eigentlich ein Land sind, das solchen Zentralisierungen und solch einer Verfügbarkeit der Bürger gerade besonders kritisch gegenüber steht. Also in vieler Hinsicht auch eine sehr gespaltene brüchige Situation.
Paul Nolte: Schönen guten Tag!
Breker: Herr Nolte, kann das sein? Beobachten wir derzeit eine neue Gewichtung von Datenschutz? Ist Datenschutz heute nicht mehr so wichtig wie in den 80er Jahren?
Nolte: In den 80er Jahren war das ein ganz neues Thema, als uns auch bestimmte Informationstechnologien die technologischen Möglichkeiten, etwas mit Daten, mit persönlichen Daten anzufangen, noch gar nicht so vertraut waren, nicht nur nicht vertraut waren, sondern die waren ja noch gar nicht entwickelt. Die Entwicklung in der Informationstechnologie in den letzten zwei Jahrzehnten allein kommt ja schon mindestens einer Revolution gleich. Also da war natürlich eine ganz andere Sensibilität vorhanden und in vieler Hinsicht mag man schon sagen sind da auch Gewöhnungseffekte eingetreten. Wir gehen jetzt in mancher Hinsicht cooler damit um, auch wenn möglicherweise manche Gefahren oder Bedenken gar nicht per se aus dem Wege geräumt sind.
Breker: Kann es sein, dass eine Art Urvertrauen in die Obrigkeit im Laufe der Zeit entstanden ist, oder ist das wirklich nur das Banale? Man hat sich daran gewöhnt und denkt gar nicht mehr darüber nach?
Nolte: Ich glaube nicht, dass da ein Urvertrauen in die Obrigkeit entstanden ist. Das ist eher glaube ich ein Prozess, der auch weiterhin, so wie das in den letzten Jahrzehnten in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen ist, Schwankungen unterworfen bleibt. Dann gibt es eine Phase des größeren Vertrauens und dann, wie wir das in den 80er Jahren zum Beispiel erlebt haben, bei dem Widerstand gegen die Volkszählung, bei dem Volkszählungsboykott, unterstützt dann ja auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Alles musste in abgespeckter und gesicherterer Form dann noch einmal neu gemacht werden. Also das war eine Phase des extremen Misstrauens gegenüber Staat und Obrigkeit. Das hat auch immer viel mit generationellen Stimmungen zu tun. Damals ein Gefühl des Vertrauensverlustes der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Staat, das noch aus der Nachrüstungsdebatte, aus der Friedensbewegung herauskam, die damals ja gerade auslief, weil dann eben doch nach dem Regierungswechsel zu Kohl die Weichen anders gestellt wurden. Ich würde nicht ausschließen, dass das auch wieder kommen kann, dass eine solche Phase des größeren Misstrauens wieder entstehen kann, aber im Moment erleben wir die nicht. Man muss aber immer sehr vorsichtig sein. Wer weiß: auch dieses Thema fängt ja gerade erst möglicherweise an, heiß zu werden.
Breker: Heute herrscht eigentlich eher die Argumentation vor, wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, der muss auch nichts befürchten. Dessen Daten können ruhig gesammelt werden.
Nolte: Ja. Das ist ein Gesichtspunkt, den man oft hört. Das ist allerdings auch ein Argument, das in den 80er Jahren immer auch schon von den Befürwortern der Volkszählung und von denjenigen, die dort nicht so starke Bedenken haben, ins Feld geführt worden ist. Es ist im Grunde also auch ein altes Argument. Viele Dinge haben sich tatsächlich auch verschoben im Verhalten der Menschen, auch wiederum der jüngeren Menschen. Diejenige Generation, die 18- bis 30-Jährigen, die in den 80er Jahren da besonders sensibel gewesen sind, die sind ja heute die, die am offensivsten nicht nur mit Informationstechnologien umgehen, sondern auch mit der Veröffentlichung ihrer eigenen Privatheit, wenn man an Weblogs oder Chatrooms, oder Myspaces in den öffentlich zugänglichen Netzen denkt, wo das private Leben, die private Lebensführung, Bilder der eigenen Person und so weiter dargestellt werden. Da ist auch ein neues Bedürfnis sogar nach einer Veröffentlichung des Privaten entstanden. Das heißt nicht, dass es da nun gar keine Sensibilität mehr gibt gegenüber einer staatlichen Inanspruchnahme der Daten. Das steht in vieler Hinsicht auf einem anderen Blatt. Aber es haben sich glaube auch in den letzten zwei Jahrzehnten, wie man an diesen gerade erwähnten Entwicklungen verfolgen kann, die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit verschoben und sind in vieler Hinsicht flüssiger geworden. Vieles was privat ist, stellen wir in die Öffentlichkeit und das Private bildet sogar eine Art von Ersatzöffentlichkeit oder von neuer Öffentlichkeit. Solche Chatrooms oder Weblogs sind ja ein Beispiel dafür.
Breker: Herr Nolte, Sie haben die neuen Informationstechnologien angesprochen. Ist denn das einfach nur das Forum, auf dem das jetzt geschehen kann, oder ist das auch ursächlich dafür da oder hilfreich begründet, die Bewegung der Selbstdarstellung in die Öffentlichkeit, des Privaten in die Öffentlichkeit zu geben, das wirklich dann auch zu tun, wie das die jungen Leute ja vielfach tun?
Nolte: Ich weiß nicht, wo da sozusagen Ursache und Folge ist. Das ist schwer auseinanderzuhalten, wo das Technische sozusagen ein Medium ist für bestimmte Entwicklungen oder auch an der ursächlichen Wurzel einer Entwicklung steht. Wir können auch dann noch schwer beurteilen, wo das hinführt, ob möglicherweise da auch wieder Gegentendenzen eintreten. Ich glaube, dass langfristig doch auch die Datensicherheit von Bürgern auf einem anderen Blatt stehen wird als das, was sich dort jetzt in diesen Formen der Veröffentlichung des Privaten im Internet tut. Aber die Sensibilität jedenfalls ist im Moment gerade auch bei vielen Jüngeren zurückgegangen. Das hat aber immer auch viel mit Grundaufmerksamkeiten in einer Gesellschaft zu tun. Man kann das dann gar nicht alleine aus der Entwicklung von Informationstechnologien zum Beispiel oder aus dem Umgang mit Daten erklären, sondern es gibt immer in einer bestimmten Zeit sozusagen einen Aufmerksamkeitshorizont einer Gesellschaft, der auf bestimmte Dinge gerichtet ist. In den 80er Jahren war es wie gesagt nach der Nachrüstungsdebatte die Volkszählung und die Datensicherheit. Heute oder im Moment ist es vielleicht eher der Klimawandel, der Irak-Krieg und Afghanistan. Andere Aufmerksamkeiten müssen dann dahinter zurückstehen, auch wenn sie per se nicht weniger wichtig geworden sind.
Breker: Aber Angst vor Missbrauch, vor Datenmissbrauch scheint im Moment nicht sehr ausgeprägt zu sein?
Nolte: Die Angst ist im Moment nicht so da. Das ist richtig. Vielleicht war diese Angst auch aus begründeten Anlässen, auch aus historischen Gründen in Deutschland teilweise besonders stark ausgeprägt. In den 80er Jahren hat sie sicherlich auch sehr übersteigerte Züge teilweise angenommen. Es ist immer interessant, auch einen Blick in die USA zu werfen, wo es ja seit dem Bestehen der USA alle zehn Jahre zum Beispiel eine Volkszählung gibt. Obwohl die USA ein Land sind mit sehr ausgeprägtem Konsumentenbewusstsein, einem sehr ausgeprägten kritischen Bewusstsein der Bürger, was den Schutz von Privatheit angeht, hat es dagegen nie Widerstand gegeben. Und es gibt auch - das führt an die aktuelle Debatte heran - in den USA ein berüchtigtes zentralisiertes Washingtoner Finanzamt, das genau diese Funktion verfolgt, die Steuerdaten aller Bürger zu haben, zu sammeln und verfügbar zu haben. Auch da gibt es dann bestimmte datenschutzrechtliche Bestimmungen, aber das funktioniert dort auch, obwohl wie gesagt die USA eigentlich ein Land sind, das solchen Zentralisierungen und solch einer Verfügbarkeit der Bürger gerade besonders kritisch gegenüber steht. Also in vieler Hinsicht auch eine sehr gespaltene brüchige Situation.