Archiv


Griechen müssen "jetzt auch liefern"

Die Griechen "müssen jetzt einen richtigen Staat aufbauen" und "einhalten, was die unterschrieben haben", fordert der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Joseph Daul nach der Wahl am Sonntag. Auch die französischen Sozialisten müssten nach ihrem Wahlerfolg zu allererst die Schulden abbauen, so Daul.

Joseph Daul im Gespräch mit Bettina Klein | 18.06.2012
    Bettina Klein: In Frankreich kam es, wie von allen erwartet: Die Sozialisten trugen bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen einen historischen Sieg davon. Sie errangen 315 Sitze, für die absolute Mehrheit wären nur 289 erforderlich gewesen. Eine historische Machtfülle, von der man wohl ohne Übertreibung sprechen kann.

    Und wir schauen in den kommenden Minuten sowohl auf das Wahlergebnis in Frankreich gestern als auch das in Griechenland. Ich begrüße am Telefon den französischen Politiker Joseph Daul, er ist Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen!

    Joseph Daul: Guten Morgen.

    Klein: Monsieur Daul, eine historische Machtfülle, wenn wir mal mit Frankreich beginnen, Ihrer Heimat, historische Machtfülle für die Sozialisten. Macht Sie das auch besorgt?

    Daul: Ich sage, im Elsass sagen wir, natürlich sind wir blau geblieben. In Frankreich haben die jetzt die Mehrheit, jetzt können die arbeiten, und die müssen jetzt arbeiten. Das ist für mich, das habe ich immer gesagt, das ist eine gute Sache. Wenn die keine Mehrheit gehabt hätten, hätten die immer den Fehler auf die anderen gedrückt.

    Klein: Wie sehr ist Präsident Hollande jetzt gestärkt durch dieses Mandat?

    Daul: Der Präsident Hollande ist gestärkt, aber Frankreich ist in einer schweren Situation. Das wissen wir ja alle. Jetzt muss er mal liefern.

    Klein: Was ist für Sie die größte Aufgabe, die die Regierung und das Parlament jetzt zu bewältigen haben?

    Daul: Die erste Aufgabe ist mal, die Schulden müssen zurück. Wir geben zu viel Geld aus. Und er hat die letzte Woche schon wieder angefangen, mehr Geld auszugeben. Also wir müssen mehr das Defizit zurückbringen, das ist mal das Erste.

    Klein: Erlaubt es ihm auch, gegenüber Deutschland und Kanzlerin Merkel stärker aufzutreten mit seinen Vorstellungen, mit seinem Kurs in der Euro-Politik? Was erwarten Sie dabei?

    Daul: Nein. Ich glaube, Angela Merkel muss seine Politik weiterführen, und wir müssen sparen, und er hat immer gesagt, wir haben ja kein Geld im Moment. Wir müssen, und das haben ja die letzten Wochen in Brüssel gezeigt, den "two pack" mit dem Geld, wo da ist, anders verteilen. Frische Defizite können wir nicht brauchen. Und Angela Merkel hat recht: Wir müssen jetzt mehr gegen den Föderalismus gehen. Man kann nicht weitermachen, dass ein Land schon mit vor 60 Jahren in den Ruhestand geht, die Deutschen werden bis 67 arbeiten, wir arbeiten 35 Stunden nur und die anderen haben 40, 42. Das geht nicht mehr, wenn wir an den Euro glauben.

    Klein: Der Europaaspekt war ja auch in Frankreich stark im Wahlkampf. Der Euro sei an Allem Schuld, so hörte man wiederum vom Front National. Welche Folgen hat die Euro-Krise im Wahlkampf gespielt?

    Daul: Ich glaube, die Euro-Krise hat ein bisschen mitgespielt, aber die Hauptsache hat gespielt, dass Hollande gesagt hat, wir machen jetzt Wachstum, wir brauchen nicht so viel sparen, und das hat geholfen. Nicolas Sarkozy war hart geblieben, und wir sehen ja in Europa, wenn die Leute ihre Politik weiterführen wollen, dann wechselt es. Spanien, Portugal, das ist überall so.

    Klein: Gehen Sie davon aus, dass möglicherweise, nachdem der Wahlkampf in Frankreich nun vorbei ist und es ans praktische Arbeiten geht, sowohl in Frankreich als auch insgesamt in der Europäischen Union, dass sich auch die Regierung von Hollande da ein wenig weg bewegt von ihren ursprünglichen Zielen, von dem, was sie im Wahlkampf möglicherweise auch gesagt haben?

    Daul: Ja, das ist gar nicht anders möglich, und das geht jetzt wie in den Betrieben. Wissen Sie, ich habe auch einen Betrieb, und wenn in einem Betrieb die Banken sagen, wir haben kein Geld mehr, können kein Geld mehr geben, dann muss man sehen, wie man vorwärts kommt und wie man die Schulden zurückbucht, und das kommt genauso jetzt mit allen Staaten in Europa.

    Klein: Schauen wir auf das Ergebnis in Griechenland gestern. Es war ein knappes Rennen, aber die Nea Dimokratia hat gesiegt nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Wie erleichtert sind Sie, wie erleichtert kann man darüber sein?

    Daul: Also ich bin jetzt mal ein bisschen erleichtert, denn wir haben alle Angst gehabt, dass heute Morgen ja natürlich eine große Katastrophe auf den Märkten ist. Nur, das ist dasselbe mit Griechenland: Die müssen weitermachen und müssen einhalten, was die unterschrieben haben. Dass man ein bisschen darüber reden kann, sofort zurückbezahlen oder ein bisschen später, das ist eine Möglichkeit, aber man kann nicht in Griechenland zurückkommen, das ist nicht möglich, und die können jetzt eine Mehrheit haben, wenn sie wollen.

    Klein: Die schwierigen Verhandlungen zur Regierungsbildung stehen ja zunächst noch mal bevor, Sie haben es schon angesprochen. Auch die Nea Dimokratia hatte ja Nachverhandlungen gefordert, was das Bündnis mit der EU in Sachen Sparpolitik angeht. Sie hat das nicht komplett infrage gestellt, aber doch Nachverhandlungen gefordert. Sie sagten schon, auf der Zeitachse – und das ist auch, was man aus Deutschland hört – könne man reden. Wie viel mehr Zeit kann Griechenland bekommen aus Ihrer Sicht?

    Daul: Griechenland muss jetzt sofort einen richtigen Start, einen Satz machen. Sie müssen jetzt die Steuern einholen, sie müssen jetzt schauen, was sie machen mit den griechischen Geldern, die in der Schweiz und überall sind. Sie müssen jetzt einen richtigen Staat aufbauen.

    Klein: Einen richtigen Staat aufbauen, sagen Sie. Wir sehen aber doch, dass wir nicht so sehr in einer anderen Situation sind als im Vergleich zu den Wahlen vor einigen Wochen. Das heißt, es ist wiederum nicht so richtig klar, welche Regierungsbildung wir sehen werden. Was erwarten Sie denn?

    Daul: Ja ich glaube, das ist auch ein Problem für viele Länder von den neuen Staaten, die reingekommen sind. Die sollen immer Solidarität weitermachen, sind viel tiefer, was Löhne, was Altersrente angeht, und das wird schon große Diskussionen geben in der nächsten Zeit.

    Klein: Große Diskussionen. Aber ich frage noch mal nach: Was erwarten Sie, was die Regierungsbildung in Griechenland jetzt angeht?

    Daul: Die Regierung, die muss jetzt. Zum Beispiel die Mehrwertsteuer: Wie können wir die Mehrwertsteuer einholen? Wie können wir die normalen Steuern einholen von den Leuten, die nicht bezahlen? Natürlich die armen Griechen, die bezahlen ja, aber die anderen, da haben wir jetzt so viel, da liegt so viel auf dem Tisch, und wir haben jetzt schon sechs Monate gearbeitet. Ich sehe heute wieder die Troika, heute Nachmittag, um wieder mit ihnen noch mal zu sprechen. Da ist alles vorbereitet. Nur müssen die jetzt auch liefern.

    Klein: Sie müssen liefern, sagen Sie. Gehen wir mal weg von der ganz aktuellen Tagespolitik, von dem, was sich jetzt in den nächsten Stunden, Tagen und Wochen möglicherweise abspielen wird. Welches Szenario sehen Sie denn für Griechenland, wenn es eben nicht zu einer stabilen Regierung kommt, wenn es möglicherweise doch wieder Neuwahlen gibt und man sich mit der Europäischen Union nicht auf Sparbedingungen einigt?

    Daul: Wenn wir uns nicht einigen, das wissen wir ganz genau, das haben wir schon gesagt, dann müssen die aus dem Euro rausgehen, und das können wir nicht anders tun wegen den anderen Ländern.

    Klein: Das ist eines der Szenarien, dass Griechenland den Euro verlassen wird. Aber die Frage ist ja auch, was heißt das grundsätzlich für die Europäische Union. Stehen wir möglicherweise unabhängig von dem, was sich in Griechenland jetzt tun wird in den nächsten Tagen, vor grundsätzlichen strukturellen und fundamentalen Systemveränderungen auch in der Europäischen Union in den kommenden Jahren?

    Daul: Ja, das ist sicher. Wenn Griechenland rausgeht, gibt es natürlich einige Probleme auch in den anderen Ländern. Das ist Portugal, Spanien, Italien. Wir haben noch nicht viel von Italien gesprochen, aber Italien ist auch ein Problem, wenn die Griechen rausgehen, und Frankreich.

    Klein: Und Frankreich würde wann rausgehen müssen? Was ist Ihre Prognose?

    Daul: Nicht rausgehen, ich spreche nicht von rausgehen, aber ich spreche davon, dass es Schwierigkeiten gibt in diesen Ländern.

    Klein: Und in Frankreich?

    Daul: In Frankreich auch, natürlich!

    Klein: Da Sie es angesprochen haben, von welchen Zeiträumen gehen Sie aus, wo es Frankreich eben auch betreffen könnte?

    Daul: Ich gehe davon aus, wenn die jetzt das neue Budget machen, mehr Geld ausgeben, dass die Märkte sagen, sie nehmen das nicht an, und sie können das nicht annehmen und die Banken können nicht die Kredite geben, zumal nicht für die Zinsen, die wir heute haben.

    Klein: Beunruhigt Sie das sehr, diese Perspektive, dass möglicherweise eben Staaten die Eurozone werden verlassen müssen, oder sagen Sie, das ist auch eine Chance, auf einer anderen Ebene dann in der Zukunft weiterzukommen, wenn es nur noch einige Staaten gibt, die darin sind und andere sich auf anderer Weise erst konsolidieren werden?

    Daul: Ich glaube, das Beste wäre – und ich glaube, wir müssen auch daran arbeiten -, dass die Länder bleiben können und dass das weitergeht und dass jeder vernünftig ist und dass wir gegen einen Föderalismus gehen auch mit den Banken, aber dann müssen alle liefern und nicht nur Angela Merkel kritisieren.

    Klein: Der französische Politiker Joseph Daul, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Daul: Danke!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.