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Griechenland
Corona mit dem Silberlöffel

In der griechisch-orthodoxen Kirchen spielt sich ein Krimi ab: Darf die Kirche an der Kommunion mit gemeinsamen Silberlöffel festhalten? Die Regierung hat ihr die Entscheidung abgenommen. Die Kirchen sind zu. Fest verankerte Traditionen über Bord zu werfen - wie schaffen Menschen das in der Krise?

Von Rodothea Seralidou | 18.03.2020
Ein Junge im mazedonischen Skopje empfängt die Kommunion per Silberlöffel
In vielen orthodoxen Strömungen wird für die Kommunion ein Silberlöffel benutzt (Picture Alliance / EPA / Georgi Licovski)
Sonntagsgottesdienst in der orthodoxen Kirche des Heiligen Johannes im Athener Vorort Voula. Etwa 50 Gläubige haben sich am vergangenen Sonntag versammelt, weitaus weniger als die Kirche Platz hat. Ein Mann steht vor einer Marien-Ikone und bekreuzigt sich. Andere gehen nur kurz rein und warten dann am Kircheneingang. So auch der 28-jährige Romanos:
"Ich passe sehr auf. Es gibt ja auch viele ältere Menschen. Sollte ich krank sein und sie anstecken - das geht ja gar nicht. Ich küsse die Ikonen nicht mehr, zünde keine Kerzen an, fasse auch die Türklinken nicht an. Generell reduziere ich den Kontakt mit Gegenständen und Menschen. So wie überall, passe ich auch in der Kirche auf."
"Die Kommunion kann keine Krankheiten übertragen"
So soll es sein, hat die Heilige Synode, das oberste Organ der Orthodoxen Kirche Griechenlands, beschlossen - in einer Sitzung zur Bekämpfung des Corona-Virus. Die Sicherheitsvorkehrungen hat auch der Priester in der Athener Kirche des Heiligen Johannes aufgezählt:
Die Gläubigen müssen auf gutes Händewaschen achten und Abstand halten, sagt er. Auch würden die Kirchen gut gelüftet und gründlich desinfiziert. Wer Symptome aufweist oder zu einer gefährdeten Gruppe gehört, sollte zu Hause bleiben. Macht alles Sinn. Und doch: Danach kommt etwas, was für Außenstehende mindestens verwunderlich klingt:
"Was die Heilige Kommunion angeht: Die Heilige Synode der Kirche Griechenlands betont, dass die Kommunion aus demselben Kelch, dem Kelch des Lebens, keine Krankheiten übertragen kann. Die Gläubigen, die zur Kommunion kommen, auch inmitten einer Pandemie, wissen, dass sie sich dem lebenden Gott übergeben und ihre Liebe beweisen, die jede menschliche und vielleicht begründete Angst besiegt."
Kompromisslösungen würden den Glauben in Frage stellen
In der Orthodoxie besteht die Kommunion aus Wein und Brotkrümeln. Und sie wird nicht nur aus demselben Kelch gespendet, sondern auch vom selben Silberlöffel. Warum glaubt die Kirche trotzdem, dass die Kommunion das Corona-Virus nicht übertragen kann? Bischof Ignatios erklärt:
"Die Heilige Kommunion, auch Heilige Eucharistie genannt, ist die wichtigste sakrale Handlung der Kirche. Jesus Christus persönlich hat sie gestiftet am Abend des letzten Abendmahls. Die Kirche glaubt zutiefst, dass in der Eucharistie mit Hilfe des heiligen Geistes der Wein und das Brot zu Leib und Blut Christi werden."
Und dadurch könnten nun mal keine Krankheiten übertragen werden, so der Bischof. Kompromisslösungen wie Einweglöffel statt des gemeinsamen Silberlöffels würden die Eucharistie in Frage stellen und könnten somit von der Orthodoxen Kirche Griechenlands nicht übernommen werden, sagt der Bischof.
"Die Synode arbeitet gegen die öffentliche Gesundheit"
Das sehen die Mediziner im Land anders. Despoina Tosonidou, Vorsitzende des Ärztevereins im Athener Asklipio-Krankenhaus, ist von der bisherigen Haltung der Orthodoxen Kirche Griechenlands erschüttert:
"Es steht überhaupt nicht zur Diskussion, ob ein Virus, der das Atemsystem befällt und durch Tröpfen übertragen wird, auch durch die Kommunion übertragen werden kann, wenn ein gemeinsamer Löffel benutzt wird. Selbstverständlich wird das Virus auf diesem Weg übertragen. Die Heilige Synode arbeitet da gegen die öffentliche Gesundheit."
Radiologin Despoina Tosonidou im Athener Asklipiio-Krankenhaus
Die Ärztin Despoina Tosonidou ist von der Ignoranz der Kirchenoberen schockiert (Deutschlandradio/ Rodothea Seralidou)
Nicht nur die Heilige Synode. In der Tat pflegt die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia traditionell enge Beziehungen zur Orthodoxen Kirche. In den vergangenen Tagen gab es sogar Minister, die öffentlich gesagt haben, sie würden weiterhin zur Kommunion gehen. Der griechische Premierminister Kiriakos Mitsotakis distanzierte sich aber von solchen Aussagen aus den eigenen Reihen. In seiner Fernsehansprache zur Corona-Gefahr sagte er deutlich: Nun schlage die Stunde der Ärzte und Virologen - nicht die eines Glaubens, der die Naturwissenschaft ignoriert.
"Ich weiß, der Glaube fängt oft da an, wo die Wissenschaft endet. Aber der Glaube, den wir jetzt brauchen, ist der Glaube, dass wir diese Krise überwinden werden. Wenn wir alle den Ratschlägen der Ärzte und Spezialisten folgen. Wir müssen im Hinterkopf behalten: Wir sind nicht nur für uns verantwortlich, sondern auch für alle Griechinnen und Griechen in unserer Umgebung."
Die griechischen Kirchen sind geschlossen
Die Botschaft, auf Gottesdienste zu verzichten, hatte die Kirche aber nicht verstanden: In einer langen Sitzung am Montagabend beschlossen die orthodoxen Bischöfe:
"Der Sonntagsgottesdienst wird ab sofort auf eine Stunde verkürzt und wird zwischen 7 und 8 Uhr gehalten. Die Messen in der Woche werden vorübergehend verschoben, auch die geplanten Taufen und Hochzeiten."
So der Sprecher der Heiligen Synode, Bischof Stefanos. Nicht genau das, was die griechische Regierung hören wollte. Nur wenige Minuten nach dieser Entscheidung der Kirche ergriff sie deshalb die Initiative und kündigte weitaus drastischere Maßnahmen an. Die Bildungs- und Religionsministerin Niki Kerameos twitterte: "Alle Gotteshäuser aller Religionen und Glaubensrichtungen bleiben ab sofort für zwei Wochen geschlossen." Nur Beerdigungen und das individuelle Gebet würden unter bestimmten Bedingungen erlaubt.
Das sei schon längst überfällig gewesen, findet die Ärztin Despoina Tosonidou. Je schneller die Kirchen zumachten, desto besser. Denn das griechische Gesundheitssystem sei auf eine Ausbreitung des Corona-Virus überhaupt nicht vorbereitet:
"Unser Gesundheitssystem hat unter der Sparpolitik der letzten zehn Jahre gelitten, es fehlen schon unter normalen Bedingungen tausende Ärzte und Pfleger, geschweige denn in Zeiten einer Pandemie. Die 2.000 Ärzte, die die Regierung jetzt einstellen will, sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Es fehlt an Schutzkleidung, es fehlen Thermometer. Wir haben landesweit viel zu wenig Plätze in den Intensivstationen. Wer also sagt, wir sind vorbereitet, lügt."
Die Gläubigen sind gespalten
Noch halten sich die Corona-Fälle in Griechenland in Grenzen. Jetzt müsse man sehen, für wie lange es keinen Gottesdienst geben wird, so Tosonidou. Im Moment streckt sich das Verbot bis zum 30. März. Die Ärztin hofft, dass es eine Verlängerung gibt, bis die Gefahr endgültig vorbei ist. Spätestens zu Ostern würden sonst wieder viele Gläubige in die Kirchen strömen. Dann endet die orthodoxe Fastenzeit; für viele ein Grund, auch an der Kommunion teilzunehmen.
In der Athener Kirche des Heiligen Johannes sind noch an diesem Sonntag viele Menschen zur Kommunion gegangen. Zum Beispiel diese ältere Frau:
"Wir haben vor dem Corona-Virus keine Angst. Wir haben doch durch die Kommunion den Sohn Gottes in uns."
Der 28-jährige Romanos, der die Sonntagsmesse aus sicherer Distanz verfolgt hat, sieht das anders. Obwohl auch er in Zukunft den Gottesdienst gerne live erleben würde und nicht übers Kirchenradio oder das Fernsehen, wie er es ab sofort machen muss: Bereits kurz vor dem zweiwöchigen Gottesdienstverbot in Griechenland sagte er, auf die Kommunion könne er persönlich vorübergehend verzichten.
"Ich verstehe diejenigen, die sich mental auf die Kommunion vorbereitet haben, warte selber aber lieber ab. So wie wir viele andere Gewohnheiten hinter uns gelassen haben, uns zum Beispiel nicht mehr mit Freunden treffen, können wir auch für kurze Zeit die Kommunion sein lassen. In einigen Wochen, wenn die Gefahr vorüber ist, wird auch der Gang zur Kommunion kein Problem mehr sein".