Montag, 29. April 2024

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Griechenland-Debatte
"Märkte werden eine ganze Zeit verunsichert sein"

Wenn Griechenland den Euro behalte, bleibe die Währung weiterhin die falsche für das Land, sagte der Finanz- und Börsenanalyst Dirk Müller im Deutschlandfunk. Bei einem Austritt würde es für das Land aber "richtig bergab" gehen. Als Krisenlösung schlägt er die Wiedereinführung aller nationalen Währungen vor.

Dirk Müller im Gespräch mit Gerd Breker | 05.01.2015
    Die griechische und die europäische Flagge wehen am 06.03.2014 vor dem Parlamentsgebäude in Athen. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
    Der Zukunft von Griechenland wird debattiert. (dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm)
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Geschäftsführer der Finanzethos GmbH, mit Dirk Müller. Er ist auch Autor des Buches "Der Crash kommt". Guten Tag, Herr Müller!
    Dirk Müller: Einen wunderschönen guten Tag.
    Breker: Wenn Griechenland aus dem Euro geht, kommt dann der nächste Crash?
    Müller: Der Markt mag keine Unsicherheiten. Aber eines muss ich noch korrigieren: "Der Crash kommt" war von meinem geschätzten Kollegen Max Otte. Mein Buch war "Crashkurs". Aber das nur am Rande. Der Crash kommt nicht zwingend. Die Märkte mögen keine Unsicherheiten. Und das hat mit Griechenland definitiv wieder aufgenommen, diese Unsicherheit an den Märkten. Aber die Frage ist, war denn diese Unsicherheit wirklich von dannen gezogen, hatten wir wirklich die Probleme gelöst. Das was wir an Maßnahmen verordnet hatten in den letzten Jahren, es war absehbar, dass es nicht funktioniert, dass wir wieder nur Zeit gewinnen. Und jetzt fällt uns das wieder auf die Füße. Es hieß damals, Griechenland muss nur genug sparen über kurze Zeit, dann wird das alles schon wieder werden. Ja, Griechenland hat massiv gespart, massiv Eingriffe vorgenommen. Es kam genau das, was kommen musste, ein Zusammenbruch der Wirtschaft, Massenarbeitslosigkeit, Radikalisierung im politischen Sektor. Und jetzt bekommen wir die Quittung. Jetzt wählen die Griechen und möglicherweise wählen sie jetzt extrem rechts oder in diesem Fall extrem links. Deshalb ist das die Folge unserer verfehlten Politik und das wird sicherlich die Märkte noch eine ganze Weile auch verunsichern, kommt auch darauf an, wie diese Wahl ausgeht. Und vor allem, was Tsipras dann entscheidet und wie die EU damit umgeht. Da gibt es verschiedene Szenarien, die auf uns zukommen. Und je nachdem, welches davon zieht, wird es mehr oder weniger heftig für die Märkte.
    "Tsipras wird Schuldenschnitt haben wollen"
    Breker: Dann gehen wir mal ein paar durch. Was würde denn in Griechenland selber geschehen, wenn der Euro geht und die Drachme wiederkommt?
    Müller: Zunächst mal hat Tsipras ja noch gar nicht gesagt, dass er aus dem Euro austreten will. Ganz im Gegenteil. Er sagt ja, den wollen wir behalten. Nur die Folge wird sein, er wird mit diesen Schulden nicht weiterkommen, er wird also einen Schuldenschnitt haben wollen. Jetzt gibt es die Möglichkeit 1 das harmloseste Szenario, dass die Europäische Union, IWF und Co. sich mit ein bisschen Muskelspielen auf das Ganze einlassen, keinen offiziellen Schuldenschnitt verkünden, aber beispielsweise die Zinszahlungen aussetzen und die Rückzahlungen auf Sankt Nimmerleinstag verschieben. Damit wäre die Schuldenlast für Griechenland de facto aufgehoben und man würde sich weiter durchwursteln. Damit würde die griechische Wirtschaft immer noch nicht vernünftig laufen, weil die Währung nach wie vor die falsche für das Land ist, aber man würde so weiterwursteln wie bisher. Das wäre für die Märkte der entspannendste Weg.
    Möglichkeit 2: Die EU lässt sich nicht darauf ein und Tsipras wird dann einen Schuldenschnitt von seiner Seite aus verkünden, wird nicht mehr zurückzahlen. Dann wird man ihm auch kein Geld mehr zur Verfügung stellen. Griechenland wird sich auf den internationalen Märkten nicht mehr mit Geld in Europa versorgen können. Es bleibt ihm dann nichts anderes übrig, als zur Drachme zurückzugehen und dann mit massiver Gelddruckerei zu versuchen, sein Land wieder anzuschmeißen. Nur: Man wird rund um den Globus versuchen, dann für Griechenland die Katastrophe heraufzubeschwören. Warum? Weil wenn das ein Erfolg würde, dann wäre es ein Exempel, das man den anderen gar nicht geben will. Dann wird jeder ein Interesse daran haben, von IWF über EU-Kommission bis zur Bundesregierung, dass es mit Griechenland richtig bergab geht, damit nicht andere auf die Idee kommen, das auch noch zu machen. Wenn es zu einem Aufeinanderprallen von Griechenland und EU kommt, dann wird es für Griechenland sehr heftig, sehr negativ werden. Darauf muss man sich einstellen.
    "Probleme der Euro-Krise nie gelöst"
    Breker: Und was würde das für den Euro bedeuten? Der ist ja schwach wie nie.
    Müller: Ja. Das hat aber nicht unbedingt was mit Griechenland direkt zu tun, sondern eher im Indirekten. Tatsächlich haben wir, wie eingangs erwähnt, die Probleme der Euro-Zone nie gelöst. Nach wie vor ist der Euro für die meisten Länder in der Euro-Zone die falsche Währung und wir kommen damit nicht aus der Kabine. Solange die Länder ihre eigenen Währungen hatten, kamen die damit klar. Jetzt haben wir eine Währungsunion ohne politische Union. Das ist seit Jahrzehnten bekannt, dass das nicht funktionieren wird. Der Krach 2008/2010 hat uns gezeigt, dass es nicht funktioniert. Wir haben uns jetzt mit verrückten Maßnahmen Zeit gekauft und stellen jetzt fest, dass wir die Zeit nicht genutzt haben. Wir haben nichts verändert und jetzt kommt uns das wieder auf die Füße gefallen. Deshalb: Der niedrige Euro ist die Folge eines nicht funktionierenden Währungssystems, das wir haben. Und wir sind offenkundig noch nicht bereit, die notwendigen Schritte zu machen, das zu korrigieren. Das heißt nicht unbedingt Auflösung des Euro, aber es heißt, die Fehlentwicklungen, die Fehlstrukturen des Euros zu korrigieren.
    Breker: Was wäre das zum Beispiel? Welche Strukturen sind das? Die fehlende politische Europäische Union?
    Müller: Es ist entweder wirklich eine politische Union, das heißt wirklich ein Zusammenschluss der europäischen Staaten und damit eine Gleichsetzung sämtlicher Regularien, Steuergesetze und so weiter. Aber davon sind wir auch noch Jahrzehnte entfernt. Die sinnvollste, kurzfristig umsetzbare Variante wäre eine völlig verrückte Idee, nämlich in den einzelnen Ländern der Europäischen Union die nationalen Währungen als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel einzuführen, gleichzeitig den Euro zu behalten als übergeordnete Abrechnungswährung wie ein Fremdwährungskonto. Diese Idee ist so verrückt, dass wir sie 20 Jahre erfolgreich hatten; das nannte sich damals Ecu.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Dirk Müller, dem Geschäftsführer von Finanzethos GmbH. Herr Müller, danke für dieses Gespräch.
    Müller: Danke Ihnen ebenfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.