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Griechenland
Flüchtlingsdrama am Tor Europas

Zehntausende Flüchtlinge kommen auf den griechischen Inseln an, die Registrierungsstellen dort sind überfordert. Zwar gibt es nun erste Ideen für eine Verbesserung der Situation und die Unterbringung von 50.000 Flüchtlingen, aber das reicht bei Weitem nicht. Die Flüchtlingskrise in Griechenland geht weiter - und das Sterben in der Ägäis auch.

Von Wolfgang Landmesser | 12.11.2015
    Eine syrische Frau schaut aus dem Fenster eines Reisebus', in dessen Fenster sich die Fähre "Diagoras" reflektiert, die gerade im Hafen von Piraeus, nahe Athen, ankommt.
    Eine syrische Frau blickt auf den Hafen von Piräus, in dem gerade eine Fähre mit weiteren Flüchtlingen an Bord anlegt. (picture alliance / dpa / Yannis Kolesidis)
    Das Boot ist in einer Bucht gelandet, wo die Hilfsorganisationen nicht mit dem Auto hinkommen. Vom Meer aus mussten die 40 afghanischen Flüchtlinge – Männer, Frauen, alte Leute, Kinder – hinaufsteigen zur Schotterpiste. Sie sind völlig durchnässt von der Überfahrt bei starkem Regen und rauer See. Aber sie haben es geschafft, sie sind auf der griechischen Insel Lesbos angekommen, sie sind in Europa.
    Helfer haben den Flüchtlingen Wärmefolien umgelegt. Hussein ist allein aus Afghanistan geflohen. Als er mein Mikrofon sieht, redet er sich den Stress der lebensgefährlichen Überfahrt von der Seele:
    "Wir sind aus Afghanistan nach Europa gekommen, weil wir glauben, dass wir uns hier sicher fühlen können. Die Überfahrt von der Türkei war sehr gefährlich. Wir waren 40 Leute im Boot, obwohl da nur 20 rein passen."
    Unter der Zeltplane am Strand von Efthalou, wo die befestigte Straße endet, kümmern sich Freiwillige der holländischen Hilfsorganisation "Bootsflüchtlinge" um die Menschen.
    Viel ehrenamtliche Hilfe auf den griechischen Inseln
    Willkommen in Europa: Eine Helferin wickelt ein durchgefrorenes Baby und zieht ihm frische Kleider an. Es gibt Kekse und Bananen. Hier im Norden von Lesbos, in der Nähe der Stadt Molivos, kommen die meisten Flüchtlinge an. Aber heute, bei diesem schlechten Wetter, sind es deutlich weniger Boote, sagt Miley, die hier seit zwei Wochen als Freiwillige arbeitet – und von der Küstenstraße aus nach neuen Booten Ausschau hält.
    "Heute nachmittag waren es zwei oder drei. Und einige Boote kommen wohl noch. Aber sonst sind es hier 15, 20 Boote am Tag. Letzte Woche kamen hier an einem Tag 7.000 Flüchtlinge an."
    Der 23. Oktober ist ein stürmischer Tag, der Herbst ist angebrochen in der Ägäis, mit voller Wucht. Tote gibt es an diesem Tag zum Glück nicht. Die wenigen Boote, die sich auf den Weg machen, kommen heil an.
    Am Strand der griechischen Insel Lesbos liegen ein Holzboot und viele Rettungswesten
    Ein Flüchtlingsboot vor der griechischen Insel Lesbos (picture alliance / dpa / Socrates Baltagiannis)
    Morgens habe ich in der Inselhauptstadt Mytilini einen Termin bei der Küstenwache. Eleni Kelmali, die diensthabende Offizierin, schildert die Lage:
    "Wenn der Winter kommt, wird es alles schwieriger. Trotzdem können wir bisher keine Abnahme der Ankünfte von Flüchtlingen feststellen. Ungefähr 5000 Personen erreichen Lesbos jeden Tag. Die Zahl ist im Vergleich zum Sommer bisher nicht gesunken."
    Ihre Kollegen in den Patrouillenbooten haben seit Jahren mit den Flüchtlingen tun. Oft müssen sie Menschen aus dem Meer retten, wenn ihre Boote kentern. Dabei erleben sie immer wieder Szenen, die sie nicht vergessen können.
    "Sie erzählen mir, dass es auch nach all den Jahren, in denen sie so viele Menschen gerettet haben, immer noch sehr hart ist, Leichen im Meer schwimmen zu sehen und Leute zu retten, die ihre Kinder verloren haben. Sie können danach nichts mehr essen, weil die Bilder in ihrem Kopf so traurig sind. Und wir sprechen da von sehr erfahrenen Crews."
    Am Strand in Ethalou stehen die Flüchtlinge in ihre Wärmefolien gewickelt und warten, dass es weitergeht. Alles ist hier gut organisiert. An diesem Strandabschnitt sind sieben oder acht Hilfsorganisationen aktiv. Nach kurzer Zeit kommen Kleinbusse, um die Menschen in ein Übergangslager zu bringen. Dort können sie ein wenig ausruhen. Dann werden sie zum sogenannten Hotspot nach Moria gebracht, wo sie sich registrieren lassen müssen.
    Am nächsten Morgen vor dem Zaun von Moria. Es regnet in Strömen, jetzt schon den vierten Tag in Folge. Der Weg, der hinauf führt zum Lagertor, ist bis auf den Fels ausgewaschen. Überall liegen Haufen von alten Kleidern, Schuhe, verlorene Stofftiere, Plastikmüll.
    Tagelanges Warten auf die Registrierung
    In den Olivenhainen rund um das Camp müssen die Flüchtlinge tagelang auf ihre Registrierung warten. Es gibt kaum Zelte oder sonstigen Schutz. Die meisten Menschen müssen unter freiem Himmel ausharren. Willkommen in Europa – so hatten sie sich das wohl nicht vorgestellt.
    Vor dem Tor gibt es Tumult. Die Menschen drängeln, wollen endlich rein. Einige der Flüchtlinge haben sich mit Stöcken bewaffnet und halten die anderen auf Abstand. Hinter dem Zaun stehen griechische Polizisten mit Helmen und Schilden; sie greifen nicht ein.
    Die Nerven der Menschen vor dem Hotspot sind auf das Äußerste gespannt. Viele haben keine trockene Faser mehr am Leib – so wie Mohammed aus Afghanistan und seine Freunde. Aus schwarzen Mülltüten haben sie sich Regenumhänge gebastelt, auf dem Kopf tragen einige Plastiktüten. Aber auch das hält die Nässe auf Dauer nicht ab. Die Männer lassen mich ihre nasse, klamme Kleidung fühlen.
    "Das ist sehr schwierig, hier zu warten. Schauen Sie, ich bin nass. Ich kriege eine Erkältung, ich habe Halsschmerzen, aber keiner hilft uns."
    Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos
    Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos (picture alliance / dpa / Mikhail Voskresenskiy)
    Auf dem Gelände außerhalb der Zäune irren Menschen umher auf der Suche nach Hilfe. Viele hinken, gehen gebückt, tragen in Decken gewickelte Kinder auf dem Arm. Ein Polizist schickt sie zurück.
    "Geht bitte zurück, es gibt hier keinen Arzt, nur im anderen Sektor."
    In den Containern hinter den Zäunen läuft inzwischen die Registrierung. Wenn es die Menschen bis hierhin geschafft haben, werden sie auch medizinisch versorgt. Die Organisation "Ärzte der Welt" kümmert sich um Verletzte und Kranke.
    Seine Kollegen würden ihr Bestes tun, um die Flüchtlinge so schnell wie möglich zu registrieren, sagt mir Dimitris Chamoutsies, einer der verantwortlichen Offiziere. Aber mehr als 2000 oder 3000 Registrierungen pro Tag seien nicht zu schaffen. Wir brauchen einfach mehr Polizeibeamte, sagt er.
    "Wir haben um mehr Kollegen gebeten. Das ist das Hauptproblem. Ob sie uns die auch schicken? Mal sehen!"
    Die Kollegen von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex könnten die griechische Polizei zwar unterstützen, zum Beispiel bei der Aufnahme der Fingerabdrücke. Aufenthaltsgenehmigungen können aber nur griechische Beamte ausstellen.
    Die Anspannung im kleinen Raum ist zu spüren. Während wir reden, arbeitet der Polizist weiter an der Registrierung eines Flüchtlings. Neben ihm sitzen drei Kollegen.
    50.000 Plätze soll Griechenland bereitstellen
    Am Montag bin ich wieder zurück in Athen. Am Sonntag hatten die EU-Staats- und Regierungschefs über die Flüchtlingssituation beraten – wieder einmal. Ihr Beschluss: Auf der Balkanroute sollen Camps entstehen, um den Strom der Flüchtlinge nach Norden zu stoppen.
    50.000 Plätze soll Griechenland bereitstellen. Was das genau bedeutet, bleibt zunächst unklar. Erst am späten Abend gibt Jiannis Mouzalas, der griechische Staatssekretär für Migration, eine Pressekonferenz – sichtlich erschöpft von den Verhandlungen in Brüssel.
    Mit Hartnäckigkeit habe die griechische Regierung das Schlimmste verhindern können: Der ursprüngliche Plan habe vorgesehen, in Griechenland ein Flüchtlingslager mit 50.000 bis 60.000 Plätzen zu schaffen:
    "Ein Lager in dieser Größenordnung hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nirgendwo auf der Welt gegeben. Etwas Ähnliches wurde in den letzten Jahren in Jordanien aufgebaut, was sehr schlecht läuft. Ich habe gesagt, wir können unser Land nicht zu einem Konzentrationslager für Flüchtlinge machen."
    Ein Programm der Gastfreundschaft nennt Mouzalas, Gründungsmitglied der griechischen Sektion von "Ärzte der Welt", was seine Regierung stattdessen plant. 20.000 Plätze für Flüchtlinge sollen auf dem griechischen Festland entstehen – jeweils 10.000 im Raum Athen und 10.000 im Norden Griechenlands. Aber nicht jeweils in einem Lager, sondern in kleineren Camps.
    7.000 Plätze rund um die Hotspots
    Außerdem sind 7000 Plätze rund um die sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln geplant. Mit Unterstützung des UN-Flüchtlingshilfswerks sollen außerdem 20.000 Plätze in ganz normalen Wohnungen geschaffen werden. Das Angebot soll über Mietkostenzuschüsse funktionieren und sich vor allem an Familien richten. Ähnliche Programme für Flüchtlinge gebe es schon in anderen Ländern, sagt Ron Redmond vom UNHCR in Athen.
    "In diesem Fall könnte der Wohnungseigentümer die Miete direkt über den UNHCR erhalten. Das würde den Menschen helfen für eine längere Zeit zu bleiben, und hoffentlich nehmen sie dann auch am Programm teil, das sie auf die Mitgliedsländer verteilt.
    Das ist die Idee: Die Flüchtlinge sollen nicht auf der Balkanroute weiterziehen, sondern gleich Asyl beantragen und dann direkt ein konkretes Aufnahmeland zugeteilt bekommen. Ein wichtiger Punkt auch für Migrationsstaatssekretär Mouzalas. Ziel sei es nicht, zehntausende Flüchtlinge dauerhaft in Griechenland unterzubringen.
    "Wir sprechen nicht von festen Einrichtungen für Flüchtlinge, wir sprechen nicht von dauerhafter Unterbringung, sondern von Gastfreundschaft für die Zeit, bis die Verteilung auf die anderen Mitgliedsländer erfolgreich organisiert ist. Also für die Dauer von zwei bis vier Monaten."
    Damit das gelingt, müssten sich die EU-Mitgliedsstaaten aber erst auf ein System der Verteilung einigen. Relocation heißt das im EU-Jargon. Nur dann würden wieder Plätze frei für Flüchtlinge, die neu in Griechenland ankommen.
    Nur Zusage für 66.000 Flüchtlinge
    Aber Tatsache ist: Die bisher zugesagte Zahl wird nicht reichen. Zur Aufnahme von rund 66.000 Flüchtlingen aus Griechenland – innerhalb von zwei Jahren – haben sich die anderen Mitgliedsländer bereit erklärt. Zum Vergleich: Das entspricht ungefähr der Zahl an Flüchtlingen, die innerhalb von zwei Wochen auf den griechischen Inseln angekommen sind.
    Schwierig bis unmöglich sei es auch, für so viele Menschen in kurzer Zeit Unterkünfte zu schaffen, sagt Angelos Syrigos, Professor für internationales Recht an der Athener Panteion-Universität:
    "It's difficult, difficult to the level of impossible."
    Spät abends sitzen wir in seinem Büro, aber Syrigos ist bei diesem Thema noch hellwach. In der Vorgängerregierung war er zuständig für Migration und Flüchtlinge. Der Bau von neuen Flüchtlingscamps müsse nach den EU-Vorgaben ausgeschrieben werden. Ein Prozess, der viel zu lang dauere. Jetzt gelte es, möglichst schnell Quartiere zu finden – bevor der Winter kommt.
    Athen, Viktoria-Platz. Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und dem Iran versammeln sich neben Wahlplakaten.
    Athen, Viktoria-Platz. Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und dem Iran versammeln sich neben Wahlplakaten. (Deutschlandradio / Stephanie Cisowski)
    "Wir müssen das als Notfallsituation für unser Land begreifen und sofort alle verfügbaren Orte nutzen, um diese Leute unterzubringen: Leer stehende Hotels, große Sportanlagen, alles, was den Flüchtlingen im Winter ein Dach über dem Kopf bieten kann."
    In Athen hat die griechische Regierung in den letzten Monaten bereits Unterkünfte für Flüchtlinge geschaffen. Eines davon ist das Camp in Elleonas.
    Seiyad Ali Ahmad hat schon eine lange Reise hinter sich. Mit seinem Freund und dessen Familie ist er aus Afghanistan geflohen. Sie gehören der Volksgruppe der Hazara an. Die Taliban hätten sie verfolgt, erzählt der 16-jährige Junge.
    "1000 Dollar mussten wir für die Überfahrt bezahlen, davor haben wir zu Fuß viele Berge überquert, ohne Essen, ohne Wasser."
    Flüchtlingscamp in Elleonas für 550 Menschen
    Im Flüchtlingscamp in Elleonas, wo sie vor zwei Tagen ankamen, sind sie jetzt in Sicherheit und können sich von den Strapazen ausruhen. Es liegt in einem heruntergekommenen Industriegebiet am Rand der Athener Innenstadt. In zehn Reihen stehen die aufgebockten Wohncontainer, jeder bietet Unterkunft für Familien mit bis zu acht Mitgliedern. 550 Menschen sind hier derzeit untergebracht.
    Rund 8000 waren insgesamt schon zu Gast, seit die griechische Regierung das Camp eröffnete. Die meisten Flüchtlinge wollen schnell weiter, erzählt mir Anthi Karangeli, die Leiterin des Camps.
    "Die Menschen hier kommen aus Afghanistan und Syrien. Sie sind mindesten einen Monat unterwegs gewesen und wollen hier wieder zu Kräften kommen, sie wollen ihre Weiterreise organisieren und dann auf den Weg machen in ihre Zielländer in Mittel- und Nordeuropa."
    Asyl in Griechenland beantragen nur die wenigsten. Die Zahl, der Menschen, die zumindest vorübergehend in der griechischen Hauptstadt bleiben, hat in den vergangenen Wochen dramatisch zugenommen. Die Atmosphäre im Camp ist friedlich. Unter einem großen, offenen Zelt sitzen Kinder am Tisch, malen und basteln.
    Pinelopi Mitsakaki hat ein kleines Mädchen auf dem Arm und singt. Einmal in der Woche kommt sie mit einer Freundin und kümmert sich um die Kinder – als Freiwillige der Organisation "Playgroup Hellas", die sich um Kinder von Flüchtlingsfamilien kümmert:
    "Wenn wir hier sind, verstehen wir besser, was passiert, welche Bedürfnisse die Menschen haben, ob sie Kleider, Essen oder Spielsachen brauchen. Und dann helfen wir, so viel wir können."
    Nordeuropa meistens Wunschziel
    Die Unterstützung durch Freiwillige sei etwas ganz Besonderes, sagt Campleiterin Anthi Karangeli. Auch durch ihre Hilfe sei es möglich, den Flüchtlingen hier einen Rückzugort zu bieten:
    "Hier ist alles sehr ruhig. Wir arbeiten gut mit den Flüchtlingen zusammen, bei der Reinigung der Anlagen zum Beispiel. Es gibt zwei große Aufenthaltsbereiche für die Kinder und für die Erwachsenen, wo sie zusammen etwas essen oder Karten spielen können. Die Flüchtlinge sollen sich hier entspannen können, von der Gewalt, die sie gesehen haben, von allem, was sie durchgemacht haben."
    Aber dann setzen die meisten ihre Flucht fort und wissen nicht, was sie noch alles erwartet. Nur ihr Ziel haben sie klar vor Augen.
    "We want to go to Germany, inshallah."
    Die griechischen Politiker Alexis Tsipras (Syriza) und Panos Kammenos (Anel) stehen nebeneinander auf einer Bühne und reißen die Arme in die Höhe.
    Alexis Tsipras (Syriza) und Panos Kammenos (Anel) feiern in Athen den Ausgang der Parlamentswahl in Griechenland. (afp /Louisa Gouliamaki)
    Nach Deutschland wollen Seiyad, sein Freund und dessen Familie. Die Regierung aus linker Syriza und rechtspopulistischer Anel hätten in der Flüchtlingspolitik schwere Fehler gemacht, kritisiert Angelos Syrigos. Nach dem Wahlsieg im Januar habe sie plötzlich alle Menschen, die Griechenland erreichten, als Flüchtlinge betrachtet. Auch wenn sie ihre Heimat aus wirtschaftlicher Not verlassen haben, sagt der Migrationsexperte von der Panteion-Universität.
    "Das zweite Problem war: Weil die Zahl der ankommenden Menschen enorm anstieg, hörten wir damit auf, festzustellen, wo sie wirklich herkommen. Das war sehr entscheidend. Weil viele Leute behaupten, sie seien Syrer, obwohl sie aus anderen arabischen Ländern kommen."
    In den sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln werden die Flüchtlinge jetzt registriert - nach einem einheitlichen europäischen System. Immerhin ein Fortschritt, meint der Migrationsexperte. Die Hotspots seien aber keine Lösung für das Flüchtlingsproblem. Denn am Grundsatz der europäischen Flüchtlingspolitik habe sich nichts verändert.
    "Es ist heuchlerisch: Es gibt keine legalen Wege für Flüchtlinge, in die EU einzureisen. Gleichzeitig nehmen wir jeden auf, dem es gelingt, unser Land illegal zu erreichen. Das ist das falsche Signal – sowohl für die Schlepper als auch für diese Menschen."
    Zukünftig Organisation in Griechenland
    Bisher wollten die meisten Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Griechenland möglichst schnell weiter Richtung Nordeuropa. Doch wenn die Brüsseler Entscheidungen greifen, müssen sie in Zukunft vorerst in eines der geplanten Lager in Griechenland. In Zukunft, so der Plan, sollen die Flüchtlinge hier Asyl beantragen, um dann auf die Mitgliedsländer verteilt zu werden.
    Im Wartebereich der griechischen Asylbehörde: Unter einer großen Zeltplane stehen bunte Bänke. Auf den gelben zum Beispiel sitzen Asylbewerber, die ihren Erstantrag stellen, die roten sind für die Interviews, die über den Asylantrag entscheiden. Idris aus Syrien wartet mit seiner Frau auf das Gespräch mit einem Mitarbeiter der Behörde.
    Seit zehn Jahren lebt er in Griechenland, erzählt er mir, bis 2010 hatte er Arbeit. Doch dann kam die Krise und er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Erst vor einigen Monaten hat er Asyl beantragt – und will, wenn es klappt, trotzdem weiterziehen.
    "Wir wollen uns etwas Neues aufbauen und nach Deutschland oder Dänemark gehen. In Griechenland gibt es keine Arbeit."
    Und wenn es welche gäbe, fragt ihn die Sprecherin der Behörde.
    "Dann würden wir hier bleiben."
    Ein Asylrecht, das den Namen auch verdient, gibt es in Griechenland erst seit zweieinhalb Jahren. Da nahm die Asylbehörde ihre Arbeit auf. Zwischen 1000 und 1200 Menschen pro Monat haben in diesem Jahr hier Asyl beantragt. 2014 waren die Zahlen etwas niedriger. Etwa die Hälfte der Bewerber wird anerkannt, sagt Maria Stavropoulou, die Leiterin der Behörde.
    "Früher war das viel schwieriger. Die Anerkennungsquote lag bei einem Prozent. So niedrig, dass natürlich der Eindruck entstand, das Verfahren sei nicht richtig fair. Das war der Grund dafür, warum eine völlig neue Asylbehörde aufgebaut wurde."
    Die vorgesehene Verteilung von 66.000 Flüchtlingen sei zwar ein Ansatz für mehr Solidarität, meint Maria Stavropoulou, die früher für das UN-Flüchtlingshilfswerk gearbeitet hat. Aber der Kompromiss reiche bei Weitem nicht.
    "So, wie die Verteilung jetzt organisiert ist, wird eine Frage nicht beantwortet: Was passiert mit all den anderen Flüchtlingen, die nicht in das Programm passen? Im Moment kommt nur einer von 15 Flüchtlingen für das Programm infrage. Es gibt eine Grenze von 33.000 Flüchtlingen pro Jahr, die auf die Mitgliedsländer verteilt werden. So viele Menschen kommen derzeit in drei Tagen nach Griechenland."
    Am Tag nach unserem Gespräch werden die ersten sechs Familien aus Syrien und dem Irak nach Luxemburg geflogen – insgesamt 30 Menschen. Die griechische Asylbehörde hat sie in Zusammenarbeit mit internationalen Hilfsorganisationen wie dem UNHCR ausgesucht. Immerhin ein bescheidener Anfang.
    Am Athener Flughafen umarmt der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras einen Familienvater und tätschelt die Köpfe der Kinder. Auch EU-Parlamentspräsident Schulz und der luxemburgische Außenminister Asselborn sind gekommen.
    Für diese Menschen ist es hoffentlich der Beginn einer besseren Zukunft. Aber gleichzeitig kommen hunderte Flüchtlinge neu auf den griechischen Inseln an. Am Abend zuvor sind vor Lesbos wieder fünf Flüchtlinge ertrunken, darunter zwei Kinder. Die Flüchtlingskrise in Griechenland geht weiter - und das Sterben in der Ägäis.