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Griechenland-Hilfe
Giegold fordert Schuldenerleichterungen

Der Europaparlamentarier Sven Giegold (Grüne) hat es als größtes Manko des neuen Hilfspakets für Griechenland bezeichnet, dass es keine Zusage für Schuldenerleichterungen gebe. Nur damit könne Griechenland aber dauerhaft im Euro bleiben, sagte Giegold im Deutschlandfunk.

Sven Giegold im Gespräch mit Dirk Müller |
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen.
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen. (imago/ Rainer Weisflog)
    In dem Beschluss der Euro-Finanzminister zum neuen Hilfspaket für Griechenland von gestern Abend sei keine feste Zusage für eine Schuldenerleichterung vorgesehen, sagte Giegold im Deutschlandfunk. Es gebe lediglich Hinweise, dass Maßnahmen ergriffen werden könnten. Das deute Probleme mit der Schuldentragfähigkeit an. Auch der Internationale Währungsfonds besteht nach der Einigung über das Griechenland-Hilfspaket auf Schuldenerleichterungen für Athen. Zugleich ließ IWF-Chefin Christine Lagarde offen, ob der IWF bei dem neuen Programm mitmachen wird.
    Die Zustimmung der Euro-Finanzminister zum dritten Hilfsprogramm wertete Giegold als Niederlage für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Erst habe dieser den Grexit nicht durchsetzen können, jetzt keine weiteren Verzögerungen. Schäuble habe sich der europäischen Vernunft beugen müssen, denn die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands wäre eine schwere Bürde für alle weiteren Euro-Staaten, so Giegold.
    Für die griechischen Bürger bringt das Hilfsprogramm nach Giegolds Einschätzung allerdings schwere Einschnitte mit sich. Es werde zunächst zwei Jahre der Rezession und damit neue Armut und neue Arbeitslosigkeit geben. Das Programm enthalte aber auch sinnvolle Strukturreformen, beispielsweise im Steuersystem.
    Giegold kritisierte die fehlende Transparenz der Beratungen der Eurogruppe bei der Griechenland-Rettung. "Alle haben gesehen, wie undemokratisch die Eurogruppe funktioniert", sagte der Europaparlamentarier. Es gebe keine Protokolle und keine Informationen darüber, welcher Minister welche Meinung vertrete. Anders als etwa das Bundeskabinett sei die Eurogruppe aber keine aus Wahlen hervorgegangene europäische Regierung, betonte Giegold.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Euro-Finanzminister stimmen also weiteren Milliarden für Griechenland zu und auch der deutsche Finanzminister hat zugestimmt. Am Telefon ist nun der grüne europaabgeordnete Finanz- und Haushaltspolitiker Sven Giegold, guten Morgen!
    Sven Giegold: Ja, guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Giegold, Sie kennen ihn ganz gut, warum ist Wolfgang Schäuble jetzt umgefallen?
    Giegold: Tja, es ist auf jeden Fall eine schwere Niederlage für Herrn Schäuble. Erst konnte er den Grexit nicht durchsetzen, jetzt kann er die weiteren Verzögerungen nicht durchsetzen. Das ist zunächst einmal eine gute Botschaft. Aber warum ist er umgefallen? Ich vermute letztlich, weder in der Bundesregierung gab es eine Mehrheit für seine Position noch unter den Europartnern. Und letztlich wollte er vermutlich nicht an sich das Scheitern des Euros verantworten. Und damit musste er sich der europäischen Vernunft beugen.
    Müller: Also, er hat ein bisschen jetzt die Position beziehungsweise die Position umgesetzt, wie Sie das auch verlangen, Ja zu weiteren Hilfen. Weil - das ist jetzt meine Frage - das politisch opportun ist?
    Giegold: Nein, der Grund für die neuen Hilfen ist ja klar. Griechenland wird sonst zahlungsunfähig und würde damit eine schwere Bürde erzeugen für alle weiteren Staaten in der Eurozone. Denn damit wäre klar, der Euro steht eben unter Vorbehalt und ist nicht für Dauer geschaffen. Und das ist auch der Grund, warum praktisch alle in Brüssel dafür sind, ernsthaft mit den Griechen ein neues Paket zu verhandeln. Und das ist jetzt ja auch gelungen. Man muss nur sagen, dass die Bürde für die Griechen eben auch extrem hart ist, denn dieses Paket beinhaltet die Privatisierung von zwei Dritteln des griechischen Staatsvermögens, was unrealistisch erscheint, die 50 Milliarden, und auch wiederum Einschnitte, die gerade auch die Armen treffen.
    Mehr Reformen umgesetzt als jedes andere Land in der OECD
    Müller: Das sagen Sie jetzt gerade. Das heißt, Sie gehen fest davon aus, auch wenn dieses Milliardenpaket kommt - es ist immerhin jetzt das dritte -, wie auch immer an Kontrollen und Auflagen dann gebunden, wird zwar vielleicht einiges passieren, wenn die Griechen diesmal Wort halten, aber die Wirtschaft wird nicht auf die Beine kommen?
    Giegold: Also, zunächst einmal bin ich da nicht genauso defätistisch. Es wird erst mal nach den eigenen Einschätzungen zwei Jahre Rezession geben. Zwei Jahre Rezession bedeutet neue Armut, neue Arbeitslosigkeit, das muss man auch klar sagen. Gleichzeitig sind in dem Paket zahlreiche Strukturreformen enthalten, wenn sie umgesetzt werden, die wirklich sinnvoll sind, einige Dinge im Steuerbereich passieren, die lange die vorigen Regierungen, man muss sagen, über Jahrzehnte verzögert haben. Zum Beispiel dass sämtliche Steuersünder, die also ihre Steuerverpflichtungen nicht bezahlen, dass die in Zukunft ins Internet gestellt werden. Das wird enormen Druck auf die Millionäre machen, die bisher einfach nicht bezahlen und sich darauf verlassen, dass es keiner mitbekommt.
    Müller: Da reden wir seit drei, vier Jahren drüber, geändert hat sich noch nichts!
    Giegold: Das ist völlig richtig, der Mangel an Umsetzung ist schlimm. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, wie wir neulich von der OECD gelernt haben: Griechenland hat mehr Reformen umgesetzt als irgendein anderes Land in der OECD. Deutschland kommt in dieser Liga seit der Großen Koalition und auch schon unter CDU und FDP eher als einer ganz hinten, die Reformen sind schon davor gemacht worden. Nein, Griechenland bekommt ja kein neues Geld für Konsum, sondern es geht um die Möglichkeit, die bestehenden Schulden zu refinanzieren, und die Reformverpflichtungen gehen weiter. Es ist auch richtig, dass das Geld nur gegen Auflagen gezahlt wird. Es ist bitter, dass diese Auflagen wiederum eine soziale Schieflage haben.
    Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt
    Müller: Viele Links-Politiker argumentieren, viele linke Wirtschafts- und Finanzpolitiker, wir geben den Griechen nur Geld, damit das Geld wieder wie auch immer verzinst und mehr an uns zurückfließt. Ist da was dran?
    Giegold: Also, zunächst einmal gehört zu dieser Argumentation – und das fehlt mir dann, wenn ich Sahra Wagenknecht oder so zuhöre immer –, dass ja, wenn ... dass die Banken, die das Geld ja letztlich bekommen haben aus den Euro-Rettungspaketen, dass die die Kredite vorher den Griechen gegeben haben und Griechenland hat dieses Geld konsumiert. Also, es ist ja nicht wahr, dass das Geld einfach nur in die Banken geflossen ist. Und dieser Teil der Geschichte wird immer nicht erzählt. Griechenland hat tatsächlich über seine Verhältnisse gelebt, genauso wie Deutschland - und das wiederum wird hier oft nicht gesagt - unter seinen Verhältnissen lebt und damit ein Problem für die Eurozone erzeugt.
    Müller: Sagen Sie das noch mal ganz kurz, warum das so ist aus Ihrer Sicht, warum lebt Deutschland unter seinen Verhältnissen?
    Giegold: Wir haben einen Leistungsbilanzüberschuss, also platt gesagt: Wir exportieren mehr als wir importieren, zwischen sechs und sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dieses Geld könnte ja auch in Deutschland investiert werden. Wir könnten höhere Löhne bezahlen für diejenigen, die unter Niedriglöhnen leiden. Das würde dazu führen, dass dieser Leistungsbilanzüberschuss sinkt. Und das wäre auch ökonomisch für unsere Partner gut, weil, ein Leistungsbilanzüberschuss bedeutet nichts anderes als dass die sich bei uns verschulden müssen. Und da ist die deutsche Politik schizophren. Wir sagen einerseits, unsere Partner sollen sich nicht verschulden, andererseits bestehen wir aber auf unserem Leistungsbilanzüberschuss. Jeder Ökonom bekommt davon Wirrnis im Kopf.
    Wir investieren zu wenig in die Zukunft
    Müller: Herr Giegold, verstehe ich nicht ganz, denn ... Das ist ja auch immer die Argumentation der französischen Politik, da hat es häufig Kritik gegeben an diesem Handelsbilanzüberschuss, Leistungs...
    Giegold: Überall in Europa gibt es diese Kritik, wenn ich das sagen darf, Herr Müller. Es ist ausschließlich so, dass in Deutschland alle auf ihrem Privileg bestehen, während sonst überall in Europa gesagt wird, wir reden über alle möglichen Probleme in der Eurozone, nur dieses ist tabuisiert!
    Müller: Christine Lagarde hat das ja auch immer getan, IWF-Chefin. Sie hat dabei allerdings in Frankreich es nicht geschafft, ihren eigenen Haushalt in irgendeiner Form vernünftig aufzustellen. Leistungsbilanzüberschuss, wir verkaufen BMWs nach China, auch nach Griechenland, auch nach Athen nach wie vor und müssen aufgrund dessen, sagen Sie, auch jetzt mehr Geld hierzulande investieren, das heißt, das Geld in die Wirtschaft zurückpumpen?
    Giegold: Nein, es ist doch auch unser eigenes Problem. Wir investieren zu wenig in die Zukunft. Und wir leben auch in Deutschland von der Substanz. Deshalb sollten wir in die Zukunft investieren. Was ich aber, um auf Griechenland zurückzukommen, wichtig finde, ist, dass wir jetzt nicht einfach sagen, gut, dass der Deal gemacht ist, jetzt stimmen noch die Parlamente zu und ansonsten geht in der Eurozone alles weiter wie bisher, sondern. Und das geht es nicht um den deutschen Leistungsbilanzüberschuss, sondern es geht vor allem um den Mangel an Demokratie, es haben jetzt alle in Europa gesehen, wie undemokratisch die Eurogruppe am Ende funktioniert, wie intransparent wieder über Nacht wichtige Entscheidungen für ein ganzes Volk getroffen werden, ohne dass dort eine europäische parlamentarische Kontrolle effektiv wäre. Es braucht jetzt eine Reform der Eurozone und insbesondere ein Mehr an Demokratie in diesem ganzen Prozess. Ansonsten befürchte ich, dass sich die Europäer irgendwann davon verabschieden müssen, die Bürger Europas.
    Bei der Eurogruppe gibt es nicht einmal ein Protokoll
    Müller: Sie sind ja Europaparlamentarier. Das heißt, Sie wollen die Kompetenz im Europaparlament haben, auch so was abzusegnen. Es geht ja immerhin jetzt auch beispielsweise in den Bundestag nächste Woche!
    Giegold: Ganz genau. Aber die nationalen Parlamente sind ja an dieser Stelle auch Teil des Problems. Denn sie sorgen dafür, dass nur eine Summe nationaler Meinungen dann den Kompromiss auf der europäischen Ebene abbilden. Und da besteht eben immer die Befürchtung, dass das europäische Gemeinwohl außen vor bleibt. Und mir geht es aber nicht nur darum, welches Parlament entscheidet. Mir geht es auch, solange das nationales Geld ist ...
    Müller: Es ist ja nationales Geld.
    Giegold: Absolut! Deshalb ist das völlig legitim, dass im Moment der Bundestag und die nationalen Parlamente beschließen. Wir brauchen letztlich einen europäischen Währungsfonds mit europäischem Geld und dann natürlich auch eine europäische Verantwortung. Das gehört zusammen. Aber das Entscheidende ist ja auch die Intransparenz des Prozesses. Sie erfahren ja überhaupt nicht aus der Eurogruppe, wer an welcher Stelle was gefordert hat. Es gibt keine Protokolle, welcher Minister welche Meinung vertreten hat. Nicht mal die Kollegen im Bundestag können genau kontrollieren, seit wann Wolfgang Schäuble zum Beispiel auf einen Grexit zielt. Ich erfahre, seit 2012. Das ist doch nicht demokratisch, das muss transparent geschehen und nicht in dieser Form von Hinterzimmerdemokratie.
    Nur mit einer Schuldenerleichterung bleibt Griechenland im Euro
    Müller: Bekommen Sie denn aus dem Bundeskabinett Mails, wer was da entschieden und gesagt hat?
    Giegold: Nein, das bekomme ich nicht. Aber es ist auch ein Unterschied. Die Eurogruppe ist eben keine europäische Regierung, die auf einer europäischen Wahl hervorgegangen ist, sondern es sind Repräsentanten nationaler Regierungen, die dann doch wenigstens von ihren nationalen Parlamenten effektiv kontrolliert werden können müssen. Wie soll das denn geschehen, wenn es nicht mal ein Protokoll gibt?
    Müller: Herr Giegold, wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich hatte ganz vergessen, Sie das zu fragen! Christine Lagarde, als Stichwort habe ich es schon genannt, der IWF: Wird der IWF mitmachen?
    Giegold: Ja, das hängt ja daran, ob es eine Schuldenerleichterung gibt. Und das ist sicherlich auch das größte Manko dieses gesamten Pakets. Es gibt bisher keine feste Zusage auf eine Schuldenerleichterung. Aber immerhin besteht der Beschluss der Eurogruppe, dass da Maßnahmen erlassen werden. Womit natürlich ein Widerspruch erzeugt worden ist, weil, das deutet ja an, dass es ein Problem mit der Schuldentragfähigkeit gibt, die aber umgekehrt Voraussetzung für das Programm ist. Es ist ein großer Fehler, dass das nicht gleichzeitig ins Werk gesetzt wurde. Daran leidet auch die Glaubwürdigkeit des Programms. Und nur mit einer Schuldenerleichterung kann es möglich sein, dass auf Dauer Griechenland im Euro bleibt. Denn so sind die Schulden nicht tragfähig und die Investitionen werden erst dann richtig in Gang kommen, wenn die Akteure und die Unternehmen wissen, dass Finanzstabilität auch in Zukunft herrscht.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der grüne Europapolitiker und Finanzexperte Sven Giegold. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören! Und Ihnen noch einen schönen Urlaub!
    Giegold: Sehr gerne, danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.