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Griechenland-Kompromiss
"Das ist ein Segen für die griechische Wirtschaft"

Wegen des Schuldenstreits sei in den vergangenen Wochen für die griechische Wirtschaft ein erheblicher Schaden entstanden, sagte Athanassios Kelemis von der deutsch-griechischen IHK im DLF. Nun brauche es erhebliche Kraftanstrengungen, um aus der Rezession zu kommen.

Athanassios Kelemis im Gespräch mit Mario Dobovisek | 14.07.2015
    Eine Schlange von Menschen vor einer Bank in Athen.
    "Wir müssen uns das auf der Zunge zergehen lassen: Das ist die dritte Woche, in der die Banken geschlossen haben", sagte Athanassios Kelemis. (picture alliance/dpa/Alexandros Vlachos)
    Athanassios Kelemis begrüßte den Beschluss der Euroländer, wieder über neue Finanzhilfen für Griechenland verhandeln zu wollen. Die griechische Wirtschaft habe sich schon lange auf die Seite Europas gestellt. "Ich glaube, die Griechen haben hier in den vergangenen fünf Jahren versäumt, grundlegende Reformen in der Verwaltung und der Wirtschaft zu machen." Er sieht aber auch Verfehlung bei den Geldgebern. Die hätten sich auf die Finanzkonsolidierung in Griechenland konzentriert und vernachlässigt, die Einhaltung vorn Reformversprechen zu überprüfen. Das sei zwar Hausaufgabe der Griechen, aber das Land hätte unter Umständen Hilfe dabei benötigt.
    Der Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen betonte, dass viele deutsche Unternehmen dem Land auch in der Krise treu geblieben seien. Er hoffe nun, dass die Regierung schnell Reformen einleitet. Für dieses Jahr rechneten aber alle noch mit einer negativen Entwicklung.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Wir bleiben bei Griechenland, den Schulden und dem Kompromiss. Es wird weiter verhandelt. Der sogenannte Grexit ist abgewendet, zumindest vorerst. Es hängt noch von vielen Entscheidungen ab. Am Telefon begrüße ich Athanassios Kelemis, er leitet die deutsch-griechische Industrie- und Handelskammer in Athen. Guten Morgen, Herr Kelemis.
    Athanassios Kelemis: Schönen guten Morgen aus Athen.
    Dobovisek: Griechenland stand kurz vor dem Ausscheiden aus der Eurozone. Jetzt gehen die Verhandlungen weiter, so die Parlamente zustimmen. Segen oder Fluch für die griechische Wirtschaft?
    Kelemis: Ich denke, das ist ein Segen für die griechische Wirtschaft. Die griechische Wirtschaft hat schon seit Langem sich ganz eindeutig auf der Seite Europas besinnt. Und im Übrigen: Das hat auch die Mehrheit des griechischen Volkes gemacht. In Umfragen vor dem Referendum hat die überwiegende Mehrheit der Griechen immer wieder gesagt, wir wollen in der Eurozone bleiben, wir sind überzeugte Europäer, auch wenn das bedeutet mit einer sehr, sehr großen Kraftanstrengung, und die Kraftanstrengung ist in der Tat da.
    Ein erheblicher Schaden für die griechische Volkswirtschaft
    Dobovisek: Wie sehr hat das Hin und Her bei den Verhandlungen in den vergangenen Wochen und Monaten die Wirtschaft verunsichert?
    Kelemis: Sehr stark. Ich meine, wir müssen uns das auf der Zunge zergehen lassen. Das ist die dritte Woche, wo in Griechenland die Banken geschlossen haben, wo es Kapitalverkehrskontrollen gibt, und es ist ein erheblicher Schaden mittlerweile für die griechische Volkswirtschaft entstanden.
    Dobovisek: Können Sie den beziffern?
    Kelemis: Ja. Griechische Wirtschaftsprofessoren haben das auf 1,2 Milliarden in den letzten zehn Tagen beziffert. Andere Ökonomen gehen auf 2,6 Milliarden. Das wären zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts Griechenlands. Das sind erhebliche Zahlen. Das sind Zahlen, die eine ganz große Kraftanstrengung bedeuten in der verbleibenden Zeit bis zum Jahresende, damit das einigermaßen nachgeholt werden kann.
    Das wird sehr schwierig sein, in diesem Jahr einen Primärüberschuss zu erreichen. Keiner geht mittlerweile davon aus, dass das der Fall sein wird. Im Gegenteil: Wir rechnen alle mit einer negativen Wirtschaftsentwicklung in diesem Jahr.
    Dobovisek: Also eine Rezession für Griechenland?
    Kelemis: Korrekt. Leider eine weitere. Das wäre das sechste Jahr in Folge. Und ich darf Sie daran erinnern: Es hat die ersten positiven Zeichen im dritten Quartal 2014 gegeben, wo sehr wichtige Wirtschaftsindikatoren nach oben zeigten. Da ist die Arbeitslosigkeit beispielsweise um 0,7 Prozent zurückgegangen. Da hat es einen Primärüberschuss gegeben. Da hat es wieder mal Investitionen in Griechenland gegeben. Große Unternehmen konnten sich an den internationalen Finanzmärkten finanzieren. All das ist leider innerhalb kürzester Zeit verloren gegangen.
    Konflikte im Rahmen der europäischen Vision lösen
    Dobovisek: Sie stehen als deutsch-griechische Industrie- und Handelskammer ja so ein bisschen zwischen den Stühlen, wenn man so will. Wer trägt denn Schuld an dieser Misere? Ist das die griechische Regierung, ist das Europa, vor allem Deutschland?
    Kelemis: Wissen Sie, wenn Verhandlungen scheitern - und ich habe das Beispiel wie wir alle in Europa und womöglich in der ganzen Welt, wie diese Verhandlungen bei dem letzten Euro-Gipfel und bei der Eurogruppen-Sitzung alle gelaufen sind -, ich hatte persönlich den Eindruck, dass da Fronten aufgebaut worden sind.
    Und für mich als überzeugtem Europäer denke ich, man muss sich auf die Gemeinsamkeiten besinnen und die Konflikte im Rahmen der europäischen Vision und des europäischen Wertesystems versuchen zu lösen. In Europa haben wir ja keine Feindbilder, wir sind alle gleichberechtigte Partner und Feindbilder haben keinen Platz in einem vereinigten Europa im 21. Jahrhundert.
    Was bedeutet das aber konkret, weil Sie haben eine ganz konkrete Frage gestellt? Ich glaube, die Griechen haben hier in den vergangenen fünf Jahren versäumt, grundlegende Reformen in der Wirtschaft und in der Verwaltung durchzuführen, und jetzt zahlt man die Zeche, weil das Programm gilt jetzt als ein sehr schweres Programm, weil dieses Programm enthält natürlich alle diese Reformen, die in den vergangenen Jahren nicht umgesetzt werden konnten aus mehreren Gründen.
    Da ist ein gewisser Fehler, wenn Sie wollen, auch auf der Europäischen Union, auf den europäischen Partnern zu sehen, weil die Partner haben sich in den vergangenen fünf Jahren primär konzentriert auf Finanzkonsolidierungsfaktoren, auf die Einhaltung der vereinbarten Ziele, und haben für meine Begriffe auch ein bisschen vernachlässigt, was macht Griechenland in den Reformen, wieweit kommt es, wieweit ist die Staatsmodernisierung, wieweit ist Griechenland mit der Öffnung von geschlossenen Berufen.
    Ich kann unheimlich viele Bereiche zählen, wo hier ein Nachholbedarf ist, und leider Gottes hat man nicht darauf aufgepasst.
    Im Übrigen: Das ist eine Hausaufgabe der Griechen. Davon bin ich fest überzeugt. Das sind Sachen, die man nicht von außen aufdiktiert bekommt, sondern die hätte man selbst machen müssen. Aber okay, hier hätte das Land unter Umständen eine technische Hilfe benötigt, damit diese Reformen auch zügig über die Bühne laufen.
    Chance der Griechen, die richtigen Signale nach Europa zu senden
    Dobovisek: Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vor Beginn des Gipfels in Brüssel am Sonntag noch gesagt, die wichtigste Währung, das Vertrauen sei verloren gegangen. Gilt das auch für zum Beispiel deutsche Unternehmen, Investoren, die in Griechenland investieren wollen?
    Kelemis: Ja wissen Sie, die deutsche Wirtschaft ist während der Krise hier in Griechenland geblieben, und nicht nur das. Die hat teilweise auch neu investiert, die haben die Kapitalstrukturen auch gestärkt nach dem letzten Haircut.
    Die Wirtschaft bleibt dem Land treu, glaubt an das Entwicklungspotenzial, was das Land hat, und da sehe ich im Moment keine Schwierigkeiten.
    Sie sprachen das Thema der Investitionen an. In der Tat: Im Moment können wir niemanden überzeugen, ob aus Deutschland kommend oder aus Europa, hier in Griechenland zu investieren. Das ist im Moment eine instabile Situation. Vertrauen ist verloren gegangen.
    Die Verlässlichkeit und die Glaubwürdigkeit der griechischen Wirtschaft, der griechischen Regierung, der griechischen politischen Elite ist verloren gegangen und das muss wiederhergestellt werden. Jetzt hat das politische System eine einmalige Chance, sehr schnell zu reagieren und wirklich Signale, die richtigen Signale nach Europa zu schicken, von Entschlossenheit und von Mut, die notwendigen Reformen über das Parlament zu bringen und auch umzusetzen.
    Dobovisek: Und werden diese Signale, Herr Kelemis, mit der Regierung Tsipras erfolgen?
    Kelemis: In der Regierung, im politischen System, meine ich, haben wir eine ganz besondere Situation. Erstmalig in der griechischen Geschichte des Parlaments gibt es eine Regierung, die nicht die Mehrheit in der eigenen Fraktion hat, aber die Mehrheit im Parlament. Das ist wirklich ein Novum und das zeigt für meine Begriffe, wie stark sich die politische Elite Griechenlands hinter diese Vereinbarung stellt und sagt, das ist die Chance für das Land, sich endgültig zu modernisieren. Also ein qualitativ neues Element, und das sehen wir hier sehr positiv.
    Dobovisek: Athanassios Kelemis, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Kelemis: Sehr gerne. Schönen Tag auch für Sie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.