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Griechenland
Millionen ohne Krankenversicherung

Griechenland scheint gerettet - die Sparauflagen sind umgesetzt, der Haushalt wieder stabil. Doch das griechische Sozialsystem kollabiert: Millionen Griechen können sich keine Krankenversicherung mehr leisten, werden nicht behandelt, bekommen keine Medikamente. Die Gesundheit der Bevölkerung steht auf dem Spiel.

Von Thomas Bormann | 05.06.2014
    Ein älterer Mann steht am 10. März 2014 vor einer geschlossenen Apotheke in Athen, deren Besitzer gegen die Pläne der Regierung mit Streik protestiert, verschreibungsfreie Medikamente in Supermärkten zu verkaufen.
    Für Griechen ohne Krankenversicherung gibt es in der Apotheke keine Medikamente mehr. (epa / Orestis Panagiotou)
    Im Wartezimmer der Hilfsorganisation "Ärzte der Welt" herrscht jeden Tag dichtes Gedränge. Wer keine Krankenversicherung mehr hat, hofft hier auf Hilfe:
    "Ich bin krank - nierenkrank. Ich habe Nierensteine."
    "Ich habe ein Magengeschwür und muss deswegen jeden Tag Medikamente nehmen."
    Hier bekommen sie die Tabletten. Ohne Krankenschein. Die Medikamente stammen aus Spenden: Wer zuhause Tabletten übrig hat, gibt sie bei der Hilfsorganisation ab – die Ärzte, die allesamt nach Feierabend ohne Lohn hier arbeiten; geben die Medikamente an die Bedürftigen weiter. An der Rezeption sitzt die junge Krankenschwester Marianti:
    "Hier kommen so 100, 120 Leute am Tag her. Sie wollen Medikamente holen oder einen Arzt besuchen. Wir haben einen genauen Plan, an welchem Wochentag welcher Facharzt hier ehrenamtlich tätig ist. Früher kamen nur ausländische Flüchtlinge hierher, aber jetzt kommen immer mehr Griechen."
    Einer von ihnen ist der 60-jährige Konstantinos, der hier seine Medizin gegen das Magengeschwür bekommt. Seine Knie schmerzen auch. Er muss auf Krücken gehen. Konstantinos hatte früher in einer Motorradwerkstatt gearbeitet. Aber seine Gesundheit machte nicht mehr mit. Weil er schon länger arbeitslos ist; bekommt er keinen Cent Unterstützung vom Staat, er lebt vom Ersparten und von Hilfe aus der Familie. Beiträge zur Krankenversicherung kann er sich nicht leisten. Er ist wütend auf die Versicherung, auf den Staat, auf die Regierung:
    "Überlegen Sie sich mal: Ich hatte eine Behindertenrente bekommen und die haben einfach die Rente gestrichen und gesagt: Ich soll wieder arbeiten. Die denken wohl, ich könnte mit meinen Krücken zurück in die Motorradwerkstatt, wie stellen die sich das bloß vor?"
    Alexandros Souvátsis ist Physiotherapeut; er ist in Berlin aufgewachsen, lebt seit zehn Jahren in Athen und arbeitet mindestens acht Stunden die Woche ehrenamtlich in der Klinik der "Ärzte der Welt". Er kennt viele Geschichten von kranken Menschen, für die die Türen der staatlichen Krankenhäuser verschlossen bleiben:
    Nicht allen kann geholfen werden
    "Ich sehe das hier öfters. Wir haben hier viele Leute, die dringend eine Knie-OP brauchen, weil sie ein neues Gelenk brauchen, weil sie über 60 sind, aber die haben nicht die Möglichkeit, das machen zu lassen, so laufen sie mit Schmerzen herum."
    Nicht allen Patienten können die ehrenamtlichen Ärzte helfen; es sind einfach zu viele Hilfsbedürftige.
    Alexandros Souvatsos meint, die Armut in Griechenland ist sichtbar geworden.
    "So ein Bild gab es vor 10 Jahren nicht, dass die Leute in Mülleimern rumgewühlt haben, das gab es einfach nicht."
    Jetzt aber müssen sich viele Griechen ohne staatliche Unterstützung durchschlagen. In vielen Kirchengemeinden öffnet jeden Mittag eine Suppenküche: Dort bekommt jeder eine warme Mahlzeit, ebenfalls finanziert aus Spenden.
    Drei Millionen Griechen haben keine Krankenversicherung mehr, prangert die Oppositionspartei Syriza an. Die Regierung weist diese Zahl zurück, gibt aber zu, dass der fehlende Krankenversicherungsschutz für viele Bürger ein großes Problem ist.
    Gesundheitsminister Àdonis Georgiádis hat versprochen, noch in diesem Monat dieses Problem zumindest teilweise zu lösen: So sollen bereits ab Juli alle Nichtversicherten Hilfe in Krankenhäusern bekommen. Niemand soll künftig dort abgewiesen werden; und jeder soll die nötigen Medikamente erhalten, auch wenn er sie nicht bezahlen kann.
    Wie die vielen anderen Griechen ohne Krankenversicherung hofft Konstantinos, dass die Regierung dieses Gesetz nun auch wirklich zum 1. Juli umsetzt und dass er dann seine Tabletten im staatlichen Krankenhaus bekommt.