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Griechenland
"Regierung hat Staatspleite provoziert"

Es sei höchste Zeit gewesen, der kaum mehr verdeckten Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank ein Ende zu machen, sagte der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing im DLF. Die durch die Unterstützung entstandenen Forderungen hält Issing für verloren - dafür aufkommen müsste auch der deutsche Steuerzahler.

Otmar Issing im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.06.2015
    Otmar Issing, Ex-Volkswirt EZB
    Otmar Issing, Ex-Volkswirt EZB, hält die Begrenzung der Notkredite an Griechenland für richtig. (imago / Sven Simon)
    Verträge müssten eingehalten werden, aber die griechische Regierung habe "in einmaliger Weise die Gläubiger vor den Kopf gestoßen". Deshalb sei es höchste Zeit gewesen, eine Grenze zu setzen, betonte Issing. Die durch die Unterstützung entstanden Forderungen hält Issing für verloren. Das werde auch auf die deutschen Steuerzahler als Belastung zukommen. Es sei auch richtig, die Notkredite für die griechischen Banken zu begrenzen, da sonst nur noch mehr Geld abgehoben würde und zum Teil ins Ausland fließe.
    Er glaube nicht, dass Griechenlands Regierung innerhalb oder außerhalb des Euros ein zukunftsfähiges Modell vorzuweisen habe. In Anbetracht eines möglichen Grexit habe man "in leichtfertiger Weise mit dieser Problematik gespielt". Seiner Ansicht nach deute alles drauf hin, dass die Regierung selbst einen solchen Ausstieg provoziert habe.
    In Kürze können Sie das Gespräch hier nachlesen.
    Sandra Schulz: Im Tauziehen um Griechenland, da hat es an diesem Wochenende eine Vorentscheidung gegeben, die möglicherweise ihren Weg in die Geschichtsbücher finden wird. Am Samstag haben die Finanzminister der Euro-Gruppe ihre Beratungen zum vorerst letzten Mal ohne Ergebnis abgebrochen. Bliebe es dabei, dann liefe das Hilfsprogramm für Griechenland morgen aus mit unkalkulierbaren Folgen, beziehungsweise einer zumindest sehr wahrscheinlichen Folge, nämlich der griechischen Staatspleite.
    In der Nacht auf Samstag hatte der griechische Regierungschef Tsipras ein Referendum über die Sparpolitik angekündigt, was nach Interpretation der Geldgeber die Absage an weitere Verhandlungen war. Die Banken in Griechenland, die bleiben jetzt erst einmal geschlossen, und über die Situation kann ich jetzt sprechen mit Otmar Issing, früher Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank. Heute ist er einer ihrer Kritiker, bei uns jetzt am Telefon. Guten Morgen.
    Otmar Issing: Guten Morgen!
    Schulz: Herr Issing, Sie haben ja für Härte gegen Griechenland plädiert. Heißt das, dass Sie im Prinzip die Entwicklungen vom Wochenende gut finden?
    Issing: Ich weiß nicht, ob das Härte ist, wenn man verlangt, dass Verträge, die man unterschrieben hat, eingehalten werden. Ich bin aber davon überzeugt, dass es höchste Zeit war, dass die Europäische Zentralbank der kaum mehr verdeckten Staatsfinanzierung ein Ende bereitet hat. Bundesbankpräsident Weidmann hat ja schon seit einiger Zeit darauf verwiesen, dass hier die griechische Notenbank Kredite an Banken vergibt in Griechenland, die keinen Zugang zum Kapitalmarkt haben. Diese Banken kaufen Anleihen eines Staates auf, der das Vertrauen der Anleger verloren hat. Das kommt der direkten Staatsfinanzierung sehr nahe.
    Notenbank sollte nicht politische Entscheidungen treffen
    Schulz: Das wird als Verstoß gegen das Mandat der EZB gesehen. Aber umgekehrt gefragt: Hat die EZB das Mandat, bei einem Staat finanziell, jetzt mal flapsig gesagt, den Stecker zu ziehen?
    Issing: Die EZB hat sich zunehmend in diese schwierige Lage hineinmanövriert. Ich stimme Ihren Bedenken zu, dass eine Notenbank so weitreichende Entscheidungen politischen Inhalts nicht treffen sollte. Aber das liegt ja nicht daran, dass die EZB sich danach gedrängt hat, sondern sie hat unter diesen Umständen und inmitten sich unendlich hinziehender Verhandlungen dem Spiel zugeschaut und das weiter finanziert.
    Schulz: Wie sehen Sie die Entwicklungen in Griechenland jetzt? Die Banken bleiben heute zu, sehr wahrscheinlich bis zum kommenden Montag. Es soll jetzt auch Kapitalverkehrskontrollen geben. Heißt das, dass die Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staates möglicherweise doch noch vermieden werden kann, oder heißt das, dass die quasi wirklich vor der Tür steht?
    Issing: Der griechische Finanzminister hat ja, bevor er ins Amt kam, längst gesagt, Griechenland ist pleite. Das wissen alle. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht, wie lange man das hinzieht, und eine Regierung, die in einer solchen Lage seinem Land nun einen Bärendienst erweist, indem man alle Gläubiger, alle solche, die Griechenland weiter unterstützen wollten, in dieser Weise vor den Kopf stößt, ich denke, das ist einmalig.
    EZB muss sich an das Recht halten
    Schulz: Das ist sicherlich in dieser Eskalation, in dieser Gesprächskonfrontation einmalig. Aber wenn wir jetzt noch mal auf die EZB schauen: Die macht jetzt ja Druck. Aber Sie finden das trotzdem noch falsch, was sie macht?
    Issing: Nein. Ich finde, es war höchste Zeit, dass sie eine Grenze für diese Unterstützung gesetzt hat. Das war ja von Anfang an höchst problematisch... Es war mehr oder weniger eine zunehmende Fiktion, dass hier solvente Banken unterstützt werden. Die Europäische Zentralbank hat sich wie andere Institutionen auch an das Recht zu halten.
    Schulz: Lässt sich einschätzen, wie lange Griechenland jetzt noch zurechtkommt mit diesen rund 90 Milliarden Euro?
    Issing: Die griechischen Banken, das ist schwer zu sagen. Aber wenn die EZB dem nicht eine Grenze gesetzt hätte, dann wäre hier weiter Geld produziert worden, das von den Griechen dann abgehoben wird, zum Teil ins Ausland gebracht wird. Das führt dazu, dass im Europäischen Notenbanksystem Forderungen entstehen, immer höhere, weit über 100 Milliarden. Davon fällt ein erheblicher Teil auch auf Deutschland und dieses Geld wird mehr oder weniger verloren sein.
    Schulz: Wie geht es in Griechenland weiter nach diesem 30. Juni, nach morgen?
    Issing: Das sollten Sie nicht mich fragen. Das sollten Sie eine Regierung fragen, die ja alles getan hat, um Griechenland in diese Situation zu bringen und von der nicht zu erkennen ist, dass sie für die Zukunft ein Programm hat, ob im oder außerhalb des Euro, das Griechenland wieder voranbringt.
    Schulz: Wäre die Lage in Griechenland jetzt auch so ernst, wenn in den vergangenen Wochen und Monaten nicht immer wieder vom Grexit gesprochen worden wäre?
    Issing: Nein. Ich meine, ob man davon spricht oder nicht, diese Gefahr bestand ja. Die Öffentlichkeit lässt sich ja nicht länger hinters Licht führen. Griechenland, die griechische Regierung hat in leichtfertiger Weise mit dieser Problematik gespielt. Wie wenig die Griechen bereit waren, sich zu einem verantwortungsvollen Verhalten bereit zu finden, hat ja diese Ankündigung des Referendums gezeigt. Man muss sich das mal überlegen. Das war die Ankündigung eines Referendums, in dem die Regierung empfohlen hat, das Paket, das die Europäer großzügig angeboten haben, abzulehnen, und das, bevor das Paket überhaupt beschlossen war. Ich denke, ein solches Verhalten zeigt deutlich, dass die griechische Regierung offensichtlich absichtlich oder unabsichtlich den Ausstieg selbst praktizieren wollte.
    Schulz: Sie haben es gerade gesagt: Varoufakis hat schon davon gesprochen, der griechische Finanzminister, dass Griechenland Pleite sei. Die Frage an Sie: Wann ist das Land denn technisch gesprochen Pleite? Wann ist das Land zahlungsunfähig?
    Issing: Das Land ist dann zahlungsunfähig, wenn innerhalb des Euroraums - - In einer eigenen Währung wird ein Land mit einer entsprechenden Notenbank niemals zahlungsfähig. Es geht um die Zahlungsfähigkeit innerhalb des Euro-Systems. Es ist dann nicht mehr zahlungsfähig, wenn es die Forderung seiner Gläubiger nicht mehr bedienen kann und im Inland Gehälter, Pensionen und so weiter nicht mehr bezahlen kann.
    Schulz: Wenn die Pleite kommt, wenn der griechische Austritt oder das griechische Ausscheiden aus dem Euro käme, für den Fall halten Sie die Ansteckungsgefahren ja für gering. Das sehen andere Experten allerdings anders. Der Nobelpreisträger Stiglitz, der sagt, jetzt wird deutlich, dass Europa doch nicht alles tut, um den Euro zu retten. Das hatte Mario Draghi ja anders gesagt. Was soll Spekulanten jetzt daran hindern, auf eine italienische, auf eine spanische, auf eine portugiesische Staatspleite zu wetten?
    Issing: Ich bin davon überzeugt, dass vor diesem Hintergrund jedes Mitgliedsland, das dann noch im Euro ist, alles tun wird, um einen solchen Verdacht auszuräumen, und der einfachste Weg ist, dass man solide öffentliche Finanzen zuhause organisiert. Das ist das, was die Griechen nicht getan haben.
    Forderungen sind sowieso verloren
    Schulz: Wenn die Pleite kommt, um wie viel deutsche Steuergelder geht es dann? Wie viel sind dann verloren?
    Issing: Das rechnet sich. Von Tag zu Tag ist das ja mehr geworden. Hier stehen in der Tat hohe Forderungen auf dem Spiel, in Europa insgesamt über 300 Milliarden. Der Internationale Währungsfonds ist dabei. Das Geld beziehungsweise die Forderungen, die sind meines Erachtens so oder so verloren. Wenn man allerdings mit dieser Hilfepolitik weiter gemacht hätte, dann wäre der Betrag nur größer geworden.
    Schulz: Der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing heute hier bei uns im Deutschlandfunk im Interview. Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.