Donnerstag, 28. März 2024

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Griechenland
"Syriza-Erfolg bringt Tsipras kein stärkeres Mandat"

Parteichef Alexis Tsipras wollte durch die Wahl ein stärkeres Mandat für eine erneute Regierungsbildung erreichen. Diese Rechnung sei trotz des Syriza-Sieges nicht aufgegangen, urteilt Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im DLF. Tsipras werde auch mit seiner neuen Regierung langfristig keinen Erfolg haben.

Alexander Kritikos im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.09.2015
    Syriza feiern am Abend in Athen den Sieg ihrer Partei bei den vorgezogenen Parlamentswahlen
    Syriza-Anhänger feiern den Sieg ihrer Partei: Wahrscheinlich sei Tspiras' Versprechen, Korruption zu bekämpfen, bei einigen Wählern angekommen, sagte der Ökonom Alexander Kritikos im Interview mit dem Deutschlandfunk. (AFP / ARIS MESSINIS)
    Dazu sei die Mehrheit, die er errungen habe, doch viel zu knapp, so Kritikos. Tsipras könne weiter mit Gegenwind aus der eigenen Partei rechnen. Es gebe 50 neue Abgeordnete, die das Rettungsprogramm kritisierten. Das führe nicht zu Stabilität, sondern zu einer weiteren "Häutung" der Partei. Vernünftiger sei es darum, eine große Koalition zu bilden, um der Regierung eine verlässlichere Mehrheit zu verschaffen.
    Der Spielraum der Regierung sei wegen des Sparprogramms nur gering: "Die Umsetzung kostet so viel Zeit, dass sie zu nichts anderem kommen werden."
    Kein Kampf gegen Vetternwirtschaft
    Dass Tsipras überhaupt so viele Stimmen bekommen habe, liegt laut Kritikos unter anderem an einem Bonus, den er gegenüber den anderen Parteien habe: gegen Vetternwirtschaft vorzugehen. Da wirkten die übrigen Parteien unglaubwürdig. "Ich glaube aber nicht, dass Tsipras ernsthaft etwas ändert", sagt Kritikos. In den vergangenen Monaten habe seine Regierung keine Möglichkeit genutzt, gegen offiziell bekannte Steuersünder vorzugehen. Auch in anderer Form sei nichts unternommen worden. Staatsbeamte würden weiterhin nicht nach ihrer Qualifikation, sondern nach dem Parteibuch ausgesucht.

    Das Interview in voller Länge:

    Christiane Kaess: Eine zweite Chance also für Alexis Tsipras. Überraschend klar hat sich seine linke Syriza-Partei bei der Parlamentswahl in Griechenland durchgesetzt. Gut 35 Prozent der Stimmen konnte Syriza für sich verbuchen. Die konservative Nea Dimokratia wurde zweitstärkste Kraft mit 28 Prozent. Tsipras, der sprach von einem großen Sieg und will nun rasch mit seinem bisherigen Koalitionspartner eine neue Regierung bilden. Die Partei der nationalistischen unabhängigen Griechen, die steht dafür bereit.
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Alexander Kritikos. Er ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen.
    Alexander Kritikos: Schönen guten Morgen.
    "Ich glaube nicht, dass Tsipras in Bezug auf Korruption ernsthaft etwas ändern wird"
    Kaess: Herr Kritikos, nun hat Syriza doch überraschend klar gewonnen. Aber dennoch: Alexis Tsipras wollte ja bei seinem Rücktritt viel mehr erreichen. Er hat diese Neuwahlen veranlasst, um seine Regierung massiv zu stärken. Diese Rechnung ist offenbar nicht aufgegangen?
    Kritikos: Das ist richtig. Ich sehe auch tatsächlich keinen massiven Wahlsieg, sondern es ist ein sehr knapper Wahlsieg. Im Prinzip hat er ja immer noch nur 35 Prozent der Bevölkerung hinter sich, und man darf eins nicht vergessen: Fast die Hälfte der Wähler sind noch nicht mal zur Wahl gegangen, und das ist in einem Land, das Wahlpflicht hat, schon ein erstaunliches Ergebnis.
    Kaess: Auf der anderen Seite: Warum hat er denn überhaupt noch so viele Stimmen bekommen, denn er hat ja wirklich sein zentrales Versprechen, gegen die europäische Sparpolitik vorzugehen, nicht eingehalten?
    Kritikos: Das ist richtig. Ich denke, dass viele Wähler nun doch auch gesagt haben, wenn er uns dieses dritte Rettungsprogramm eingebrockt hat, dann ist es auch an ihm, dieses nun zu Ende zu führen. Ich glaube, es war auch für viele klar, wenn er jetzt wieder in die Opposition geht, dass er dann gegen sein eigenes Programm in die Fundamentalkritik geht, und das wäre wahrscheinlich noch schlimmer gewesen als die Fortsetzung dieser Regierung unter ihm.
    Kaess: Hat er den Bonus noch, dass er glaubwürdiger gegen Korruption und Vetternwirtschaft vorgehen würde als die etablierten Parteien?
    Kritikos: Aus meiner Sicht hat er ihn zu einem sehr kleinen Grat noch, oder zumindest noch bei denen, die ihn gewählt haben. Ich glaube, das ist wahrscheinlich wirklich die Haupterklärung dafür, dass die Oppositionspartei so schwach abgeschnitten hat. Sie wirkt nach wie vor unglaubwürdig mit dem Kandidaten aus der Vergangenheit, muss man sagen.
    Insofern ist es tatsächlich so, dass dieser Teil seines Wahlkampfs, er würde gegen Korruption kämpfen, wahrscheinlich bei einigen Wählern angekommen ist. Ich selber glaube allerdings nicht, dass er in dieser Richtung tatsächlich ernsthaft irgendetwas ändern wird im Vergleich zu seinen Vorgängerregierungen.
    "Es wird nach Parteibuch, nicht nach Qualifikation ausgewählt"
    Kaess: Warum?
    Kritikos: Nun, wir haben es in den sieben Monaten gesehen, dass jegliche Option, jegliche Möglichkeit, zum Beispiel diese berühmte Lagarde-Liste anzugehen, also offiziell bekannte Steuersünder tatsächlich vor Gericht zu bringen oder zu versuchen, von diesen die ausstehenden Steuerzahlungen zu bekommen, das ist nicht erfolgt und wir haben eben nicht gesehen, dass auch in anderer Form von dieser Regierung irgendwas anders gemacht worden ist.
    Denken wir an das Einstellen neuer Staatsbeamter oder in leitender Position zum Beispiel. Da wird genau wie in der Vergangenheit ausgewählt, nämlich nach Parteibuch und nicht nach Qualifikation. Das alles sieht für mich nicht aus wie ein Beenden korrupter oder klientelistischer Politik.
    Kaess: Wird Tsipras versuchen, mit den internationalen Geldgebern nachzuverhandeln?
    Kritikos: Ich kann mir vorstellen, dass es hier den Versuch geben wird nachzuverhandeln, aber ich sehe tatsächlich keinen Spielraum in größerer Form in dem Sinne, dass bei diesen Nachverhandlungen irgendein Aufweichen dieses Reformprogramms erreicht werden kann.
    Kaess: Was werden dann die wirtschaftlichen Folgen für das Land sein, wenn alles so bleibt wie vereinbart?
    Kritikos: Das hängt in der Tat davon ab, wie schnell Tsipras anfängt, die Reformen umzusetzen, und insbesondere auch, wie schnell er anfängt, die Öffnung der Märkte, die jetzt doch sehr lapidar und sehr unbestimmt in diesem dritten Reformprogramm vereinbart sind, inwiefern er anfängt, tatsächlich dafür zu sorgen, die Wirtschaft durch Marktöffnungen unter Feuer zu setzen.
    "Neue Widerstände innerhalb von Syriza"
    Ich glaube aber nicht, dass wir diese Regierung mit einem langfristig wirklich erfolgreich gestatteten Mandat sehen werden, denn es ist eine knappe Regierungsmehrheit. Wir sehen neue Widerstände, die sich innerhalb von Syriza zusammengesetzt haben. Es gibt neue 50 Abgeordnete oder nahezu 50 Abgeordnete, die bereits jetzt wieder das Rettungsprogramm kritisieren. Das heißt, ich rechne eigentlich sehr damit, dass wir eine weitere Häutung der Syriza-Partei sehen und unter Umständen auch eine neue Regierungsbildung noch innerhalb dieses Jahres.
    Kaess: Also erst mal keine stabile Regierung?
    Kritikos: Das ist meine Erwartung, in der Tat.
    Kaess: Herr Kritikos, es ist ja so gewesen, egal welche Regierung jetzt drankommt und egal wer die Wahl gewonnen hat, dass die Sparpolitik ohnehin fortgesetzt werden muss. Welchen Spielraum hat die Regierung überhaupt?
    Kritikos: In der Tat hat sie einen sehr geringen Spielraum. Das ist auch das, warum aus meiner Sicht viele nicht zur Wahl gegangen sind. Sie hatten die Wahl zwischen Umsetzung des Sparprogramms unter Regierung A und unter Regierung B, und das hat für viele keine wirkliche Alternative mehr dargestellt.
    "Es wäre vernünftiger gewesen, eine Große Koalition zu bilden"
    Insofern wird diese jetzt an der Macht seiende Regierung in der Tat versuchen, dieses Sparprogramm eins zu eins umzusetzen. Das kostet so viel Zeit, dass sie auch zu nichts anderem kommen wird. Und genau das ist auch der Grund, warum diese sehr knappe Mehrheit, die nun mit ANEL gefunden worden ist, tatsächlich keine Basis dafür ist, um das gesamte Sparprogramm in den nächsten drei Jahren umzusetzen. Es wäre vernünftiger gewesen, eigentlich eine Große Koalition zu bilden und zumindest zwei, drei kleinere Parteien mit ins Boot zu holen, wenn schon nicht die Nea Dimokratia.
    Kaess: Die niedrige Wahlbeteiligung, ist das auch ein Zeichen dafür, dass die Sparpolitik bei den Bürgern noch nicht akzeptiert ist?
    Kritikos: Ich glaube, Sparpolitik wird von keinem Bürger in der Welt leichthin akzeptiert. Es zeigt aber auch, dass man letztlich einfach, wie soll man sagen, bei dieser geringen Auswahl zwischen dem, welche Partei das Sparprogramm umsetzt, einfach Müdigkeit an den Tag gelegt hat.
    Es zeigt aber auch, dass man von der Politik erwartet, dass sie nicht alle fünf Monate neue Wahlen ausruft oder ein Referendum ausruft, sondern man erwartet einfach jetzt auch von der Politik mehr Stabilität und tatsächlich das Mandat, das man für vier Jahre bekommen hat, dass dieses auch für vier Jahre umgesetzt wird.
    "Viele Wähler fallen auf die kruden Versprechungen der Goldenen Morgenröte herein"
    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch auf die Rechtsextremen. Die Partei Goldene Morgenröte, die ist drittstärkste Kraft geworden. Das war zwar erwartet worden, aber dennoch die Frage: Wie ist das zu erklären?
    Kritikos: Nun, es ist auch in Griechenland in der Tat so, dass die Goldene Morgenröte mit, wie soll man sagen, rattenfängerischen Ansätzen herangeht und viele Wähler, die sich sozusagen von den bisherigen Parteien überhaupt nicht vertreten fühlen, auf die doch kruden Versprechungen dieser Partei hereinfallen und glauben, dass diese Partei tatsächlich die richtigen und die kritischen Fragen im Parlament stellt, und das führt tatsächlich dazu, dass diese Partei inzwischen bei sieben Prozent sich ungefähr stabilisiert hat. Sie verkaufen sich gegenüber ihren Wählern anders, als sie tatsächlich dann auch auftreten.
    Kaess: ... sagt Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Mit ihm habe ich gesprochen über das Wahlergebnis in Griechenland. Danke schön für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Kritikos.
    Kritikos: Vielen Dank Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.