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Griechenland und die Krise (4/5)
"Ein schwer kranker Patient wird mit Aspirin nicht gesund"

Defekte Geräte, Engpässe bei Medikamenten und Budgetkürzungen - die griechische Sparpolitik hat Spuren im Gesundheitssystem hinterlassen. Gleichzeitig kommen immer mehr Patienten in die Krankenhäuser. Die Athener Radiologin Despoina Tosonidou will die Missstände nicht hinnehmen.

Von Rodothea Seralidou | 16.08.2018
    Radiologin Despoina Tosonidou im Athener Asklipiio-Krankenhauses
    Die Radiologin Despoina Tosonidou im Athener Asklipiio-Krankenhaus: Röntgen- und Ultraschallgeräte funktionieren noch, der Kernspintomograf ist defekt (Deutschlandradio/ Rodothea Seralidou)
    In der Radiologischen Abteilung des Athener Asklipiio-Krankenhauses ist viel los. Patienten haben auf den Metallsitzen des Wartezimmers platzgenommen, andere laufen ungeduldig hin und her, in der Ecke reihen sich Krankenbetten aneinander; auf ihnen liegen Patienten, die auf eine Röntgenaufnahme oder eine Ultraschalluntersuchung warten.
    Despoina Tosonidou schaut sich um. Rund 300 Röntgenaufnahmen am Tag werden im Asklipiio gemacht, sagt die Radiologin. Wer hingegen eine Kernspintomografie benötigt, der werde zurzeit in andere Krankenhäuser transportiert. Denn das eigene Gerät ist kaputt.
    "Verletzte von einem Autounfall, Schlaganfall-Patienten, Blinddarmpatienten, bei all diesen Menschen muss eine Kernspintomografie gemacht werden. Sie müssen also mit dem Krankenwagen den ganzen Weg hin- und zurückgefahren werden. Sie können sich vorstellen, was das für die Gesundheit dieser Menschen bedeutet!"
    Medizinische Geräte fallen immer wieder aus
    Dabei liegt das Asklipiio-Klinikum in Voula, einer wohlhabenden Athener Gegend, rund 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Die weißen Häuser der verschiedenen Fachkliniken, die Pinienbäume, die engen Fußgängerwege – eine malerische Kulisse. Aber der Scheint trügt. Der kaputte Kernspintomograf sei kein Einzelfall, sagt die Ärztin. (*) Die medizinischen Geräte seien so alt, dass sie immer wieder ausfallen. Und auch sonst machen sich die Sparmaßnahmen bemerkbar:
    "Oft fehlen uns Medikamente. Es kommt vor, dass wir mit alten OP-Instrumenten arbeiten müssen, die nicht gut funktionieren, oder es fehlen wichtige Chemikalien im Labor und wir können nicht alle notwendigen Untersuchungen machen. Das alles bekommen die Patienten nicht mit und wir wollen ihren Stress auch nicht erhöhen, aber wir stoßen oft an die Grenzen unserer Möglichkeiten als Mediziner."
    Nachts kommt keine Schwester
    Aber die Patienten bekommen mehr mit als Tosonidou glaubt. Angelos Galatis wartet auf eine Ultraschalluntersuchung. Er hat Schmerzen an der Galle und muss in den kommenden Tagen operiert werden. Gerade sei er da, um einige Voruntersuchungen zu machen. Was ihn im Asklipiio genau erwarte, wisse er nicht, er lasse sich überraschen, fügt Angelos scherzhaft hinzu. Denn als er neulich in ein anderes öffentliches Krankenhaus eingewiesen wurde, fehlten Verbandszeug, Toilettenpapier und Bettwäsche. Am Schlimmsten aber war der Personalmangel, sagt der 50-Jährige:
    "Vor allem nachts gab es extrem wenig Krankenschwestern. An den Betten hatte man sogar die Klingeln deaktiviert. Wahrscheinlich weil die Krankenschwestern wussten, dass sie eh nicht zu den Patienten kommen können, wenn sie gerufen werden. Ich hatte immer jemanden dabei, entweder meine Tochter oder meine Frau."
    1.500 Euro netto nach 20 Berufsjahren als Ärztin
    Despoina Tosonidou kennt diese Probleme. Auch bei ihnen fehlt Personal: Rund 350 Stellen seien nicht besetzt. Gleichzeitig seien die Gehälter stark gesunken. Die Radiologin – immerhin schon 20 Jahre als Ärztin im Einsatz – verdient heute 1.500 Euro netto. Weniger als bei ihrer Einstellung im Asklipiio .
    Dabei war sie zu Beginn ihrer Karriere in einer Privatklinik angestellt, verdiente 5.000 Euro im Monat. Der Wechsel in ein öffentliches Krankenhaus: eine bewusste Entscheidung, sagt sie. Denn Gesundheit solle nicht wie eine Ware behandelt werden, Gesundheit solle allen Bürgern gleichermaßen zustehen.
    Ein Grund mehr, warum sich Tosonidou mit dem großen Sparen im öffentlichen Gesundheitssystem nicht anfreunden kann. Als vor kurzem die Ärzte und Pfleger des Krankenhauses vor dem Verwaltungsgebäude des Asklipiio demonstrierten, war Tosonidou vorne mit dabei. Sie zählte durch ein Megafon die drängendsten Probleme auf: Da wäre der defekte Kernspintomograph, die Engpässe bei Medikamenten, die Klimaanlagen in den Operationssälen, die nicht richtig funktionieren, die fehlenden Fachärzte.
    "Es wurde so viel Geld in die Bankenrettung gesteckt"
    Zurück in der Radiologischen Abteilung. Tosonidou erzählt noch immer von der schlechten Ausstattung und gestikuliert wild mit den Händen. Fast nebenbei erwähnt sie, dass sie lange Zeit bei Syriza aktiv war, als diese noch ein kleines Parteienbündnis war. 2012 hatte sie sogar mal für Syriza kandidiert. Heute distanziert sie sich von der Politik der Regierung, aus der Partei sei sie schon lange ausgetreten.
    Nur eine Maßnahme, die die Regierung Tsipras umgesetzt habe, sei positiv: Die Öffnung der Krankenhäuser für unversicherte Patienten. Allerdings bräuchten die Krankenhäuser dafür auch mehr Geld:
    "Der Etat ist trotz des größeren Andrangs gleich geblieben. Das heißt, das Geld, das zum Beispiel für die Behandlung von 10 Patienten vorgesehen war, muss heute für 30 Patienten reichen. Es wurde schon so viel Geld in die Bankenrettung gesteckt. Wenn nur ein Bruchteil dieses Geldes in die Gesundheit gesteckt worden wäre, würden die Dinge heute anders aussehen. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir mit Aspirin ein schwer krankes Gesundheitssystem behandeln wollen. Aber ein schwer kranker Patient kann mit Aspirin nun mal nicht gesund werden."
    Zumindest der defekte Kernspintomograph soll bald ersetzt werden. Eine Spende von einem reichen Reeder, sagt Tosonidou. Aber für die Ärztin sind das nichts weiter als Almosen. Die tiefer liegenden Probleme im griechischen Gesundheitssystem löst das nicht.
    (*) Hinweis der Redaktion: Das Krankenhaus weist darauf hin, dass der Kernspintomograph inzwischen erneuert wurde. Die Interviews wurden vor dieser Maßnahme geführt.