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Griechenland
Vom Agrarökonom zum Orangenbauer

Die andauernde Krise in Griechenland bedroht die Existenz vieler Menschen. Selbst für gut ausgebildete Akademiker gibt es kaum noch Jobs. Ein Agrarökonom aus der kleinen Stadt Arta hat deshalb umgesattelt: Jeden Tag fährt er 400 Kilometer, um auf dem Markt von Thessaloniki seine Früchte zu verkaufen.

Von Michael Lehmann |
    Stand mit Apfelsinen und Waage auf Kreta.
    Nikos Ioannidis hat Agrarökonomie studiert. Heute verkauft er Orangen und Zitronen auf dem Markt von Thessaloniki. (imago )
    Kistenweise Orangen und Zitronen – frisch vom kleinen Lastwagen. Nikos Ioannidis braucht kein Megaphon, seine Kunden kommen von selbst auf den leicht abseits gelegenen Platz in Theassaloniki. Nikos ist der Sohn eines Orangenbauern in West-Griechenland – fast jeden Sonntag fährt er die 400 Kilometer von den Zitrus-Plantagen, daheim in die zweitgrößte Stadt des Landes.
    "Um zwei Uhr heute nacht bin ich aufgestanden, wie immer habe ich meinen Wagen vollgepackt mit frischen Früchten – fünf Stunden dauert meine Tour, um die Ware zu den älteren Leuten zu fahren – die kaufen gerne nach der Kirche ein. Ganz traditionell."
    Keine Jobs für Akademiker
    Es sind tatsächlich vor allem ältere Frauen, die bei Nikos auch an diesem Sonntag prall mit Orangen gefüllte Plastiktüten kaufen. Ein Euro für zwei Kilo – guten Kunden stopft der junge Orangenbauer noch ein paar Extra-Früchte in die Taschen:
    Das sei einfach so, sagt Nikos, die älteren Menschen haben noch am ehesten Geld, um gute Qualität zu kaufen, nicht das Zeugs im Discounter. "Also lohnt es sich hierherzufahren, mit den Früchten von meinem Hof, um sie zu den Menschen in Thessaloniki zu bringen."
    Nikos Ioannidis, Orangenbauer aus Arta.
    Nikos Ioannidis, Orangenbauer aus Arta. (Deutschlandradio/Stefanie Meinecke )
    Wir können das irgendwie nicht glauben, lohnt sich die fast 400 Kilometer lange Fahrt für den Orangen-Bauern wirklich?
    "In Arta, wo ich herkomme, haben wir sehr, sehr viele Orangen. Jeder hat die im Vorgarten bei uns zuhause. Auch Zitronen. Und zum Glück ist das Klima in Griechenland so unterschiedlich – hier in Thessaloniki gibt es nur sehr wenige Orangenbäume. Und das ist gut für mich."
    Nikos hat studiert – Agrarökonomie – aber die Arbeit, für die er studiert hat, die gibt’s für ihn nicht, und zuhause, in West-Griechenland seien Orangen eigentlich kaum was wert. Also muss er weiter zur Kundschaft fahren:
    Um ehrlich zu sein, haben wir gar keine andere Wahl als direkt zu verkaufen. Die Leute vom Großhandel machen ihr großes Geld, indem sie uns kaum was für die Früchte zahlen. Und es gibt einfach viel zu viele studierte junge Menschen, die auch ohne Job sind. Also habe ich mich entschieden, das Glück so zu finden – mit meiner eigenen Orangenproduktion.
    Ungewissse Zukunft
    Nikos wirkt zumindest an diesem Sonntag ganz mit sich im Reinen – und erzählt stolz, dass er viele verschiedene Orangensorten anbaut. Merlin oder Valancia heißen diese Sorten. Viele verschiedene Sorten heißt, dass er Früchte von September bis Juni ernten kann – mit Zitrusfrüchten also fast sein ganzjähriges Einkommen hat. Wie lange Nikos dieses Leben so noch führt, kann er nicht sagen. Stolz zeigt er an die Stelle in der Stadt, wo die Uni steht, an der er studiert hat. Wer weiß, wenn die Krise rum ist, könnte es ja anders werden, aber jetzt hilft er der alten Frau mit dem Stock schnell noch auf den Gehweg – ihre pralle Orangentüte soll schließlich heil nach Hause kommen.