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Griechenland
Warum in der Krise die Privatschulen boomen

Die Einnahmen der griechischen Haushalte sinken aufgrund der Krise immer weiter. Trotzdem entscheiden sich immer mehr Eltern, ihre Kinder auf teure Privatschulen zu schicken. Hauptgrund sind die kurzfristigen Änderungen der Regierung am staatlichen Schulsystem. Um Lehrer einzusparen, hatte der Schulminister viele Unterrichtsstunden gekürzt.

Von Rodothea Seralidou | 02.11.2016
    Am ersten Tag des griechischen Schuljahres, am 12. September 2016, nehmen Schüler in Athen an einer Zeremonie teil.
    Kurz vor Schulbeginn kündigte die griechische Regierung an, die Unterrichtszeit in den staatlichen Schulen zu kürzen. Viele Eltern schicken ihre Kinder deshalb auf Privatschulen. (picture alliance / dpa / Yannis Kolesidis)
    Englischunterricht in der dritten Klasse der privaten Georgios-Zois-Schule in Athen. Die Schüler lesen aus ihrem Arbeitsbuch und übersetzen ins Griechische. Hier wird Englisch schon in der Kita gelehrt, die zur Schule gehört. Und das ist nur ein Punkt, in dem seine Schule dem staatlichen Schulsystem voraus ist, sagt Inhaber Georgios Zois:
    "Wir bieten Fächer an, die öffentliche Schulen nicht anbieten. Unser Personal wird unter strengsten Voraussetzungen eingestellt, unsere Räumlichkeiten sind gepflegt. Die Klassen sind im Winter geheizt und im Sommer gekühlt. Es herrscht eine angenehme Lernatmosphäre. Wir haben einen Musikraum, einen Computerraum, eine Sporthalle und drei Sportplätze; einen Raum für Kunst und Basteln, eine Leihbibliothek und ein Theater."
    Davon können die Schüler in den meisten öffentlichen Schulen des Landes, wo sie mittlerweile sogar das Kopierpapier für Unterrichtsmaterialien von zuhause mitbringen müssen, nur träumen. Doch der Spaß ist nicht umsonst: Je nach Stufe kostet das Schuljahr bei Georgios Zois zwischen 3.000 und 5.000 Euro. Trotzdem boomt sein Familienbetrieb: Von der Kita bis zur Oberstufe zählt der 68-Jährige über 730 Schüler - 61 mehr als noch im Vorjahr, sagt er.
    Viele Eltern aus der Mittelschicht entscheiden sich für Privatschulen
    Und seine Schule ist da kein Einzelfall. Schätzungen des griechischen Privatschulverbandes zufolge gehen dieses Schuljahr rund zehn Prozent mehr Kinder und Jugendliche auf eine Privatschule als die Jahre davor. Diese Entwicklung hat auch mit der Unsicherheit zu tun, die die linke Syriza-Regierung bei den Eltern ausgelöst hat, findet Haralambos Kyrailidis, Vorstandsvorsitzender des Privatschulverbandes:
    "Du kannst in Zeiten der Krise nicht kurz vor Schulbeginn ankündigen, dass die Schüler nun eine Stunde früher mit dem Unterricht fertig sein werden. Was sollen da die Eltern tun, die arbeiten und keine Möglichkeit haben, ihre Kinder plötzlich früher abzuholen? Wir leben nicht alle auf dem Dorf, wo die Großeltern schnell einspringen können! Und dann gab es eine hitzige Diskussion, ob es dieses Jahr noch Ganztagsschulen geben wird. Wie können sich die Eltern auf ein so unorganisiertes Schulsystem verlassen?"
    Dabei treffe das nicht die wirklich Reichen, sagt Kyrailidis. Für sie kämen eh schon immer die teuren Eliteschulen des Landes in Frage, mit einem Schulgeld von bis zu 15.000 Euro im Jahr. Es sei eher die Mittelschicht, die ihre Kinder zunehmend auf eine gute, aber nicht all zu teure Privatschule schicken will.
    Schulminister kürzt das Schulprogramm und spart damit Lehrer ein
    Dass der Schulminister Nikos Filis die Unterrichtsstunden reduziert hat, komme nicht von ungefähr, sagt Thanassis Kikinis vom griechischen Lehrerverband. Damit habe die Regierung rund 4.000 Lehrer an den öffentlichen Schulen eingespart:
    "Mit diesem Trick müssen viele Kollegen nun zwischen vier oder fünf Schulen hin- und herflitzen, um auf ihre 23 Wochenstunden zu kommen. Und in Athen liegen die Schulen noch nah beinander. In der Provinz aber müssen die Lehrer oft viele Kilometer fahren, um von einer Schule zur nächsten zu kommen. Sie müssen das Benzin aus eigener Tasche zahlen und sind auch nicht versichert, wenn ihnen was passiert."
    Motivierte Lehrer an staatlichen Schulen sind immer seltener
    Und das für mittlerweile nur noch 650 Euro Einstiegsgehalt - fast die Hälfte dessen, was die Lehrer noch vor wenigen Jahren verdienten, sagt Kikinis. Kein Wunder, dass unter diesen schlechten Arbeitsbedingungen auch die Motivation der Lehrer leidet, findet Vania Fraggiadaki. Die 45-jährige Steuerberaterin hat gerade ihre zwei Kinder vor der Privatschule von Giorgos Zois abgesetzt und muss weiter ins Büro fahren:
    "Mein Mann und ich, wir haben eine staatliche Schule absolviert, aber das waren andere Zeiten. Heute, in einer solcher Krise, kannst du von Glück reden, wenn du in der öffentlichen Schule einen guten Lehrer erwischst. Das sagen uns Freunde immer wieder, deren Kinder aus finanziellen Gründen staatliche Schulen besuchen. Solange wir es können, werden wir deshalb unsere Kinder auf die private Schule schicken."