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Griechenland
"Wichtig zu testen, ob der Wille da ist"

Die Eurogruppe versucht, Griechenland zu Reformbeschlüssen zu bewegen, als Voraussetzung für weitere Kredite. Nach Ansicht von Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, ist das unbedingt notwendig. Das Problem sei aber, dass die griechische Regierung sich festgelegt habe keine Auflagen zu erfüllen, sagte er im DLF.

Clemens Fuest im Gespräch mit Bettina Klein | 13.07.2015
    Wichtig sei es zu testen, ob bei Griechenland der Wille zu Reformen da sei. Zwar sei es schwer, in so kurzer Zeit, detaillierte Gesetze zu machen, aber es könnten Grundsatzbeschlüsse gefasst werden, sagte der ZEW-Präsident. Diese könnten dann später weiter ausgearbeitet werden. Er betonte, es sei außerdem wichtig zu klären, ob der griechische Premierminister Alexis Tsipras überhaupt eine "stabile Mehrheit" habe, ob das griechische Parlament tatsächlich in der Euro-Zone bleiben wolle - und ob die Griechen gewillt seien, Auflagen zu erfüllen.
    Das inoffizielle Papier aus dem Bundesfinanzministerium, in dem es um einen Ausstieg auf Zeit aus dem Euro geht, hat seit Sonntag für Aufregung gesorgt. Der Vorschlag sei nichts Besonderes, davon sei schon lange die Rede, so Fuest. Eines sei vollkommen klar, so Fuest: Wenn Athen Reformauflagen nicht erfülle und "die Gläubiger nicht mehr mitspielen", müsse Griechenland austreten. "Das Neue war, dass diese schlichte Wahrheit auch von Regierungsseite mal ausgesprochen wurde."

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir sind hier im Deutschlandfunk immer auf alles eingerichtet, was die Aktualität bringt. Aber dass wir heute Morgen um 6:50 Uhr noch immer ein vorläufiges Interview ohne Ergebnis aus Brüssel führen würden, damit hatten wir zumindest nicht gerechnet. Annette Riedel hat es gerade live aus Brüssel beschrieben: Wir wissen nicht, ob es heute Morgen eine Einigung gibt. Es wird weiter verhandelt. Die ganze Nacht hindurch ist gesprochen worden und wir schauen jetzt mal zumindest auf das, was ja in Rede steht und was bekannt ist, und zwar mit Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Guten Morgen.
    !!Clemens Fuest:!°! Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Beginnen wir mit dem Versuch der Eurogruppe, Griechenland zu sofortigen Reformbeschlüssen innerhalb der nächsten zwei Tage zu bewegen, als Voraussetzung dafür, dass wieder Geld bereitgestellt wird. Halten Sie das für realistisch?
    Fuest: Ich halte das für unbedingt notwendig. Das Problem besteht ja darin, dass die griechische Regierung sich eigentlich darauf festgelegt hat, keine Auflagen zu erfüllen und nicht zu reformieren. Es hat ja die Volksabstimmung gegeben. Deshalb ist klar, dass große Zweifel bestehen, ob Griechenland das Ganze macht, und es ist jetzt wichtig zu testen, ob der Wille wirklich da ist, indem man diese Reformen vorlegt.
    Sicherlich wird es jetzt schwer, in so kurzer Zeit detaillierte Gesetze zu machen, aber man kann ja mal die Grundsatzbeschlüsse fassen und die dann hinterher noch mal ausarbeiten. Aber es ist ganz wichtig zu klären, ob Tsipras eine stabile Mehrheit hat und ob das griechische Parlament im Euroraum bleiben will, und das bedeutet, ob die Griechen die Auflagen erfüllen wollen.
    Klein: Am vorvergangenen Sonntag hat es in der Tat ein Nein gegeben beim Referendum, aber dann Ende der Woche ja ein Ja im Parlament, dank der Stimmen der Opposition. Es sieht ja nun doch so aus, dass man sich dort auf Reformbeschlüsse einlassen will.
    Fuest: Die Schwierigkeit ist zum einen: Es sind die Stimmen der Opposition gewesen und es ist nicht klar, ob Tsipras eine stabile Mehrheit hat.
    Der andere Punkt ist, dass das ja eine verwässerte Version eines Angebots war für die Beendigung des zweiten Hilfsprogramms, ein kurzes Programm um wenige Monate. Das hat man dann auf den Tisch gelegt und gesagt, man will auf dieser Basis jetzt für drei Jahre 86 Milliarden Hilfe, oder vielleicht noch mehr. Es geht also um viel mehr Geld und da haben jetzt die Gläubigerstaaten zurecht gesagt, für ein solches Programm und für so viel Geld brauchen wir ganz andere Auflagen.
    Klein: Und da ist ja eine Idee, die auch von der SPD offenbar gestützt wird, dass Staatsbesitz im Wert von 50 Milliarden Euro privatisiert und in einen Fonds überführt wird. Ist das aus ökonomischer Sicht sinnvoll?
    Fuest: Das ist deshalb sinnvoll, weil nur so die Gläubiger sicher sein können, dass die Privatisierung vorangetrieben wird. Die griechische Regierung hatte sich ja verpflichtet, Privatisierungen durchzuführen, um so auch dazu beizutragen, dass die Schulden abgetragen werden. Das hat man aber einfach nicht gemacht und die Gläubiger wissen, dass, wenn sie nicht zu anderen Instrumenten greifen, diese Privatisierungen von den Griechen einfach nicht durchgeführt werden, und deshalb haben sie jetzt gesagt, gut, dann gründen wir ein Unternehmen außerhalb von Griechenland, das Staatsbesitz übernimmt und die Privatisierungen auch dann durchführen kann, wenn die Griechen das eigentlich nicht wollen.
    "Die wahre Entlastung ist kleiner als 50 Milliarden"
    Klein: Und damit wäre man aber wirklich einen 50-Milliarden-Euro-Schritt weiter und das ist ein ziemlicher Batzen und ein großer Teil dessen, worum jetzt eigentlich gebeten wird beim ESM.
    Fuest: Na ja. Es ist nicht so ganz klar, ob man wirklich die 50 Milliarden Euro erlösen kann mit dem, was da zu privatisieren ist.
    Man würde aber immerhin sicherstellen, dass es versucht wird, und das ist schon mal was.
    Man muss natürlich sehen, dass bei Privatisierungen nicht nur Schulden zurückgezahlt werden, sondern ja auch die Einnahmen aus dem Vermögen, das privatisiert wird, entfallen. Insofern ist die finanzielle Entlastung, die wahre Entlastung kleiner als 50 Milliarden. Zum Beispiel der Hafen von Piräus, der hat ja auch Einnahmen heute.
    Wenn man den privatisiert, sind natürlich diese einnahmen weg, die der Staat heute bekommt.
    Trotzdem ist das ein wichtiger Schritt. Das Ganze dient ja nicht nur dem Schuldenabbau, sondern auch der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Hoffnung ist, wenn da private Investoren sind, dann wird schneller modernisiert, es passiert einfach wirtschaftlich mehr in diesen Unternehmen.
    Klein: Es gab ja seit gestern eine Riesenaufregung um das inoffizielle Papier, das offensichtlich aus dem Bundesfinanzministerium stammt, in dem von einem Grexit auf Zeit die Rede war.
    Wir haben uns gefragt: War davon nicht eigentlich schon immer die Rede, dass bei einem Grexit das auf eine bestimmte Zeit festgelegt ist, um dann dem Land die Möglichkeit zu geben, dann wieder Mitglied zu werden?
    Fuest: Davon war schon lange die Rede. Insofern war der Vorschlag eigentlich nichts Besonderes. Es ist vollkommen klar, wenn Griechenland die Reformauflagen nicht erfüllt und die Gläubiger nicht mehr mitspielen, dass Griechenland dann austreten muss.
    Das Neue war, dass man diese schlichte Wahrheit auch mal ausgesprochen hat von Regierungsseite. Das war ganz wichtig, aber manch einer hat das als Schock gesehen.
    Ich glaube, Herr Schäuble wollte auch allen Beteiligten klar machen, wie ernst die Lage ist und dass das hier sehr, sehr schwierige Verhandlungen sind.
    "Gerede von einem Coup ist völliger Unsinn"
    Klein: Es ist auch noch nicht ganz klar, ob das jetzt vom Tisch ist oder nicht, oder ob es in runden oder eckigen Klammern weiter in einem Kompromisspapier zu lesen sein wird.
    Auf jeden Fall hat auch dieser Vorstoß zu einem riesigen Proteststurm geführt, und zwar nicht nur bei der Opposition in Berlin, sondern auch auf Twitter. Es gibt dort einen Hashtag unter dem schönen Titel "This is a Coup", das ist ein Putsch oder ein Staatsstreich. Und ich frage Sie deswegen danach, Herr Fuest, weil viele prominente Ökonomen dort auch zitiert werden und ihrem Unmut auch gerade über die deutsche Bundesregierung Luft machen, unter anderem Paul Krugman, der das ausdrücklich unterstützt, was dort geschrieben wird, und auch sagt, es ist ein Versuch, auch das europäische Projekt zu unterminieren in der Art und Weise, in der jetzt gerade mit Griechenland umgegangen wird. Können Sie das nachvollziehen?
    Fuest: Ich kann es nicht nachvollziehen. Krugman ist ja einer, der schon seit Jahren polemisiert gegen den Versuch, die Stabilität in der Eurozone, die Stabilität der öffentlichen Finanzen aufrecht zu erhalten. Er war eigentlich immer dafür, dass man Griechenland quasi ohne Konditionen Geld gibt und dass damit Länder quasi anderen in die Tasche greifen können.
    Ich glaube, dass Krugman sich auch nicht besonders intensiv mit der Situation in der Eurozone beschäftigt. Er ist eigentlich vollkommen undifferenziert immer fürs Schulden machen. Das ist schwer erträglich. Er ist ja ein berühmter Ökonom, hat aber seinen Nobelpreis für völlig andere Dinge bekommen und nicht für Finanzpolitik, und er ist schwer zu ertragen.
    Ich halte das für großen Unsinn. Es ist vollkommen klar, dass man Bedingungen setzen muss, wenn man Kredite gibt. Sonst kann man sein Geld auch verschenken. Um dieses einfache Prinzip geht es hier. Es geht wirklich um die Frage, kann die Finanzpolitik in der Eurozone stabil sein, oder bekommen wir eine Weichwährung und eine Schuldenexplosion in der Eurozone. Frau Merkel hat gesagt, dass sie diese Prinzipien verteidigt, das Prinzip, dass in der Eurozone nicht das eine Land dem anderen in die Tasche greifen kann, dass wir keine Schuldenexplosion bekommen. Frau Merkel versucht, dieses Prinzip zu verteidigen. Das Gerede von einem Coup ist wirklich völliger Unsinn.
    "Letztlich zählen die Argumente"
    Klein: Es ist aber doch immer wieder frappierend, wie teils gegensätzlich Volkswirte diese Entwicklungen auf Grundlage ihrer Wissenschaft bewerten.
    Fuest: Ja, das ist erstaunlich. Nun gibt es auch in der Medizin und in anderen Disziplinen immer wieder große Meinungsunterschiede. Insofern wäre es vielleicht eher beunruhigend, wenn alle Volkswirte das gleiche sagen würden.
    Letztlich zählen die Argumente und letztlich kann man sich ja mal fragen, wie plausibel ist das eigentlich, dass man einer Regierung wie der von Tsipras jetzt weiter Geld gibt der Steuerzahler in den anderen Euroländern, 86 Milliarden, einen gigantischen Betrag, und dass man dann hinnimmt, dass die Auflagen vielleicht umgesetzt werden, teilweise, vielleicht auch nicht, so wie das bisher geschehen ist. Tsipras selbst hat ja ...
    Klein: Und wir hörten heute Morgen die Meinung von Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Hier folgen in wenigen Sekunden die Nachrichten, Herr Fuest. Ich danke Ihnen sehr für das Interview.
    Fuest: Ich danke Ihnen, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.