Donnerstag, 25. April 2024

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Griechische Wirtschaft
"Es ist eine depressive Stimmung"

Die griechische Wirtschaft sei im Leerlauf, sagte der Chef der deutschen Außenhandelskammer in Athen, Athanassios Kelemis, im DLF. In der Bevölkerung herrsche eine große Unsicherheit. Was das Land jetzt brauche sei vor allem Stabilität, sagte der Ökonom.

Athanassios Kelemis im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.06.2015
    Bei einer Pro-Euro-Demonstration vor dem Parlament in Athen werden die griechische und die EU-Flagge geschwenkt.
    Athanassios Kelemis: (AFP/ Aris Messinis)
    Es sei eine große Unruhe ausgebrochen, sagte Athanassios Kelemis im Deutschlandfunk über die Stimmung in Athen nach der Bankenschließung. Der Geschäftsführer der deutschen AHK in Athen berichtet von Schlangen an Geldautomaten und an den Tankstellen. Das Wichtigste sei, dass das Land Stabilität bekomme. Die sei aber zurzeit nicht gegeben.
    Auch wenn die Wirtschaft zurzeit im Leerlauf sei, glaube er nicht, dass es in dieser Woche zu ihrem totalen Stillstand kommen werde. "Es könnte sein, dass Online-Banking weiterhin möglich ist", sagte er im DLF.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: In der griechischen Schuldenkrise, da hat möglicherweise der letzte Akt begonnen. Am Samstag scheiterten in Brüssel die vorerst letzten Verhandlungen. In Griechenland bleiben die Banken heute geschlossen. Am Samstag hatten die Finanzminister der Eurogruppe ja auch noch weiter beraten, nach der Abreise des griechischen Finanzministers Varoufakis.
    Am Telefon ist jetzt Athanasios Kelemis, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen. Guten Morgen.
    Athanasios Kelemis: Schönen guten Morgen aus Athen. Ich grüße Sie.
    Schulz: Das Szenario, das jetzt ja offenbar da ist, wenn nicht heute oder morgen wirklich noch was ganz Überraschendes da ist, das Aus fürs Hilfsprogramm, ist das aus Sicht der Wirtschaft der Gau, der größt anzunehmende Unfall?
    Kelemis: Ja, lassen Sie mich zu Beginn folgendes feststellen. Wir erleben in Griechenland zurzeit seit heute Früh eine noch nicht da gewesene Situation, und das im Kern Europas. Bürger und Unternehmer im Land sind äußerst verunsichert und wissen nicht, was kommt als nächstes, und die sind auch deswegen verunsichert, weil die europäische Perspektive Griechenlands auf dem Spiel steht. Glaubt man den Ergebnissen einer jüngsten Umfrage - die ist gestern in einer Sonntagszeitung veröffentlicht -, dann sind über 57 Prozent der Griechen für einen Verbleib des Landes in der Euro-Zone, auch mit der Auflage eines harten Sparprogramms.
    Dieses Sparprogramm enthält aus der Sicht der Wirtschaft hier in Griechenland eine Reihe von rezessiven Maßnahmen wie Steuererhöhungen für Unternehmer und Privatpersonen, Mehrwertsteuererhöhung bei Gütern des alltäglichen Lebens, aber das ist eine notwendige Maßnahme, weil die Wirtschaft gerade in den ersten fünf Monaten des Jahres aus dem Ruder gelaufen ist und eine Konsolidierung der Staatsfinanzen steht wieder ganz hoch auf der Tagesordnung. Das erste Quartal ist mit einer negativen Wirtschaftsleistung abgeschlossen. Ich rechne damit, dass dies auch im zweiten Quartal der Fall sein wird. Und vergessen wir nicht: Im dritten Quartal des letzten Jahres hatte das Land, wenn Sie sich erinnern, auch ein leichtes Wachstum gehabt. Da hatten wir Wirtschaftsindikatoren, die alle nach oben zeigten. Die Arbeitslosigkeit ist leicht zurückgegangen. Das Konsumentenverhalten ...
    "Wirtschaft fährt ab heute im Leerlauf"
    Schulz: Herr Kelemis, jetzt ist das Land natürlich dadurch noch mal heute Morgen in einer ganz besonders ernsten Lage, da schlichtweg die Banken nicht öffnen werden. Die Börse öffnet nicht. Es gibt überhaupt nichts wie einen wirtschaftlichen Alltag. Wie gehen die Unternehmen damit um?
    Kelemis: Ich würde sagen, die Wirtschaft fährt im Leerlauf ab heute. Wie Sie richtig sagten: Die Banken werden für mindestens eine Woche geschlossen bleiben. Es ist ein Ministerialerlass heute Früh um drei Uhr erlassen worden und demnach werden die Banken wie gesagt für mindestens eine Woche, bis Montag nächster Woche geschlossen bleiben. Finanztransaktionen können nicht ohne Weiteres getätigt werden, insbesondere ins Ausland. E-Banking soll wohl möglich sein, aber da kenne ich noch nicht die Einzelheiten. Da möchte ich mich nachher auf dem Weg ins Büro informieren.
    Wichtig ist natürlich auch für die hunderttausenden Touristen aus Deutschland und die Millionen Touristen insgesamt, die im Moment sich im Land aufhalten, dass sie eine Möglichkeit bekommen, über Kreditkarten zu bezahlen. Das ist wohl möglich. Viele Unternehmen werden womöglich diese Kreditkarten nicht akzeptieren, weil die selbst natürlich bares Geld brauchen für den Umlauf.
    Schulz: Lässt sich das noch ein bisschen genauer sagen, was die Unternehmen machen? Sie haben gerade schon gesagt, sie sind im Leerlauf. Heißt das, es ist wirklich eine verordnete Pause, oder laufen da doch Vorbereitungen auf Hochtouren, Transaktionen?
    Kelemis: Das Unternehmensleben kommt zweifelsohne nicht zum Erliegen. Die Unternehmen können natürlich Überweisungen übers Online-Banking tätigen, oder Gehälter überweisen. Das ist ein Prozess, der aber mit einem gewissen bürokratischen Aufwand beispielsweise verbunden ist. Die Unternehmer müssen bei der Bank eine Reihe von Papieren mit vorlegen, damit diese Transaktionen auch stattfinden können. Also es ist alles nicht mehr normal. Das ist nicht mehr angenehm. Aber zum Stillstand ist es und wird es auch in dieser Woche nicht kommen.
    "100 Milliarden Euro Investitionen sind nötig"
    Schulz: Es ist ja auch immer wieder gesagt worden, diese Hängepartie mit den Hilfspaketen, die sei grundsätzlich schon ganz falsch gewesen. Griechenland müsse sich jetzt einfach neu sortieren. Ist es, ohne zynisch sein zu wollen, aus Ihrer Sicht möglicherweise eine Chance auch, dass Griechenland jetzt vor diesem Neuanfang steht?
    Kelemis: Ja. Ich habe mich vorhin ganz eindeutig auf die Seite Europas gestellt, und das tut die Mehrheit der Griechen. Vergessen wir nicht: Bei dem jüngsten Paket, was verhandelt wurde und leider abgebrochen wurde, das Paket sah vor auch eine Entwicklungshilfe in Höhe von 35 Milliarden Euro. Darüber hinaus stehen dem Land über 20 Milliarden Euro aus dem Strukturfonds-Programm zur Verfügung. Es gibt eine Studie des Wirtschaftsinstituts hier in Griechenland, demnach braucht das Land ungefähr 100 Milliarden Euro in den nächsten Jahren an Investitionen, um durchschnittlich in den nächsten drei Jahren einen Primärüberschuss von drei Prozent zu erzielen. Natürlich wird das alles klappen. Natürlich werden diese Investitionen getätigt, wenn das Land die notwendigen Reformen auch durchzieht, und hier ist es in der Tat seit Sommer letzten Jahres nach den Europawahlen zu einem Stillstand gekommen und die gegenwärtige Regierung hat dieses Reformpaket einfach auch nicht weiter fortgesetzt.
    Schulz: Aber was muss denn passieren in Griechenland, damit Unternehmer wieder investieren?
    Kelemis: Ja, es müssen Reformen in der Modernisierung beispielsweise des griechischen Steuersystems passieren. Es müssen Reformen im Verwaltungsbereich, im Bereich der Renten, Justiz, Arbeitsmarktreformen, Produktmarktreformen durchgeführt werden. Es ist einiges, was in der Agenda steht. Aber das Wichtigste ist, dass das Land Stabilität hat, eine Sicherheit, wo es hinsteuert, und das ist derzeit nicht in dem notwendigen Maße, sage ich mal, gegeben.
    Schulz: Herr Kelemis, wir erreichen Sie heute Morgen ja in Athen. Wie würden Sie die Stimmung da beschreiben, wenn sich das überhaupt so pauschal sagen lässt?
    "Die Griechen sind äußerst verunsichert"
    Kelemis: Ja, es ist eine depressive Stimmung. Die Griechen sind äußerst verunsichert. Sie haben die Bilder vielleicht gesehen im Fernsehen. Da stehen Warteschlangen von Menschen vor den Geldautomaten. Gestern Nacht haben sich auch Warteschlangen gebildet bei den Tankstellen. Es ist eine Unruhe ausgebrochen, eine Unsicherheit, was bringt uns der morgige Tag, was bedeutet das Referendum letztendlich für das Land. Ich denke, das Wichtigste ist, dass man jetzt die Nerven behält und ganz ruhig in die neue Situation einsteigt und versucht, sie wirklich mit Ruhe zu meistern.
    Schulz: Schaffen Sie das als Privatperson?
    Kelemis: Ja sicher, alle schaffen das. Wir haben einen sehr stark geregelten Rahmen. Der sieht vor, dass beispielsweise bei den Geldautomaten wahrscheinlich ab morgen oder übermorgen - wie gesagt, das steht alles in diesem Ministerialerlass drin - bis zu 60 Euro abgehoben werden können. Alle müssen wir in dieser Woche damit umgehen. Da gibt es keinen Ausweg.
    Schulz: Athanasios Kelemis, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen, heute Morgen hier bei uns in den „Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für die Zeit, die Sie uns gegeben haben.
    Kelemis: Besten Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.