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Grigol Robakidse: "Magische Quellen"
Das Stammesbewusstsein gurgelte

Nach und nach beginnen deutschsprachige Verlage, Schriftsteller aus Georgien zu entdecken und zu übersetzen. Unter dem Titel "Magische Quellen" sind nun drei kurze Novellen des 1882 geborenen und 1962 gestorbenen Autors Grigol Robakidse erschienen. Robakidse gilt als Klassiker, er ist aber auch durchaus umstritten.

Von Christoph Schröder | 09.02.2018
    Buchcover Grigol Robakidse: Magische Quellen und der Ort Ushguli in Georgien
    Dem Orgiastischen, Wilden und Animalischen auf der Spur: Robakidses ideologische Irrwege müsse man aus ihrer Zeit heraus betrachten, schreibt Christoph Schröder (Arco Verlag / dpa/picture alliance/Thomas Schulze)
    Es ist ein so kurzes wie verwirrendes Buch, mit dem man es hier zu tun hat. Verwirrend in der Ambivalenz und in der Mischung aus schönen Sätzen und erhabenen Naturbetrachtungen einerseits und in der Verwendung völkischen Vokabulars andererseits, das einem aus "Magische Quellen" entgegenschlägt. Gemeinsam mit einem Filmteam macht sich der Ich-Erzähler in der Novelle "Magische Quellen" auf in den Kaukasus, um dort dem legendären Bergvolk der Chewsuren zu begegnen und eine Dokumentation zu drehen. Und gleich zu Beginn der Reise wird deutlich, welche Perspektive der Erzähler auf die Landschaft wirft:
    "Hier ist die Erde noch in Wahrheit 'Mutter Erde', warmschößig, früchteträchtig. Bis zur Beklemmung spürt man den gewaltigen, lebendigen, urhaften Mythos. Vorweltliches umweht und umweht dich."
    Grigol Robakidse ist eine Figur der georgischen Literatur, deren ideologische Irrwege aus ihrer Zeit heraus betrachtet werden müssen. 1921 war es ausgerechnet der Georgier Josef Stalin, der die Demokratische Republik Georgien besetzte und der Sowjetunion einverleibte. Die Erhaltung nationaler Identität und der Befreiungskampf gegen die sowjetische Vorherrschaft wurden zu einem prägenden Bestandteil von Robakidses Biografie. Hinzu kommt, dass Robakidse in seinen Texten ohnehin dem Orgiastischen, Wilden und Animalischen nachspürt.
    Ein erzählerisches Versinken in einer archaischen Kultur
    "Magische Quellen" ist eine abenteuerliche Selbsterfahrungsreise. Der Ich-Erzähler versinkt förmlich in der archaischen Kultur der Chewsuren. Mit einem von ihnen geht er eine Blutsbrüderschaft ein. Wie überhaupt das Blut ein Leitmotiv der Novelle ist, sei es in Form von Opferritualen, sei es in Gestalt des greisen Medizinmannes, der seine Heilkraft aus alten, mythischen Zeiten hinüber gerettet hat. Während eines Festmahls im Kreis der Chewsuren reflektiert der Ich-Erzähler die vermeintlich überlegene Stärke eines geschlossenen Volkskörpers:
    "Der Einzelne verlor sein eigenes Gepräge. Das Stammesbewusstsein gurgelte in unterirdischen Quellen. Das Sippengedächtnis tat seine Arbeit. Vom starken Blutstrom der Rasse ergriffen, schienen diese Menschen einfache physische Glieder eines unsichtbaren Ganzen zu sein. Irgendwo in den zahllosen Schichten des Unterbewusstseins musste wohl das lebendige Bild des Stammes aufsteigen und sich selber neu erschaffen."
    Häufig ist im Zusammenhang mit Grigol Robakidse zu lesen, es sei bedauerlich, dass die Qualität seiner Texte immer wieder hinter seiner Biografie verschwinde. Doch vielleicht ist beides auch nicht voneinander zu trennen. Denn ja: "Magische Quellen" und auch die beiden anderen kurzen Novellen, die der Band enthält, bestechen auch in der Übersetzung durch große Suggestivität, intensive atmosphärische Schilderungen und ein ausgeprägtes Stilbewusstsein. Andererseits gilt es festzuhalten, dass Robakidses Anfälligkeit für Pathos und ekstatische Rauschzustände ihn geradewegs in die Faszination für begnadete Rhetoriker wie Mussolini und Hitler hinein trieb.
    Exil und Freundschaft mit Intellektuellen
    1931 ging Robakidse ins Exil nach Deutschland, schloss Freundschaft mit Intellektuellen wie dem Soziologen Werner Sombart und lernte die deutsche Sprache. Als georgischer Widerstandskämpfer schloss er sich einer Organisation an, die mit der Wehrmacht kooperierte. Nach Kriegsende musste Robakidse Deutschland wegen seiner Zusammenarbeit mit dem NS-Regime verlassen und ging in die Schweiz. Vor diesem Hintergrund ist die rein literarische Beurteilung der zu Beginn der 1930er-Jahre entstandenen kaukasischen Novellen eine komplexe Angelegenheit.
    "Magische Quellen" ist kein Dokument eines hitzigen und spontan ausgebrochenen Nationalismus. Vielmehr sucht Robakidse den Anschluss an die tieferen, mythischen Zeiten in allen Lebensbereichen. Als sein Ich-Erzähler sich in die Cousine seines chewsurischen Blutsbruders verliebt und die beiden die erste Nacht verbringen, macht Robakidse daraus umgehend weit mehr als nur die Darstellung einer körperlichen Annäherung:
    "Ich empfand sie als etwas Urzeitliches, als Eva, fast der Individualität bar. Wir lagen Brust an Brust, berührten uns. Sie wich zurück, aber sie löste ihre Lippen nicht von den meinen. Ihre Brüste erschienen mir wie Flusskiesel, von der Sonne durchglüht. Sie selber war hart und fest wie Felsenstein. Und aus dem Felsenstein sprang ein Quell: ihr Mund, von dem ich tierhaft gierig trank."
    Man mag davon hin und wieder peinlich berührt sein, von diesem aufgeladenen Sound, der sich gegen alle Selbstverständlichkeiten der Moderne positioniert. Hoch interessant allerdings ist auf der anderen Seite, dass Robakidses "Magische Quellen" die zivilisatorischen Koordinaten genau kennen und sie archaisch überschreiben. Als Haltung gegenüber der Welt entwickelt dieses literarische Prinzip eine nicht unbedeutende Sogkraft. Man muss nur eben mitdenken, dass der Versuch der vollständigen ästhetischen Entgrenzung selbst immer auch totalitäre Züge in sich trägt.
    Grigol Robakidse: "Magische Quellen" Aus dem Georgischen von Richard Mecklein und Käthe Rosenberg. Arco Verlag, Wuppertal/Wien. 134 Seiten, 14,- Euro.