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Grimme-Preis
"Privatsender sind in einer großen Krise"

Zum 50. Mal werden im April die Grimme-Preise verliehen. Auch in diesem Jahr kommen die meisten Preisträger aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die Privatsender hätten als Innovationsträger ausgedient, sagte Uwe Kammann, Direktor des Grimme-Instituts, im DLF.

Uwe Kammann im Gespräch mit Michael Köhler | 19.03.2014
    Michael Köhler: Und nun zu preiswürdigen Fernsehproduktionen. Reden wir nicht lange drum herum. Uwe Kammann, wer ist Grimme-Preisträger 2014 in der Kategorie Fiktion?
    Uwe Kammann: Ja! Es sind Stoffe, die teilweise Gegenwartsthemen betreffen. Das eine ist "Grenzgang", eine wunderbare, eigentlich gescheiterte Liebesgeschichte von gebrochenen Personen, die aber trotzdem natürlich ihre Sehnsucht haben, in der hessischen Provinz, und so, dass es gar nicht provinziell wirkt. Dann ein eher zeitgeschichtliches Thema, ganz jung allerdings auch noch, "Eine mörderische Entscheidung", wo eine Art von Dokudrama benutzt wird, um die Kundus-Affäre, die ja jeder noch im Kopf hat, zu erzählen, um die Hintergründe aus dem inneren Handeln der Personen heraus darzustellen. Es ist wieder auch ein "Tatort" dabei, kann fast gar nicht anders sein, ein sehr harter diesmal vom Österreichischen Rundfunk. Und etwas sehr Schönes, sehr Leichtes, was allen gut gefallen hat, eine Echtzeitserie vom Südwestrundfunk und von Arte, heißt "Zeit der Helden". Da hat man mal versucht, die erzählte Zeit und die Lebenszeit zu koppeln, das auch mit der Zuschauerzeit wiederum zu synchronisieren. Das ganze ist eine wunderbar leichte Geschichte über eigentlich mehrere Paare in der Midlife-Crisis, und da haben sie gesagt, es gibt wunderbare Serien auch in Deutschland. Diese jedenfalls gehört dazu.
    Köhler: Es fällt auf, Herr Kammann: ganz viele öffentlich-rechtliche Preisträger. Haben die Privatsender als Innovationsträger oder als Formatlabors ausgedient?
    Kammann: Weitgehend, würde ich sagen. Sie sind immer noch stark in einigen Formaten der Unterhaltung. Sie haben ja auch dort einen Preis bekommen. Aber das ist schon fast traditionell so. In der Information und Dokumentation gibt es fast nichts von den Privaten und das gleiche gilt für die Fernsehfilme. Dort haben sie sich eigentlich abgemeldet. Es gibt ganz wenige Filme, die man überhaupt dann in den Korb der Jury tun kann. Das ist eine immer sehr traurige Entwicklung, dass das Segment sich so eingeengt hat, aber es entspricht, wie wir es jetzt gesehen haben, dem Kräfteverhältnis. Die Öffentlich-Rechtlichen haben immer noch viel Substanz, und wie man bei "Zeit der Helden" gesehen hat: Sie haben auch Innovationskraft. Das alles ist bei den Privaten praktisch nicht zu sehen. Ich finde, sie sind in einer großen Krise, nachdem sie ja '84 mal gestartet waren mit dem großen Spruch "jetzt wird alles frischer und neuer". Davon ist im Augenblick nicht viel zu sehen und sie müssen sich eigentlich anstrengen, um aus den routinierteren Formen herauszukommen. Man sieht das ja auch, das ist im Augenblick ein Gradmesser auch für Interessen, dass die Quoten bei den Privaten eher zurückgehen. RTL ist da ganz schön gebeutelt.
    Fernsehen ist das "größte Kulturinstrument in Deutschland überhaupt"
    Köhler: Wir müssen in diesem Kulturjournal natürlich über Kulturfilme auch noch sprechen. Wo finden die ihren Niederschlag? Ist das ein Feigenblatt, wenn ein Film wie "Woyzeck" auf ZDF, Arte, 3Sat geehrt wird? Wie halten Sie es mit der Kultur?
    Kammann: Das ist ja ganz schwer zu sagen. Ich finde, Fernsehen muss in allen seinen Sendungen Kultur sein. Es ist ja ein Faktor der Kultur und für mich auch das größte Kulturinstrument in Deutschland überhaupt, das in der Reichweite, in der Wirksamkeit, ich finde auch in den vielen Formen die anderen wie Theater und auch Kunstausstellungen in meinen Augen übertrifft. Und dazu ist es ja noch sehr verankert im Alltag. Also ich denke, in seinem besten Hervorbringen ist Fernsehen Kultur. Die Berichterstattung über Kultur ist etwas anderes, das ist ja eher auch routiniert. Theaterfilme sind schon immer umstritten. Die Jury hat das intensiv diskutiert. Aber es kam dann nicht mit einem Original-Fernsehfilm, der fürs Fernsehen geschrieben ist, wo man sagt, alles in allem ist das eine filmische Erzählung. Beim Theater haben wir ja immer in gewisser Weise eine Übersetzung, auch wenn man es natürlich dramaturgisch so wie einen Film aufbereiten kann. Ich bin überzeugt, die Stärken des Fernsehens liegen nicht in den Übersetzungen und im Greifen nach dem anderen, sondern die müssen sich aus der eigenen Produktion entwickeln.
    Köhler: Ein letztes, Herr Kammann. Was hat das zurückliegende Jahr aus Ihrer persönlichen Sicht geboten? Der Dokumentar- und Infobereich ist nach wie vor im Exil, in den Nachtsendestrecken?
    Kammann: Ja, das ist ein großes Problem. Es gibt großartige Dokumentarfilme. Es gibt auch viele lange Dokumentarfilme. Die 90-Minüter sind im Wettbewerb immer gut vertreten. Sie laufen leider gegen Mitternacht, auch wenn sie ganz großartige Themen vorstellen. Da muss ich allerdings eines sagen: Die moderne Technik erleichtert ja, die Sachen über die Mediathek dann doch zu sehen, zeitunabhängig und ortsunabhängig, und da kommt viel Bewegung rein. Ich denke, eines sollte man nie vergessen: Auch der Zuschauer, finde ich, hat da eine gewisse Pflicht und Schuldigkeit, auch dort zu suchen, wo etwas ist, und es gibt mehr zu finden, wenn man bereit ist, dann auch sich der Mühe des Suchens zu entziehen. Das ist wie in einer Buchhandlung: Vorne liegen all die Dinge auf dem Krabbeltisch, die man im Fernsehen bemängelt, vom Kochbuch bis zum Reiseschmöker oder zum internationalen Bestseller. Aber wer mehr will, muss in die hinteren Regale gehen und wird dann natürlich auch belohnt.
    Köhler: Fernsehkultur als Kulturfernsehen - Uwe Kammann, Direktor des Grimme-Instituts, zu den Preisträgern 2014, die heute bekannt gegeben worden sind. Die große Party steigt Anfang April in Marl.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.