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Grippewelle rollt durch das Land

Derzeit ist die Deutschlandkarte der Arbeitsgruppe Influenza beim Berliner Robert Koch-Institut tief rot eingefärbt, was eine "recht starke" Grippewelle signalisiert, wie die Forscherin Brunhilde Schweiger erklärt. Allerdings seien nicht unbedingt die niedrigen Temperaturen daran Schuld, so die Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Influenza.

Brunhilde Schweiger im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Wer dieser Tage auf die Internet-Seite der Arbeitsgruppe Influenza surft, der sieht die Deutschlandkarte in tiefem Rot. Rot steht für, so heißt es auf der Seite, stark erhöhte Aktivität der akuten respiratorischen Erkrankungen. Übersetzt heißt das, Deutschland ist vergrippt. Sollten sie also das Gefühl haben, um sie herum seien alle krank, das ist mehr als ein Eindruck, nämlich belegte Erkenntnis der Forscher vom Robert Koch-Institut. Die grassierende Grippewelle dürfte in diesen Tagen ihren Höhepunkt erreichen, Thema hier in den kommenden Minuten im Gespräch mit Dr. Brunhilde Schweiger. Beim Robert Koch-Institut leitet sie das Nationale Referenzzentrum für Influenza und ist mir jetzt in Berlin zugeschaltet. Guten Morgen!

    Brunhilde Schweiger: Schönen guten Morgen!

    Schulz: Ist Ihre Abteilung komplett oder ist jemand krank?

    Schweiger: Wir sind zum Glück komplett, und das ist auch gut so, weil die Grippewelle hat uns natürlich sehr viel Arbeit beschert.

    Schulz: Wie fest hat die Grippewelle Deutschland im Griff im Vergleich zu Vorjahren?

    Schweiger: Sie sagten es ja bereits: Wir haben schon seit Anfang Januar hier wirklich stark erhöhte Aktivität an Atemwegserkrankungen gemessen und wir haben natürlich auch seit der zweiten Woche dann entsprechend sehr viel mehr Influenzaviren nachgewiesen, so dass die Grippewelle Deutschland schon doch bestimmt zwei oder drei Wochen fest im Griff hat.

    Schulz: Ab wann sprechen Sie überhaupt von einer Grippewelle?

    Schweiger: Wir beobachten ja über schon viele Jahre die Aktivität an Atemwegserkrankungen, insbesondere intensiv während der Herbst- und Winterzeit, und wissen, wenn wir so ein Durchschnittsniveau von etwa 100 – das ist ein Faktor, den wir ermitteln – haben, dann ist alles im normalen Bereich. Sie würden die Deutschlandkarte eher blau vorfinden im Vergleich zu jetzt. Steigen die Aktivitäten aber auf einen Faktor von ungefähr 150, so haben wir schon Hinweise darauf, jetzt ist die Grippewelle im Anrollen, und jetzt ist der Faktor sogar in manchen Bundesländern schon weitaus über 200 gewesen. Das sind deutliche Zeichen dafür, dass wir es wirklich doch mit einer recht starken Grippewelle zu tun haben, stärker als wir es in den letzten zwei, drei Jahren gesehen haben.

    Schulz: Der dominierende Subtyp des Virus ist ja der AH3N2, der als besonders gefährlich gilt. Warum?

    Schweiger: Um das erst mal vorwegzunehmen: dieser Subtyp ist per se nicht besonders gefährlich. Es ist nur so, dass er oft dafür verantwortlich ist oder in den meisten Grippewellen für die Mehrzahl der Erkrankungen verantwortlich ist. So ist das eben auch in diesem Fall. Die Viren, die wir dieses Jahr zu ungefähr 90 Prozent sehen, sind auch schon vor zwei Jahren so ähnlich hier zirkuliert, haben sich natürlich seitdem ein kleines bisschen verändert, aber wir können nicht sagen, dass sie ganz besonders gefährlich sind. Sie infizieren nur halt eben sehr viele Menschen.

    Schulz: Und dieser Subtypus war auch häufig im Spiel, wenn viele Menschen an den Folgen einer Grippe gestorben sind. Ist das Ihre Sorge auch für dieses Jahr?

    Schweiger: Wir sehen natürlich oft, wenn wir so erhöhte Aktivitäten haben wie in diesem Jahr, dass dann auch wir eine sogenannte erhöhte Übersterblichkeit haben. Das wissen wir natürlich erst einige Zeit später, weil wir brauchen dazu auch die Daten vom Statistischen Bundesamt, die gemeinsam mit unseren Daten dann ausgewertet werden. Es ist schon zu befürchten, dass auch die Grippewelle in diesem Jahr möglicherweise mehr Opfer fordert als in den zwei, drei Jahren zuvor.

    Schulz: Übersterblichkeit heißt mehr als im Durchschnitt, der ja zwischen 8.000 und 11.000 Menschen liegt?

    Schweiger: Genau das kann ich bestätigen. Wir ermitteln dann die Anzahl der Personen, die über die zu erwartenden Zahlen, die Sie ja gerade genannt hatten, hinaus verstorben sind, während der Zeit, wo wir eben besonders hohe Aktivität an Atemwegserkrankungen messen, und auch während der Zeit, in der wir gerade die meisten Influenzaviren nachweisen.

    Schulz: Der Winter, der jetzt gerade ausklingt, wird vielen ja in Erinnerung bleiben als ein besonders harter mit den Frosttemperaturen Anfang Januar. Ist das auch ein Grund dafür, dass sich die Grippe so schnell ausgebreitet hat?

    Schweiger: Bis jetzt gibt es wirklich keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass eine niedrige Temperatur, wie wir sie haben, unter dem Gefrierpunkt wirklich die Grippewelle so richtig anschieben kann. Im Gegenteil: Es sieht fast ein bisschen so aus, wenn wir Matschwetter haben, das Wetter ändert sich, etwas wärmer, etwas kälter, die Menschen sind nicht vernünftig angezogen, dass es dann sogar eher dazu beitragen könnte. Aber wie gesagt, das sind keine eindeutigen wissenschaftlichen Beweise.

    Schulz: Hat es Sinn, sich jetzt noch mit einer Impfung zu schützen?

    Schweiger: Wir hatten ja schon in dem Gespräch wiederholt festgestellt, wir befinden uns gerade auf dem Gipfel der Grippewelle und man muss sich natürlich vor Augen halten, dass nach der Impfung der Körper etwa knapp zwei Wochen braucht, um wirklich auch einen ausreichenden Impfschutz auszubilden. Wir wissen aber nach dem Peak geht es natürlich auch wieder in das Tal mit der Grippewelle, so dass wir in zwei Wochen schon davon ausgehen müssen, dass sich die Grippewelle doch wieder recht zurückgezogen hat in Deutschland, so dass es jetzt keinen Sinn macht, noch großflächig zum Impfen aufzurufen. Ob wirklich eine Person noch dringend Schutz braucht, das sollte ganz individuell mit dem Arzt geklärt werden. Im Ernstfall stehen ja auch noch Medikamente zur Verfügung.

    Schulz: Woher wissen Sie vorher, wie die aktuelle Grippewelle gestrickt ist?

    Schweiger: Das wüssten wir natürlich gerne vorher, wie sie gestrickt ist. Wir wissen es nie. Wir stellen uns immer darauf ein, dass wir natürlich eine Grippewelle haben werden. Die haben wir auch jedes Jahr. Sie ist in ihrer Intensität unterschiedlich. Wovon man schon ausgehen kann, wenn wir uns unsere Überwachungsergebnisse der letzten Jahre vor Augen halten, dass es immer wieder ein Jahr ist, wo die Influenzaviren eben stärker zuschlagen, das heißt die Grippewelle stärker ist wie in diesem Jahr, so dass es, ich würde sagen, nicht ganz so unerwartet kam. Aber genau wissen wir es natürlich nie.

    Schulz: Und der AH3N2 - war der drin im aktuellen Impfstoff?

    Schweiger: Dieser AH3N2, genau mit zwei anderen Komponenten, das heißt zwei anderen Viren oder Typen, Subtypen, die wir erwarten, sind immer im Impfstoff. Das heißt, wir haben immer einen Drei-Komponenten-Impfstoff und wir können auch zum Glück sagen, dass der Impfstamm in diesem Jahr doch recht eng verwandt ist mit den Viren, die derzeit zirkulieren, so dass wir schon davon ausgehen können, dass diejenigen, die sich haben impfen lassen, auch einen recht guten Schutz haben.

    Schulz: Bleibt es bei einer Grippewelle in diesem Jahr?

    Schweiger: Wir haben bis jetzt keine Hinweise darauf, dass sich eventuell noch einer der beiden anderen Typen oder Subtypen, die wir ja immer miterwarten, so richtig draufsetzt. Wir gehen schon davon aus, wenn jetzt der Hauptpeak vorbei ist, dass wir dann auch langsam auf die Talsohle zumarschieren und sich keine weitere Welle draufsetzt.

    Schulz: Brunhilde Schweiger, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Influenza beim Robert Koch-Institut in Berlin. Danke schön!

    Schweiger: Bitte!