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Größere Anschläge sind nicht zu befürchten

Welter: Terrorwarnungen, Anschläge, der elfte September 2001 hat alle Welt sensibler gemacht für Nachrichten der Qualität, wie wir sie gerade aus Moskau und dem asiatisch-pazifischen Raum erhalten haben. Ich begrüße Kai Hirschmann, den stellvertretenden Direktor am Essener Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik, guten Morgen.

    Hirschmann: Guten Morgen, Frau Welter.

    Welter: Herr Hirschmann, die Nachrichten über Terroranschläge und Terrorwarnungen dringen in unseren Alltag ein, das bringt das Medienzeitalter mit sich. Aber heißt das auch, dass unser Alltagsleben bedroht ist?

    Hirschmann: Es ist zumindest nicht bedrohter, als es vorher war. Es finden in letzter Zeit häufiger Anschläge aus dem Grunde statt, dass die großen Anschläge, die eine lange Vorbereitungszeit brauchen, speziell wenn man vom islamistischen Terrorismus ausgeht, so nicht mehr geplant und stattfinden können. Stattdessen finden in Anführungszeichen "kleinere" Anschläge mit Totenzahlen, Opferzahlen so zwischen 20 und 100 statt. Aber natürlich transportieren die Medien die Ereignisse sehr viel genauer und wir sind sehr viel sensibler geworden, was diesen Bereich betrifft.

    Welter: Große, sagen Sie, finden nicht statt, weil die Fahndung, weil die Suche nach den Tätern und den Tätern, die etwas vorhaben, besser geworden ist, effektiver?

    Hirschmann: Sie ist zumindest intensiver geworden, speziell was den Bereich islamistischer Terrorismus betrifft, aber darüber hinaus was die traditionellen Terrorgruppen wie ETA und andere betrifft, ist ein sehr viel höherer Fahndungsdruck aufbaut worden. Die Szene wird sehr viel mehr versucht in Bewegung zu halten, so dass sie heute zum Beispiel nicht die Vorbereitungszeit haben, die sie brauchen, um einen Anschlag mit der Logistik des elften September oder anderer vergleichbarer Anschläge dieser Größenordnung durchzuführen, so dass man hier mehr auf den Standardanschlag des Fahrzeuges mit Sprengstoff von Selbstmordattentätern gesteuert in ein Gebäude zurückgreift oder halt Bomben, die man zum Beispiel in U-Bahnen oder anderswo zündet.

    Welter: Dabei sind ja die Gruppen, sind die Motive von Attentätern so verschieden, wie sie es seit jeher waren. Der Anschlag in Moskau am vergangenen Freitag mag auf das tschetschenische Konto gehen, die ETA in Spanien hat andere Motive, El Kaida wiederum steht auf einem noch anderen Blatt. Das ist sehr unterschiedlich?

    Hirschmann: Das sind in der Tat sehr unterschiedliche Motive. Der islamistische Terrorismus, den wir allgemein unter dem Stichwort und dem Oberbegriff El Kaida kennen, ist eine Weltanschauung, eine Ideologie, bei der es darum geht, mittels Gewalt, mittels Nadelstichen westliche Einflüsse in muslimischen Ländern zurück zu drängen, während es der ETA zum Beispiel traditionell um separatistische Motive geht, das heißt einen eigenen Staat zu etablieren. Das ist zum Beispiel nicht das Ziel islamistischer Terroristen. Bei den Tschetschenen ist es ein wenig zweigeteilt, hier gibt es sowohl klassische Rebellen, die um einen eigenen Staat kämpfen, als auch eine islamistische Szene, die Anschläge verübt, die allerdings heftig von El Kaida unterstützt und ausgebildet ist.

    Welter: Nehmen wir, Herr Hirschmann, das letzte Wochenende, da haben wir von einer ganzen Reihe von Flügen gehört, die storniert wurden, Flügen, die in die Vereinigten Staaten gehen sollten. Wem gelten solche Nachrichten, wenn sie dann an die Öffentlichkeit geraten oder auch gebracht werden? Der Bevölkerung, die beruhigt werden soll, oder den Terroristen, die gewarnt werden sollen?

    Hirschmann: Nun, ich würde zunächst einmal sagen, den Terroristen, die gewarnt werden sollen, dass man aufmerksam ist, weil natürlich eine solche Flut von Warnungen, die sich dann doch nicht bestätigt, natürlich auch kontraproduktiv sein kann. Hier muss man allerdings deutlich feststellen, auch was die Amerikaner betrifft, was teilweise einige europäische Staaten betrifft, dass hier natürlich jede Meldung, die zutreffen könnte, natürlich sofort in die Öffentlichkeit kommuniziert wird und zu Maßnahmen führt. Da wäre es natürlich manchmal besser, man würde sozusagen hinter den Kulissen das Ganze ausrecherchieren, mit Informationen anreichern und dann leise handeln, weil sich natürlich in den Augen der Bevölkerung eine solche vermeintliche Bedrohung und eine Aufmerksamkeit, die dann erforderlich ist, auch sehr schnell abnutzt beziehungsweise nicht mehr einstellt. Das heißt, desto öfter Sie solche Terrorwarnungen bekommen, desto mehr stumpfen Sie ab gegenüber ihrem Inhalt und das ist natürlich kontraproduktiv, wenn dann natürlich tatsächlich ein größerer Anschlag, sagen wir von El Kaida, geplant wir.

    Welter: Nachdem, was Sie sagen, Herr Hirschmann, was hat man denn seit dem 11. September 2001 erreicht? Was hat die internationale Allianz, wie sie sich nennt, geschafft?

    Hirschmann: Nun, sie hat El Kaida zu einer Reorganisation gezwungen. Dadurch, dass die Trainingslager und die zentralen Ausbildungsstätten in Afghanistan zerstört worden sind, hat man El Kaida sozusagen in eine Art Franchaising-System genötigt, das heißt Terrorismus im Lizenzverfahren. Jetzt ist es nicht mehr so, dass die weltumspannende Ideologie, die Weltanschauung zentral koordiniert werden kann, sondern sie wird nun in den Regionen von den jeweiligen regionalen Statthaltern in der Eigenregie koordiniert. Man kann sich da dann so vorstellen, dass es für jede Region bestimmte Organisationsstrukturen gibt und auch bestimmte Kommunikationsstrukturen gibt, die aber nun nicht mehr sozusagen über ein gemeinsames Dach oder über eine gemeinsame Supervision verfügen, sondern eigenständig handeln. Es gibt auch zahlreiche Gesetze, Gesetzesinitiativen, die seit dem elften September in Kraft getreten sind, die für sich aus durchaus erfolgreich sind, aber wie gerade das Urteil, was wir in der letzten Woche erlebt haben gegen Abdelghani Mzoudi, zeigt, gibt es auch auf diesem Gebiet noch viel zu tun.

    Welter: Wenn Sie die Gesetze ansprechen, die nun geschaffen worden sind zur Terrorbekämpfung, dann muss man auch über die Schattenseiten der Fahndung sprechen. Welcher Freiheitsbegriff wird für westliche Demokratien gelten, wenn wir von Fingerabdrücken aller Art hören, von Autokennzeichen, die gefilmt werden sollen? Da gibt es ja allerhand Maßnahmen, die auch eine Bedrohung für die Demokratie darstellen könnten, je nachdem, wie man sie auslegt?

    Hirschmann: Nun, man muss natürlich die Maßnahmen, die ergriffen werden, immer an der Gefährdungslage messen, und die Gefährdungslage, das haben wir ja auch durch die Öffentlichkeit in Deutschland oder durch die Sicherheitsbehörden, die es in der Öffentlichkeit deutlich gemacht haben, gehört und das ist natürlich weder hysterisch, noch übertreiben, sondern es gibt eine entsprechende, abstrakte Gefährdungslage in Deutschland. Darauf muss man sich einstellen und darauf muss man versuchen, mit entsprechenden Maßnahmen zu reagieren, wobei ich hier nicht den Eindruck hatte, dass die Freiheit über Gebühr zu Gunsten der Sicherheit eingeschränkt wird. Selbstverständlich ist es so, dass, wenn man neue Technologien einsetzen kann, die übrigens nicht nur im terroristischen Bereich eingesetzt werden können, sondern auch im allgemeinen kriminellen Milieu, in dem Milieu der organisierten Kriminalität zum Beispiel, das davon natürlich Gebrauch machen sollte. Man könnte es ziemlich platt formulieren, diejenigen, die keine Terroristen oder keine kriminellen Straftäter sind, für die ändert sich in der Gesellschaft natürlich überhaupt nichts, die sind von solchen Maßnahmen gar nicht betroffen.

    Welter: Aber dennoch gibt es ein Dilemma zwischen dem Schutz vor dem Terror und der Wahrung der Privatsphäre?

    Hirschmann: Das ist richtig, aber da müssen wir uns entscheiden, was wir wollen als Gesellschaft. Da müssen wir einen Dialog untereinander führen, denn es ist ohne Frage richtig, dass mit dem islamistischen Terrorismus eine Gefahr, eine Gefährdungslage auf uns zugekommen ist, auf die wir reagieren müssen. Wir haben zum Beispiel, wenn Sie sich die Sicherheitspakete nehmen, einige sehr offene Flanken, ich spreche das Religionsprivileg an, ich spreche andere Bereiche an, einige offene Flanken geschlossen, und dass hier natürlich die individuelle Freiheit dann, wenn man zu dem Ergebnis kommt, es liegt eine solche Gefährdungslage vor, vor der wir die Bürger ja schützen und vor der man die Bürger ja schützen muss, dass dann die individuelle Freiheit eingeschränkt werden muss, dürfte auf der Hand liegen. Weil, stellen Sie sich vor, es würde in Deutschland ein Terroranschlag stattfinden, dass ein Sprengstofflastwagen von einem El Kaida-Selbstmordattentäter in ein großes Gebäude gefahren wird, dann würde man natürlich fragen, warum sind die Sicherheitsbehörden nicht in der Lage gewesen, das zu verhindern? Und eine Antwort, sie sind nicht in der Lage gewesen, das zu verhindern, weil sie nach der Rechtslage nicht verhindern konnten, wäre dann sehr unbefriedigend und würde dann auch dazu führen, dass sehr viel Anklagen und sehr viel Kritik folgen würden.

    Welter: Kai Hirschmann vom Essener Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören.

    Hirschmann: Vielen Dank, auf Wiederhören.