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Groote (SPD): Schockbilder sollen jungen Leuten Rauch-Einstieg erschweren

Zwei Prozent weniger Neu-Raucher würden dem Gesundheitswesen Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe ersparen, sagt der SPD-Politiker Matthias Groote. Der Chef des Gesundheitsausschusses im EU-Parlament betont, dass vor der heutigen Abstimmung zur Tabakrichtlinie ein massiver Lobbydruck stattgefunden habe.

Matthias Groote im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Ein wuchernder Krebs in der Lunge, faulende Zähne, abgestorbene Füße – Schockbilder, drastisch, schonungslos, real, die helfen sollen, den Kampf gegen das Rauchen zu gewinnen, für sich zu entscheiden, politisch gesehen. Die Europaabgeordneten sollen genau darüber abstimmen in Straßburg: Sollen die Zigarettenpackungen künftig mit genau solchen Schockbildern versehen werden, die 65 Prozent der Fläche einnehmen? Die Tabakindustrie tobt, die Unternehmer wie auch die Gewerkschaften warnen vor Jobverlusten zu Tausenden alleine in Deutschland. Hinzu geben die Konzerne Millionen dafür aus, die Parlamentarier auf ihre Seite zu ziehen, gegen die Schockbilder zu stimmen.
    Am Telefon ist nun der SPD-Politiker Matthias Groote, Chef des Gesundheitsausschusses im Europäischen Parlament. Guten Morgen!

    Matthias Groote: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Groote, rauchen Sie?

    Groote: Nein!

    Müller: Und deswegen sind Sie für Verschärfung?

    Groote: Ich bin für Verschärfung, weil wir jungen Leuten den Einstieg erschweren wollen, oder junge Leute davon abhalten wollen, das Rauchen anzufangen. Wir wollen keinem 50-Jährigen oder 60-Jährigen, der 30 Jahre raucht, das Rauchen verbieten. Das ist nicht Sinn dieser Gesetzgebung und auch nicht Zweck dieser Gesetzgebung.

    Müller: Das heißt also, ein Hintertürchen bleibt noch offen?

    Groote: Ja.

    Müller: Weil Sie liberal sind?

    Groote: Ich bin nicht liberal, aber wir wollen nicht vorschreiben, wie die Menschen zu leben haben. Sinn und Zweck der Gesetzgebung ist es, wirklich jungen Leuten den Einstieg zu erschweren. Wenn nur zwei Prozent weniger Einsteiger da sind, dann haben wir im Gesundheitsbereich einen Benefit von einem zweistelligen Milliardenbetrag. Wir haben jedes Jahr 700.000 Todesopfer zu beklagen, die aufs Rauchen zurückzuführen sind, und ich glaube, das lohnt sich, diese Zahl zu reduzieren.

    Müller: Diese Zahl wird immer genannt, 700.000 Todesfälle innerhalb der Europäischen Union. Ist das für Sie wasserdicht, diese Studie?

    Groote: Ich kann mich nur darauf verlassen, dass die Kommission, die nun mal Gesetzgebung vorbereitet, dort Studien vorlegt, die wasserdicht sind. Sicherlich kann man immer argumentieren, eine Gegenstudie kann man vorlegen, aber da habe ich schon Vertrauen in die Europäische Kommission, dass die Vorbereitungen einer solchen Gesetzgebung oder die Revision in diesem Fall professionell und vernünftig durchgeführt wird.

    Müller: Herr Groote, Sie kennen ja viele, viele Kollegen in vielen, vielen Fraktionen und Parteien innerhalb des Europäischen Parlaments. Haben Sie dort einen Raucher getroffen, der bereit ist, bei der Verschärfung mitzumachen?

    Groote: Ja, habe ich. Es gibt Raucher, die dort mitmachen, die sagen, der Sinn ist, wirklich junge Leute dort vom Glimmstängel fernzuhalten, und darum ist natürlich auch der Lobbydruck so groß. Wenn ich als Tabakkonzern meine zukünftigen Kunden weggenommen bekomme, dann startet eine Riesenlobbymaschinerie, wie es jetzt der Fall ist.

    Müller: Erzählen Sie uns ein bisschen. Wir reden viel über Lobbyismus, auch in unseren Nachrichten, dann Transparency International, dass es eine große Rolle spielt. Wie funktioniert das bei Ihnen konkret?

    Groote: Es werden E-Mails geschickt, es kommen Terminanfragen zu Gesprächsterminen, hier in meinem Wahlkreisbüro sind kistenweise Postkarten angekommen von Tabakhändlern, die dagegen protestieren und wo Kunden dann auch protestieren, und so läuft dann Lobbying hier ab. Aber dieses Mal ist es anders gewesen, muss man sagen.

    Dieses Mal sind sehr, sehr viele Kollegen angesprochen worden, die nicht Mitglied im Gesundheitsausschuss oder mit beratenden Ausschüssen waren, so ungefähr nach dem Motto, dass da so ein Dreh reinkommt, wissen Sie was, lasst die Leute doch einfach leben und bevormunden sie die nicht, und das ist ja auch gar nicht Sinn und Zweck. Zum Beispiel Pfeifentabak oder auch bei den Zigarren, da werden die Duftstoffe nicht verboten, weil wir dort nämlich rückgängige Verkaufszahlen haben. Es wird nur dort angesetzt, wo wir steigende Verkaufszahlen haben und auch gerade bei jungen Leuten.

    Müller: Bleiben wir, Herr Groote, noch mal bei den Lobbyisten. Man darf sich ja auch etwas schenken, wenn es nicht allzu teuer ist. 150 Euro ist, glaube ich, hier die maximale Grenze. Haben Sie was geschenkt bekommen?

    Groote: Nein, ich habe nichts geschenkt bekommen. Es sind aber E-Zigaretten verschenkt worden, ich habe aber keine bekommen.

    Müller: Brauchen Sie ja auch nicht, Sie sind ja Nichtraucher.

    Groote: Genau. (lacht)

    Müller: Und wie ist das mit Essen und so? Man lädt sich ja da häufig ein beziehungsweise wird eingeladen. Konnten Sie dem denn folgen?

    Groote: Nein, auch nicht. Bei mir haben die Treffen im Büro stattgefunden. Ich habe zweimal mich mit der Tabakindustrie getroffen. Ich bin alter Kommunalpolitiker und ich höre mir beide Seiten an. Aber meine Meinung ist dort ziemlich fest, muss ich sagen, und ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir eine starke Tabak-Produktrichtlinie bekommen, und ich habe mich auch sehr dagegen gewehrt, dass die Abstimmung weiter verschleppt wird. Ich will auch hoffen, dass wir heute ein Mandat bekommen.

    Müller: Wir haben ja gestern mit Ihnen schon telefoniert. Da haben Sie gesagt, klar, wir können offen darüber reden. Wir waren gestern ein bisschen überrascht, weil nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" gibt es ja interne Firmenunterlagen, die irgendwie rausgekommen sind, und da wurden Sie als tabakfreundlich eingestuft. Haben Sie da eine Erklärung für?

    Groote: Nein, da habe ich keine Erklärung für, warum ich als tabakfreundlich eingestuft worden bin. Vielleicht, weil ich Ausschussvorsitzender bin. Da gibt es auch eine Kategorie Wichtigkeit der Person. Das kann ich nicht nachvollziehen, warum das der Fall ist. Wie gesagt, ich habe mich hier dafür eingesetzt, dass wir möglichst frühzeitig abstimmen, weil wir haben sehr viel diskutiert. Es kann keiner sagen, wir hätten das hier nicht zur Genüge diskutiert.

    Wir haben Anhörungen gehabt, wo Gesundheitsorganisationen, selbst Vertreter der Tabakindustrie mit dabei waren, wo alle Kollegen teilnehmen konnten. Wir haben speziell zu E-Zigaretten eine Anhörung gehabt, Weltgesundheitsorganisation, Hersteller von E-Zigaretten waren dabei, und insofern: Ich glaube, es ist genug diskutiert worden. Man sieht es auch, der Rat, das heißt die Gesundheitsminister, die damals noch 27, die sind seit dem 24. Juli fertig mit der Gesetzgebung.

    Müller: Jetzt kommt es auf Sie an?

    Groote: Jetzt kommt es auf uns an hier im Parlament, richtig.

    Müller: Philip Morris soll ja über anderthalb Millionen Euro investiert haben für das Lobbying, 160 Lobbyisten vor Ort, die 250 Abgeordnete getroffen haben. So haben wir das jedenfalls nachgelesen. Die Zahlen sind sicherlich schwer zu verifizieren. Kennen Sie Kollegen aus Ihrem unmittelbaren Umfeld, die umgefallen sind, weil Philip Morris gut war?

    Groote: Aus meinem Kollegenkreis kenne ich eigentlich keinen, der umgefallen ist. Ich sage mal, Lobbying findet immer statt. Gewerkschaften machen Lobbying, Umweltorganisationen machen Lobbying, Gesundheitsorganisationen. Das gehört zum alltäglichen Geschäft. Nur dieses Mal war es wirklich sehr besonders, muss ich sagen, dass fachfremde Kollegen dermaßen stark lobbyiert worden sind.

    Müller: Jetzt sind Sie als Sozialdemokrat offenbar bereit, wenn man jedenfalls der Argumentation der Industrie, aber auch der Gewerkschaften folgt, Sie sind bereit, Arbeitsplätze zu opfern.

    Groote: Ich will keine Arbeitsplätze opfern. Jedes Mal bei der Debatte um die Tabak-Produktrichtlinie wird immer ins Feld geführt, es würden Arbeitsplätze verschwinden. Diese Arbeitsplätze - vielleicht in einzelnen Bereichen und auch ohne Gesetzgebung könnte es da zu Verwerfungen kommen. Das Geld, was sonst für Zigaretten ausgegeben wird, wird ja für andere Sachen ausgegeben. Insofern entstehen auch woanders Arbeitsplätze und es fallen nicht massenweise Arbeitsplätze weg.

    Müller: Von wie vielen gehen Sie denn aus? Von wie vielen Arbeitsplätzen, die vernichtet werden, wenn dieses Gesetz in aller Schärfe durchgesetzt werden sollte?

    Groote: In aller Schärfe wird es eh nicht durchgesetzt werden, muss man sagen. Wir haben ja eine 75-Prozent-Forderung, was die Warnhinweise angeht. Der Rat ist bei 65, man einigt sich auf der Mitte irgendwo. Die Inhaltsstoffe, da gehen wir ran. Menthol ist ja gerade auch im EU-Parlament stimmt über Tabakrichtlinie ab (MP3-Audio) Vorspann angesprochen worden , was dazu dient, die Atemwege zu betäuben, damit man den Rauch tiefer einatmen kann. Die Sachen werden verboten werden, die 700 Inhaltsstoffe.


    Müller: Menthol bleibt aber trotzdem dann noch möglich?

    Groote: Ja, für drei Jahre. Eine Übergangsfrist von drei Jahren soll gewährleistet sein. Aber das ist gerade für Jungeinsteiger. Menthol betäubt ja die Luftröhre und somit kann man den Rauch tiefer einatmen und ist schneller an der Zigarette dran, muss man sagen, und darum wollen wir die Inhaltsstoffe auch verbieten.

    Müller: Dann ist auch bei Menthol Schluss für Helmut Schmidt. Aber der hat ja gebunkert. Das heißt, ihm gegenüber können Sie offensiv in die Argumentation gehen. – Wir müssen ein bisschen auf die Uhr schauen. Das heißt, Sie sind sicher, dass das Ganze in Ihrem Sinne über die Bühne geht?

    Groote: Wir haben ja mit vielen Kolleginnen und Kollegen gesprochen. Es ist ja nicht nur in meinem Sinne, sondern fraktionsübergreifend ist da in eine Richtung gearbeitet worden. Man kann nicht sagen, das ist eine Schwarz-Rot-Diskussion oder Schwarz-Gelb-Rot-Grün, sondern da ist eigentlich eine Große Koalition, muss man sagen, mit vielen, vielen, die eine Richtlinie haben wollen, wo wir uns aber in Nuancen noch unterscheiden.

    Müller: Jetzt signalisiert mir mein Regisseur, wir müssen zum Ende kommen. Dennoch: Ich hatte vergessen, Ihre Antwort abzuwarten auf die Frage, wie viele Arbeitsplätze.

    Groote: Wie viele Arbeitsplätze? – Das kann man nicht sagen, wie viele Arbeitsplätze dort verloren gehen.

    Müller: Womit rechnen Sie denn minimum?

    Groote: Ich rechne mit einem vielleicht drei- bis vierstelligen Bereich, mehr werden es nicht werden, die aber in anderen Bereichen aufgefangen werden, und das ist auch reine Spekulation, muss man sagen, reine Spekulation.

    Müller: 7:29 Uhr im Deutschlandfunk – der SPD-Politiker Matthias Groote war das live bei uns, Chef des Gesundheitsausschusses im Europäischen Parlament. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.

    Groote: Guten Tag!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.