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Großbritannien
Briten diskutieren über Silvester-Übergriffe

Britische Medien zögerten nicht, die nordafrikanische oder arabische Herkunft der Täter vom Kölner Hauptbahnhof zu benennen. Die Übergriffe wurden sofort in den Kontext der Flüchtlingskrise gestellt. Und der EU-skeptische Politiker Farage sagt: "Deutschland schafft sich ab."

Von Friedbert Meurer | 14.01.2016
    UKIP-Chef Nigel Farage in der Andrew Marr Show.
    UKIP-Chef Nigel Farage in der Andrew Marr Show. (picture alliance/dpa - Jeff Over / BBC)
    "Dramatic scenes in the last half an hour. The police tried to contain these protesters. It was hugely tense."
    Wieder eine Live-Schaltung zum Kölner Hauptbahnhof. Die Reporterin des privaten Fernsehkanals Channel 4 spricht von dramatischen Szenen in der letzten halben Stunde. Die Polizei setze Wasserwerfer gegen Pegida-Anhänger ein. Der Name der viertgrößten deutschen Stadt "Cologne" ist fast zu einer Chiffre geworden: Das ist die Stadt, in der Deutschland die Folgen einer gut gemeinten Aufnahme von einer Million Flüchtlinge zu spüren bekommt.
    "The attackers who also targeted this area outside the main station were described as young men of Arab or North African appearance."
    Herkunft der Täter kein Tabu
    Die britischen Medien stiegen sofort und ohne Zögern darauf ein, dass die Täter ausschließlich Migranten aus Nordafrika oder aus arabischen Ländern waren. Die massenhaften sexuellen Übergriffe wurden sofort in den Kontext der vielen Flüchtlinge in Deutschland gestellt.
    "What's clear is that Angela Merkel who looked like a kind of European hero or heroine only a few months ago is now in real trouble over this."
    Sonntagmorgen, Zeit für Politik in der BBC mit der "Andrew Marr Show". Der profilierte Journalist sieht Angela Merkel in großen Schwierigkeiten, nachdem sie doch noch vor wenigen Monaten die große Heldin in Europa gewesen sei.
    Dominanz der Rechtsaußen befürchtet
    Die Rechtsaußen in Deutschland besetzen das Thema, sorgt sich Ayesha Hazarika, eine Komödiantin mit indischen Wurzeln. Die Rechten behaupteten jetzt, muslimische Einwanderer und westliche Kultur, das geht nicht zusammen. "Auf Rasse und Religion zu zeigen, um Übergriffe auf Frauen zu verhindern, das ist ein gefährliches Spiel."
    Das ist wahr, gesteht ihr der konservative Publizist Tim Montgomerie einerseits zu. "Aber es ist eine der allerersten Aufgaben jeder Regierung, dass sie ihre eigenen Bürger beschützt. Und im Moment haben die Deutschen nicht das Gefühl, dass dem angemessen entsprochen wird."
    Nigel Farage, der Chef der rechtspopulistischen UKIP, nutzt die Steilvorlage aus Deutschland. Ohne Zweifel hätten die deutsche Polizei und das ZDF die Ereignisse in Köln unter der Decke halten wollen. Dann macht er sich über die Empfehlung der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker lustig, die Frauen empfahl, zu fremden Männern eine Armlänge Abstand zu halten:
    "Es hätte nur noch gefehlt, dass sie den Frauen empfiehlt, zu Hause zu bleiben oder nur noch mit Kopftuch auf die Straße zu gehen." Dann sagt er den Satz, den man mit Thilo Sarrazin so übersetzen kann: "Deutschland schafft sich ab".
    Missbrauchsskandal als Wendepunkt
    In der britischen Berichterstattung fällt auf, dass die Benennung eines Täters oder Täterkreises nach seiner ethnischen Herkunft weniger tabuisiert ist als in Deutschland. Dazu hat ein Missbrauchsskandal beigetragen: In Rotherham sind zwischen 1997 und 2013 insgesamt über 1.000 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden, die Täter waren allesamt pakistanische Männer. Spätere Untersuchungsberichte kamen zu dem Ergebnis, dass die Behörden wegschauten, weil sie fürchteten, als rassistisch gebrandmarkt zu werden. Also werden jetzt Antworten gesucht auf das, was in Köln passiert ist.
    Andrea Den Boer, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Kent, sieht zum Beispiel weniger Veranlassung, sexuelle Übergriffe einem kulturellen oder ethnischen Hintergrund zuzuschreiben.
    "Das Problem besteht in allen Gesellschaften darin, junge erwachsene Männer in die Gesellschaft zu integrieren, sie Anteil haben zu lassen. Wenn junge Männer den Übergang nicht schaffen in einen Beruf, keine Frau finden, keine Familie gründen, dann besteht das Risiko, dass sie sich anti-sozial verhalten, kriminell werden, gewalttätig vor allem gegen Frauen.
    Leichter umzusetzen als die Integration junger muslimischer Männer ist ein anderer Vorschlag. Viele Briten waren entsetzt, dass zur Gewalt in Köln auch gehörte, Menschen gezielt mit Silvesterraketen zu beschießen. Auf der Insel wird das Feuerwerk zentral organisiert. Privat zündet an Silvester kaum noch jemand Böller und Raketen.