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Großbritannien
Die Pandemie als Übung - schon in 2016

Per Twitter verkündete der britische Abgeordnete Phillip Lee, dass Großbritannien im Oktober 2016 einen Pandemie-Ernstfall in einer Simulation geübt hatte. Damals sei klar geworden, dass das Gesundheitssystem den Patienten-Ansturm nicht überstehen würde. Die Regierung zog keine Konsequenzen.

Von Friedbert Meurer | 01.04.2020
Ein Mann läuft vor dem Londoner Krankenhaus St Thomas entlang
Auch Großbritannien kämpft mit der Ausbreitung des Coronavirus (Imago/ Zuma Press)
"Hi, I am Phillip Lee. I am the Member of Parliament for Bracknell in Berkshire." Phillip Lee stellt sich selbst in einem Video vor der letzten Wahl vor, er sei Abgeordneter und Hausarzt. 2016 war Lee Staatssekretär für Justiz im Kabinett der damaligen Premierministerin Theresa May.
Per Twitter berichtete Lee jetzt, dass er im Oktober 2016 an einer dreitägigen Simulation der Regierung teilnahm: Wie gut wäre das Gesundheitssystem NHS im Fall einer Pandemie aufgestellt?
Die Übung mit dem Titel "Sternbild Schwan" sei gründlich gewesen und habe ihn beeindruckt. Das Ergebnis lautete: Der NHS könnte einen Ansturm von Patienten nicht verkraften, es fehlten bei einer Pandemie Beatmungsgeräte. Lee ging davon aus, die richtigen Lehren würden gezogen. Einen Monat später sagte er noch öffentlich:
"Es kommen weitere Herausforderungen auf uns zu, zum Beispiel Pandemien. In dieser globalisierten Welt verbreiten sich Ansteckungen ganz anders. Ich erlebe in meiner Hausarztpraxis, dass Patienten mit seltenen Krankheiten erscheinen, mit denen sie aus der ganzen Welt kommen."
Coronavirus
Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Science Photo Library)
NHS war damals schon nicht gut aufgestellt
Phillip Lee hat im Streit um den Brexit letztes Jahr die konservative Partei verlassen. Die Studie von damals geriet in Vergessenheit. Niemand kümmerte sich mehr um sie.
"Wenn ich Ihnen von der ‚Operation Sternbild Schwan` erzähle, wissen Sie, wovon ich rede?" Auf die Frage des Radio-Moderators musste die heutige Staatssekretärin im Gesundheitsministerium Helen Whately passen. Whately war damals 2016 einfache Abgeordnete und nicht involviert. Ihre Antwort blieb deswegen allgemein.
"Das Wichtige ist, dass wir Pandemie-Übungen abhalten, zum Beispiel für die Grippe. Wir müssen dann nur diese Pläne anpassen und beginnen nicht von vorne, so dass wir gut aufgestellt sind."
"Wir brauchen mehr Ärzte
Dass der NHS gut aufgestellt war, bezweifelt selbst der frühere langjährige Gesundheitsminister Jeremy Hunt, auch er ein Konservativer. Hunt ist einer der exponiertesten Kritiker und spricht sich selbst heute nicht von Schuld frei.
"Ich habe damals gedacht, wir müssen sehr schmerzvolle Kürzungen vornehmen. Rückblickend war das verheerend. Wir brauchen mehr Ärzte und Krankenschwestern. Ich hoffe, dass wir jetzt einen nachhaltigen Schritt nach vorne machen. Das ist absolut wichtig".
In letzter Minute gegen die Pandemie vorgehen
Offenbar hatte man 2016 nicht geglaubt, dass ein Virus so gefährlich werden könnte, wie es jetzt der Fall ist. Schweinegrippe oder Ebola hätten Großbritannien doch auch nicht erreicht. Damals Geld für Beatmungsgeräte zu fordern, war offenbar wegen der Sparpolitik nicht opportun.
Es ist ausgerechnet die Regierung Boris Johnson, die jetzt Milliarden über Milliarden für den NHS ausgibt. Last Minute wird alles in Bewegung gesetzt, die Pandemie abzumildern. Der Hausarzt und frühere Abgeordnete Phillip Lee lobt diese Maßnahmen. Aber er glaubt, es hätte einen Unterschied gemacht, wenn man schon damals 2016 die richtigen Lehren aus der "Übung Sternbild Schwan" gezogen hätte.