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Großbritannien/EU
Brexit: Gefahr für die Medikamentenversorgung?

Großbritannien ist für die pharmazeutische Industrie der drittwichtigste Markt in Europa. Ein harter Brexit würde die Branche in allen Bereichen treffen. Experten warnen: Kommt nicht rechtzeitig ein Abkommen, könnten britische Chemikalien nicht mehr ohne weiteres nach Europa ein- oder ausgeführt werden.

Von Brigitte Scholtes | 25.09.2018
    Mehrere europäische Flaggen sind mit Kreide auf den Boden vor dem britischen Parlament in London gemalt
    Noch immer gibt es viele ungelöste Fragen zum Austritt Großbritanniens aus der EU (AFP/ Justin Talls)
    Nach den Zahlen des europäischen Pharmaverbands EFPIA werden monatlich 45 Millionen Arzneimittelpackungen von Großbritannien in die EU exportiert, umgekehrt führen die Briten 37 Millionen Packungen ein. Allein deshalb schon würde ein harter Brexit die Branche stark treffen. Doch es ist nicht nur das Volumen des Geschäfts, das der pharmazeutischen Industrie Sorgen macht, sagt Siegfried Throm. Er ist Geschäftsführer beim VfA, dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller und dort zuständig für die Forschung:
    "Wir haben eine sehr enge Verflechtung, bei der Herstellung und beim Vertrieb von Medikamenten, aber auch bei der Durchführung von klinischen Studien innerhalb der EU-Mitgliedstaaten und auch insbesondere hier mit Großbritannien. All dies müsste grundsätzlich neu geregelt werden, das heißt: Die Firmen müssen Ummeldungen machen und die brauchen sehr viele Ressourcen und brauchen auch Zeit. Von daher wäre eine Übergangsfrist hier aus unserer Sicht extrem sinnvoll."
    Denn die Zeit bis zum Austritt der Briten aus der Europäischen Union wird knapp. Und es gibt viele ungelöste Fragen. Auch solche, die die Basis des Geschäfts betreffen, erklärt Utz Tilmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie:
    "Wenn jetzt der Fall eintritt, dass wir kein Abkommen haben oder keine Festschreibung in irgendeiner Übergangsvereinbarung zum Thema Chemikalienpolitik, dann haben alle Chemikalien, die in Großbritannien produziert werden, keine Zulassung mehr und würden nicht mehr nach Europa so ohne weiteres importierbar oder exportierbar sein, müssten neu registriert werden. Und das wäre natürlich ein erheblicher bürokratischer Aufwand."
    Zulassung der Medikamente könnte schwierig werden
    Das trifft auch die Zulassung der Medikamente: Die aber könnte schwierig werden, weil die Europäische Zulassungsbehörde EMA im ersten Quartal des nächsten Jahres von London nach Amsterdam verlegt wird. Voraussichtlich werden nur 60 Prozent der Mitarbeiter mit umziehen. Könnte das dann am Ende sogar die Versorgung der Patienten gefährden? Soweit möchte VfA-Geschäftsführer Throm jedoch nicht gehen:
    "Wir gehen davon aus, dass die EMA in Amsterdam die Hauptpriorität dann auf die Bereiche Zulassung neuer Arzneimittel und natürlich Arzneimittelsicherheit legen wird, und alle anderen Aktivitäten erst einmal einfriert, sodass die neuen Arzneimittel bei den Patienten, die dringend darauf warten, dann auch wirklich ankommen können."
    Auch über weitere Sonderreglungen für die Nachprüfung von Medikamenten werde gesprochen, sagt Throm. Die Pharmaverbände in Europa empfehlen ihren Unternehmen zwar, sich vorsorglich auf einen harten Brexit einzustellen. Aber das sei für die sehr teuer:
    "Es gibt zwei Firmen, die das beziffert haben, und die gehen davon aus, dass sie einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag dafür aufwenden müssen die ersten Jahre, um mit diesen neuen Gegebenheiten zurande zu kommen. Schade um das Geld kann ich nur sagen, hätte man für sinnvolleres verwenden können."