Großbritannien
Liz Truss und ihr politischer Kurs

Kaum im Amt verliert Premierministerin Liz Truss immer mehr an Rückhalt. Die Regierungschefin hat sich für ihre Steuersenkungspläne und daraus resultierende Turbulenzen an den Finanzmärkten zwar entschuldigt - einen Rücktritt schloss sie aber aus.

     Premierministerin Liz Truss spricht im britischen Unterhaus
    Premierministerin Liz Truss kämpferisch im britischen Unterhaus (picture alliance / empics / House of Commons)
    Liz Truss wurde am 6. September 2022 von Queen Elizabeth II. auf Schloss Balmoral in Schottland zur Nachfolgerin von Boris Johnson ernannt. Die Konservative Partei hatte Truss zuvor zu ihrer neuen Vorsitzenden gewählt und damit zur Regierungschefin, da die Tories derzeit im Unterhaus eine Mehrheit haben.
    Nur gut einen Monat später haben sich allerdings weite Teile der Partei von ihr abgewandt und Truss' Tage als Premierministerin scheinen bereits gezählt zu sein. Formal kann sie allerdings erst in einem Jahr abgesetzt werden.

    Was ist seit Truss' Ernennung geschehen?


    Bei ihrer ersten Rede als Premierministerin legte Liz Truss den Fokus auf Wachstum – für die Wirtschaft, die Energieversorgung und den Gesundheitssektor. Sie überraschte mit der Ankündigung, das größte staatliche Hilfspaket der jüngsten britischen Geschichte auflegen zu wollen, um die Menschen zu entlasten. Großbritannien kämpft derzeit mit explodierenden Energiekosten und einer hohen Inflation. Zudem versprach Truss Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung durch das NHS, das nationale Gesundheitssystem. Wie das Ganze finanziert werden soll, blieb unklar.
    Truss hatte zudem auch schuldenfinanzierte Steuersenkungen angekündigt, um die Wirtschaft zu stärken. Dieses Vorhaben hat sie inzwischen vertagt. Denn mit dem Paket hatte Truss viele ihrer Wähler, die Finanzmärkte und Mitglieder ihrer Tories gegen sich aufgebracht. Sorgen vor zu hoher Neuverschuldung ließen das Pfund und Anleihekurse Ende September zeitweise abstürzen. Am 3. Oktober 2022 wurde der Spitzensteuersatz von 45 Prozent, der auf Einkünfte über 150.000 Pfund (rund 171.400 Euro) pro Jahr gezahlt wird, doch nicht gestrichen.

    Eine Steuerpolitik-Volte jagt die andere

    Zwei Tage später verteidigte Liz Truss auf dem Parteitag der Tories in Birmingham ihr schuldenfinanziertes Wirtschafts- und Steuersenkungsprogramm aber erneut. Veränderungen seien angesichts der "harten Zeiten" unausweichlich, Großbritannien könne nicht weitermachen wie bisher, sagte die Premierministerin. Abermals stürzte das Pfund danach ab.
    Am 14. Oktober dann eine erneute Volte: Truss hat ihre angekündigten Steuersenkungen teilweise wieder zurückgenommen. Es sei klar, dass Teile ihres sogenannten Mini-Budgets weitergehender und schneller waren, als die Märkte erwartet hatten, sagte Truss bei einer Pressekonferenz in London. Die Unternehmensteuer solle nun – wie von der Vorgängerregierung vorgesehen – doch erhöht werden, so die Regierungschefin. In einem BBC-TV-Interview entschuldigte sich Truss zuletzt für ihre verunglückte Steuerreform, deren Finanzierung unklar blieb.
    Die britische Regierung sei zu schnell zu weit gegangen, räumte die 47-Jährige ein: "Ich erkenne an, dass wir Fehler gemacht haben, und mir tun diese Fehler leid, aber ich habe die Fehler behoben. Ich habe einen neuen Finanzminister ernannt. Wir haben die wirtschaftliche Stabilität und die Haushaltsdisziplin wiederhergestellt."
    Als Konsequenz aus dem Fehlschlag hatte Truss ihren Finanzminister und engen Vertrauten Kwasi Kwarteng durch den früheren Außen- und Gesundheitsminister Jeremy Hunt ersetzt.
    Nur wenige Tage später ist Truss dann bereits das zweite wichtige Kabinettsmitglied abhandengekommen. Innenministerin Suella Braverman reichte am 19. Oktober ihren Rücktritt ein. Sie begründete ihn damit, ihre private E-Mailadresse für Dienst-Mails genutzt zu haben, äußerte aber auch Kritik am Kurs der Regierung.
    In Wirtschaftsfragen gilt Truss als knallharte Ideologin. Es scheint kein Versehen, dass die Märkte unter ihrer Politik wanken, es ist Teil ihres Plans, auf Disruption zu setzen, um die Märkte zu verändern. Deshalb machen Hedgefonds-Manager mit Wetten gegen das Pfund Reibach, während Mittelstandsfamilien Angst vor dem Verlust ihres Eigenheims haben.

    Zerlegen die Tories sich selbst?

    Nach nur einem Monat im Amt habe Truss fast keine Verbündeten mehr in der eigenen Partei, sagte der ehemalige "Times"-Korrespondent Peter Bild am 15. Oktober im Deutschlandfunk. Es sei gut möglich, dass Truss schon in wenigen Tagen nicht mehr im Amt sein werde.
    Truss' Partei, die Tories, seien allerdings in einer Zwickmühle. Denn die Premierministerin nach so kurzer Zeit auszutauschen sei öffentlich auch kaum erklärbar. Und die Partei habe formell auch keine Handhabe. Nach den Regeln der Fraktion kann Liz Truss ein Jahr lang nicht abgesetzt werden. Erste Abgeordnete haben der Premierministerin allerdings in Briefen ihr Vertrauen entzogen.

    Was kommt auf die Briten weiter zu?

    Bei ihrem ersten Auftritt als Premierministerin hatte Liz Truss die Briten auf harte Zeiten eingestimmt. Das Land steckt mitten in einer schweren Wirtschaftskrise. Sie wolle Großbritannien in eine "Aspiration Nation" verwandeln, in eine aufstrebende, ehrgeizige Nation.
    Von den drei Hauptzielen, die sie damals nannte, gelten weiterhin: Mittelfristige Steuersenkungen und Reformen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Was davon wie umgesetzt wird, scheint allerdings momentan unklar. Der neue Finanzminister Jeremy Hunt gab am 15. Oktober sein erstes TV-Interview bei Sky News und deutete darin auch Steuererhöhungen an. "Einige Steuern werden nicht so schnell gesenkt, wie die Leute wollen – einige Steuern werden steigen. Es wird also schwierig", sagte Hunt. Er müsse für Stabilität sorgen. Dass den Briten eine neue Ära der Sparpolitik blühe, dementierte er jedoch.
    Ziel Nummer zwei, das überraschte, soll zeitnah umgesetzt werden: Truss plant das größte Sozialprogramm der jüngsten britischen Geschichte. Es soll einen Umfang zwischen 100 und 150 Milliarden Euro haben. Über 18 Monate sollen die Energiepreise gedeckelt werden, sodass ein durchschnittlicher Haushalt maximal 3.000 Euro jährlich zahlen muss. Nach jetzigen Prognosen entstehen für Haushalte in diesem Jahr Kosten in Höhe von mehr als 4.000 Euro und mehr als 6.000 Euro im kommenden Jahr.
    Zudem stehen wohl mehr als 10.000 Unternehmen an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Sie können entweder nur ihre Angestellten oder die Energiekosten bezahlen. Medienberichten zufolge will Premierministerin Truss Unternehmen mit einem Hilfspaket im Umfang von 40 Milliarden Pfund unter die Arme greifen.
    Truss will auch die Leistungen des staatlichen Gesundheitsservice NHS verbessern. Das staatliche Gesundheitssystem NHS kämpft infolge der Corona-Pandemie mit großen Problemen. Offen bleibt weiterhin wie Truss ihre Vorhaben finanzieren will.

    Wofür steht Liz Truss politisch?

    Liz Truss hat eine wechselhafte politische Biografie. Sie stammt aus einem Labour-nahen Elternhaus, das sie heute selbst "leftwing", also politisch links nennt. Als Studentin trat sie bei den Liberaldemokraten ein und hielt einmal eine flammende Rede gegen die Monarchie. Nach ihrem Abschluss in Oxford wechselte sie zu den Konservativen.
    2016 war sie – wie ihr Kabinettschef David Cameron – entschieden gegen den EU-Austritt Großbritanniens und warnte vor seinen wirtschaftlichen Gefahren. Als der EU-Austritt beschlossen war, konvertierte sie umstandslos zu einer besonders entschiedenen Brexit-Hardlinerin. Margaret Thatcher ist Liz Truss großes politisches Vorbild.

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    Liz Truss versprach vor ihrer Wahl eine massive Brexit-Dividende, mehr Flüchtlinge in Staaten wie Ruanda abzuschieben und eine harte Haltung gegenüber der EU, China und Russland an den Tag zu legen.

    Folgt mit Truss die nächste Skandal-Premier?

    Skandalös finden viele schon allein die wechselvolle politische Vita von Liz Truss. Sie gilt bei einigen daher als opportunistisch; als eine Politikerin, die ihr Fähnchen immer in den Wind hängt. Boris Johnsons früherer Berater und heutiger Erzfeind, Dominic Cummings, nannte Truss zu seiner Zeit in Downing Street eine "menschliche Handgranate". Sie habe das als Kompliment aufgefasst, hieß es. Er hingegen habe damit sagen wollen, dass sie regelmäßig Chaos anrichte, anstatt ihre Aufgaben zu erledigen.

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    Äußerungen aus ihrer Zeit als Spitzenvertreterin des Finanzministeriums (zwischen 2017 und 2019) zur Arbeitsmoral bringen Truss heute in Verlegenheit. In einer am 16. August von der Zeitung "The Guardian" veröffentlichten Tonaufnahme hört man die frühere Aussage von Truss, britischen Arbeitern würden "Fertigkeit und Eifer" fehlen. "Mentalität und Einstellung" britischer Arbeiter seien mitverantwortlich für die relativ niedrige Produktivität des Landes. Britische Arbeiter müssten "mehr schuften". Aus dem Umfeld von Truss hieß es nach Veröffentlichung der Tonaufnahme, die Bemerkungen seien "ein halbes Jahrzehnt alt" und es fehle "Kontext".

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    Welchen Hintergrund hat Liz Truss?

    Liz Truss wurde am 26. Juli 1975 in Oxford geboren. Sie hat drei Brüder. Ihre Mutter war Krankenschwester, ihr Vater Mathematikprofessor. Liz Truss machte ihren Abschluss an einer staatlichen Gesamtschule in Leeds. Es folgte ein Studium in Oxford, danach arbeitete sie als Ökonomin im Rechnungswesen unter anderem bei Shell. Truss ist verheiratet und hat zwei Töchter.
    Ins Unterhaus wurde sie erstmals 2010 gewählt, ihr Wahlkreis ist South West Norfolk. 2012 holte David Cameron sie als Unterstaatssekretärin in sein Kabinett. Unter Cameron und Theresa May war sie Ministerin, Boris Johnson diente sie als Handels-, Frauen- und zuletzt als Außenministerin. Dabei wurde ihr zusätzlich die Aufgabe übertragen, die Beziehungen zur EU zu koordinieren – im Wesentlichen bedeutete das, den Streit über das Nordirland-Protokoll zu lösen. 
    Quellen: dpa, Deutschlandfunk, BBC News, Christine Heuer