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Große Koalition
Hessischer Denkzettel beschäftigt Bundespolitik

Die Landtagswahl in Hessen galt als Härtetest für den Fortbestand der Großen Koalition in Berlin. Angesichts der herben Verluste von CDU und SPD verzichten die Parteiführungen darauf, das Ergebnis schön zu reden. "Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel", sagte etwa SPD-Chefin Andrea Nahles.

Von Nadine Lindner | 29.10.2018
    Das Foto zeigt die SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles am 28.10.2018 in Berlin.
    Nach der Hessenwahl hat SPD-Parteichefin Andreas Nahles sich klar zur Fortführung der Großen Koalition in Berlin bekannt (picture-alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Selbstkritisch die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer: "Es liegt mit Sicherheit auch am Erscheinungsbild der Großen Koalition. Sie leistet durchaus gute Arbeit, aber sie überdeckt diese Erfolge allzu häufig mit Streit und mit einem schlechten Erscheinungsbild."
    Die Große Koalition müsse besser zusammen arbeiten, Erfolge präsentieren. Deutlich wird an diesem Abend im Konrad-Adenauer-Haus aber auch, dass die Frage, wer Angela Merkel als Parteichefin folgen könnte immer offener verhandelt wird. So forderte der Bundestagsabgeordnete Michael Brand, hessischer Landesgruppenchef der CDU-Fraktion im Deutschlandfunk: "Ein 'Weiter-So', das haben wir schon oft gehört, das geht so nicht. Auch Angela Merkel muss signalisieren, ich habe verstanden und muss das Signal setzen, ich bin bereit, etwas zu ändern."
    Auch der Vertreter der konservativen Werteunion, Alexander Mitsch forderte eine Ablösung an der Parteispitze. Bislang hatte Angela Merkel angekündigt, wieder für den Parteivorsitz antreten zu wollen und auch an der Einheit von Partei- und Regierungsführung festzuhalten. Doch seit heute Abend wird parteiintern auch über eine Ämtertrennung gesprochen.
    Das Thema dürfte auch nächstes Wochenende bei der CDU-Klausur auf den Tisch kommen – Ausgang zunehmend offen. Das letzte Wort hat der Parteitag im Dezember.
    Selbstkritik von der SPD
    Noch größer fiel der Denkzettel aus, der ins Willy-Brandt-Haus geliefert wurde. Blass, mit hängenden Schultern trat SPD-Chefin Andrea Nahles im leeren Willy-Brandt-Haus vor die Presse. Die Partei hatte aus Kostengründen auf eine Wahlparty verzichtet – Beobachter schildern es als eine gespenstische Atmosphäre.
    "Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel. Wir legen unser Schicksal nicht in die Hände des Koalitionspartners. Wir wollen nicht einfach warten, ob diese Regierung in einen vernünftigen Arbeitsmodus kommt, wir wollen das sicherstellen. Deshalb bestehen wir darauf, dass diese Koalition sich einen klaren, verbindlichen Fahrplan gibt für eine Politik im Interesse der Bürger."
    Am Vormittag kommen die Parteigremien der Sozialdemokraten zusammen, nächstes Wochenende folgt auch hier, wie beim großen Koalitionspartner eine Vorstandsklausur.
    Für Parteilinke lautet das entscheidende Wort: Revisionsklausel. Die Möglichkeit – laut Koalitionsvertrag - nach zwei Jahren die Arbeit der Großen Koalition zu bewerten. Nach dem Willen der GroKo eine Sollbruchstelle, lieber heute als morgen, wie Juso-Chef Kevin Kühnert bei Phoenix fordert.
    "Jetzt mal klare Zeitabläufe zu haben, bis wann man was überprüft und das wird nicht die berühmt-berüchtigte Revisionsklausel im Herbst 2019 sein können, das wäre deutlich zu spät."
    GroKo-Parteien - die Verlierer
    Die Grünen sind der Sieger des Abends mit deutlichen Stimmenzuwächsen. Parteichef Robert Habeck heiser und aufgekratzt vor Anhängern in der Parteizentrale:
    "Dass es klares Signal gibt, dass Wahlen nicht nur am rechten Rand gewonnen werden, sondern auch mit einer pro-Europäischen Vernunft und Anti-Populismus-Politik."
    Die FDP kann Zugewinne verbuchen, Parteichef Christian Lindner nutzte den neuen Schwung, um gegen die Groko auszuteilen: "Es ist ein Misstrauensvotum gegen die Regierung von Frau Merkel. Sie werden durch die Angst vor den Wählerinnen und Wählern zusammen gehalten."
    Etwas mehr hätte es sein können, denken die Linken, freuen sich aber über Zuwächse in einem westdeutschen Flächenland, Parteichef Bernd Riexinger: "Großartig, was die Hessen geleistet haben."
    Die AfD kann mit einem zweistelligen Ergebnis in den hessischen Landtag einziehen und ist damit in allen Länderparlamenten vertreten. Symbolisch wichtig im Gründungsbundesland der AfD. Entsprechend groß die Zufriedenheit bei Co-Parteichef Jörg Meuthen: "Und wir sind deutlich zweistellig eingezogen, das war das Ziel, das haben wir erreicht."
    Herbe Verluste bei GroKo-Parteien - Gewinne bei allen anderen. Der hessische Denkzettel wird die Berliner Politik noch eine Weile beschäftigen.