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Grosse Koalition
Tauber: Bisher nicht viel schiefgelaufen

Streitigkeiten zwischen den Koalitionspartnern, wie aktuell beim Thema Armutsmigration, seien normal, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber im Deutschlandfunk. Was im Koalitionsvertrag stehe, müsse aber umgesetzt werden.

Peter Tauber im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Porträtfoto von CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der eine schwarze Brille trägt
    Der CDU-Generalsekretär Peter Tauber bezeichnet die aktuellen Diskussionen in der Großen Koalition als normal (picture-alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Tobias Armbrüster: Normalerweise ist die Zeit um Weihnachten und das neue Jahr herum nicht die große Zeit der politischen Kontroversen und Zankereien, da geht es üblicherweise beschaulich zu. Aber in den vergangenen Wochen war das etwas anders, obwohl, gerade im Amt, liefern sich verschiedene Protagonisten der neuen schwarz-roten Bundesregierung lange Fehden. Zum Beispiel über den Mindestlohn, über die Vorratsdatenspeicherung und jetzt, ganz deutlich in den vergangenen Tagen über die Gefahren der Freizügigkeit für EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien. Allgemein wird wahrgenommen: Es war kein besonders gelungener Start für diese große Koalition. Am Telefon ist der neue CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Schönen guten Morgen!
    Peter Tauber: Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich!
    Armbrüster: Herr Tauber, was ist da schief gelaufen in den vergangenen Wochen?
    Tauber: Ach, so viel ist da gar nicht schiefgelaufen. Ich glaube, das ist ganz normal, dass, bevor die Arbeit richtig losgeht – und die geht ja jetzt erst richtig los – das Kabinett hat zum ersten Mal in diesem Jahr getagt, und die Ausschüsse im Deutschen Bundestag nehmen ihre Arbeit ja erst jetzt auf. Dass da jeder noch mal versucht, seine Claims abzustecken und das zu betonen, was ihm besonders wichtig ist, und dann muss man den einen oder anderen Protagonisten auch noch mal daran erinnern, was im Koalitionsvertrag steht. Das war beim Mindestlohn so, das war jetzt bei dem Thema Armutsmigration so, und ich bin ganz sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag ein großes Interesse daran haben, jetzt mit der Ausschussarbeit zu beginnen, und dann wird es hier und da hoffentlich ein bisschen sachlicher. Ansonsten bin ich da sehr beim Volker Kauder, der zu Recht darauf hingewiesen hat: Die Leute verfolgen das, manche sind auch interessiert an solchen Streitereien, aber eigentlich wollen sie, dass wir gute Arbeit machen, und das ist in der Tat jetzt die Aufgabe.
    "Das ist so ein bisschen vielleicht wie vor einem Boxkampf"
    Armbrüster: Warum müssen Sie dann trotzdem, so wie Sie jetzt sagen, Ihre Kollegen in der Koalition wieder daran erinnern, was drin steht im Koalitionsvertrag?
    Tauber: Ach, na ja, Sie wissen, wie das ist. Zwischen den Jahren haben auch Sie ein weniger zu tun, und dann ruft man mal bei dem einen oder anderen an und sagt, sagen Sie doch mal dazu was, das ist doch eigentlich unerhört, dass da die CSU an der Stelle einen Schwerpunkt setzt oder die SPD dort, und dann entstehen halt Diskussionen, die eigentlich auch schon geführt worden sind in den Koalitionsverhandlungen, die werden noch mal aufgewärmt. Das ist so ein bisschen vielleicht wie vor einem Boxkampf beim Wiegen. Da wird auch noch mal ein bisschen mit Psychologie gearbeitet, und ich glaube schon, dass wir eigentlich eine gute Arbeitsgrundlage haben mit dem Koalitionsvertrag. Und spannend wird ja sein, schaffen wir das, gemeinsam das abzuarbeiten und dann ein gutes Ergebnis vorzulegen. Und auf dem Weg dahin, das gehört auch zur Demokratie, werden wir dann hier und da noch mal streiten müssen.
    Armbrüster: Aber Herr Tauber, wir haben da jetzt im vergangenen Jahr seit der Bundestagswahl im September wochenlange Koalitionsgespräche erlebt. Viele Leute haben erwartet, dass es dann nach diesen Gesprächen eigentlich geordnet weiter geht. Stattdessen auch jetzt erst mal nur Streit. Was ist so ein Koalitionsvertrag denn eigentlich wert, wenn schon bei der erstbesten Gelegenheit jeder davon abweicht?
    Tauber: Bis jetzt ist ja noch keiner so großartig davon abgewichen. Wir reden halt jetzt auch über die Frage, wie ist das eine oder andere zu verstehen. Und da ist es ganz gut, wenn die, die das auch verhandelt haben, dann am Ende sich auch noch mal in der fachlichen Arbeit zu Wort melden und sagen, genau das haben wir damit gemeint, das war vereinbart. Ich erlebe ja auch, dass der eine oder andere sich jetzt zu Wort meldet, der eben nicht live dabei war.
    Armbrüster: Könnte es dann sein, dass dieser Koalitionsvertrag einfach wie der alte, wie der von vor vier Jahren, einfach nicht deutlich genug ausformuliert ist, und dass es einfach zu viele Unklarheiten gibt, zum Beispiel bei Themen wie Vorratsdatenspeicherung oder Zuwanderung?
    "Das, was wir versprochen haben, müssen wir machen"
    Tauber: Nein. Ich glaube, dass der Koalitionsvertrag in seiner Sprache und in seiner Zielsetzung und in dem, was wir vereinbart haben, sehr klar ist. Aber gerade beim Thema Vorratsdatenspeicherung erleben wir ja, dass aufgrund der zu erwartenden Entscheidung in Brüssel wir dann schauen müssen, was heißt das für das, was wir vereinbart haben, wie müssen wir darauf reagieren? Und das ist ja nun das Spannende auch an Politik. Wenn Sie zu Beginn der letzten Legislaturperiode prognostiziert hätten, was geschieht in dieser Welt, worauf wir reagieren müssen, dann hätten Sie viel Geld verdienen können, wenn Sie die richtigen Antworten gegeben hätten. Vieles, was in den letzten vier Jahren passiert ist, war so nicht vorhersehbar. Und die Aufgabe der Großen Koalition wird auch sein, auf solche Ereignisse dann flexibel und mit guten Antworten zu reagieren. Und beides muss geschehen; das, was wir versprochen haben, müssen wir machen, von der Mütterrente bis zum Mindestlohn, und gleichzeitig müssen wir zeigen, dass wir auf aktuelle Herausforderungen eine gute Antwort geben.
    Armbrüster: Herr Tauber, es ist schön, dass Sie da gerade auch das Thema Vorratsdatenspeicherung angesprochen haben. Sie selbst waren da ja in der Vergangenheit, wenn ich das richtig lese, eher auf der Linie von Justizminister Heiko Maas von der SPD, ein deutlicher Kritiker dieser Speicherung. Hat sich daran bei Ihnen etwas geändert?
    Tauber: Unabhängig von persönlichen Meinungen ist ganz klar, was im Vertrag steht, muss umgesetzt werden. Und es muss aber so umgesetzt werden, dass es rechtssicher ist. Wir haben klare Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht, an die müssen wir uns halten, und wir müssen schauen, was kommt aus Europa. Darüber hinaus ist aber eines sehr wichtig: Wir reden an ganz vielen Stellen in Europa darüber, dass wir andere davon überzeugen, dass man Regeln, die man vereinbart, auch einhält, Stichwort Euro-Krise. Dann können wir als Deutsche nicht bei einem Thema, wo es dem einen oder anderen vielleicht ein bisschen schwer fällt, das nachzuvollziehen oder das gut zu finden, sagen, da machen wir dann aber nicht mit. Also, ich bin schon der Meinung, wenn man in Europa einheitliche Regeln will, muss man sich dran halten, und das gilt auch für die Vorratsdatenspeicherung.
    Armbrüster: Dann können wir festhalten: Als Generalsekretär der CDU wollen Sie da an Ihrer kritischen Linie nicht weiter festhalten?
    Tauber: Ich habe da eine persönliche Meinung, die ist auch nicht so kritisch, wie mir unterstellt wurde. Ich hab nur immer gesagt, es muss verhältnismäßig sein, und da geht es aus meiner Sicht im Kern um die Dauer der Datenspeicherung.
    Keine Zuwanderung in die Sozialsysteme gewollt
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns noch mal auf das Klima in dieser Großen Koalition blicken. Das Überraschende in den vergangenen Tagen und Wochen war ja, dass nicht etwa die SPD so besonders quer schießt, sondern vor allem Ihre eigene Schwesterpartei, die CSU. Können Sie uns erklären, was Horst Seehofer antreibt?
    Tauber: Ja, da fragen Sie am besten Horst Seehofer. Aber ich kann nicht erkennen, dass er quergeschossen hat. Er hat ein Thema sehr zugespitzt, das viele Menschen umtreibt und das nicht nur ein Problem in einigen Großstädten ist, sondern was Sie auch in kleineren und mittleren Städten schon erleben, das Thema Armutsmigration. Mich ärgert ein bisschen die Vermischung, die auch medial stattfindet. Niemand in der Union ist gegen die Freizügigkeit. Im Gegenteil, wir brauchen die, wir wollen die, wir wollen, dass Menschen, die gut qualifiziert sind, nach Deutschland kommen, hier Chancen haben, sich hier etwas aufzubauen, nicht nur hier zu arbeiten, sondern vielleicht hier eine neue Heimat zu finden. Wir wollen aber umgekehrt nicht, dass es eine Zuwanderung in die Sozialsysteme gibt, und genau das steht auch so im Koalitionsvertrag, bis auf den Slogan der CSU, den finden Sie so dort nicht. Aber alles andere steht genau so im Koalitionsvertrag.
    Armbrüster: Die CDU würde also so eine Überschrift nicht wählen, „Wer betrügt, der fliegt“?
    Tauber: Wir haben den nicht gewählt, das ist ein Slogan der bayerischen Schwesterpartei. Wir sind aber uns in der Sache sehr einig.
    Armbrüster: Gibt es da vielleicht so ein bisschen eine Aufgabenverteilung innerhalb der Union? Die CSU, das ist die Partei, die für die Folklore zuständig ist, und die CDU, das ist die Stimme der Vernunft?
    Tauber: Nein, so möchte ich das nicht unterscheiden. Wir arbeiten da eng und vertrauensvoll zusammen, schon immer. Jeder setzt seine eigenen Akzente, sowohl inhaltlich als auch in der Form. Das liegt auch an Personen. Ich persönlich kämpfe lieber mit dem leichten Florett als mit dem schweren Säbel, und am Ende zählt das Ergebnis, und in der Sache sind wir uns sehr einig.
    Armbrüster: Aber warum ist denn ausgerechnet die CSU immer die Partei bei Ihnen, die so zuspitzt?
    Tauber: Ist das so? Ach, ich kenne auch den einen oder anderen Freund in der CDU, der eine große Freude daran hat, Themen zuzuspitzen.
    Armbrüster: Na ja, Horst Seehofer ist da immer in der ersten Linie.
    Tauber: Na gut, Horst Seehofer ist Ministerpräsident, er ist der Vorsitzende der CSU. Dass er, wenn er etwas sagt, eine gewisse Aufmerksamkeit findet, das freut mich.
    Armbrüster: Macht er Ihnen manchmal Sorgen?
    Tauber: Nein, überhaupt nicht.
    Freizügigkeit stärken und Missbrauch unterbinden
    Armbrüster: Jetzt hat die Bundesregierung einen eigenen Ausschuss eingesetzt, um den Streit um die sogenannte Armutsmigration zu beenden. Ist das ein Modell, so ein Ausschuss von Staatssekretären, ist das ein Modell, das wir in den kommenden vier Jahren häufiger finden werden?
    Tauber: Wir sind ja mit einem wirklich vorhandenen Problem konfrontiert, das viele Bereiche berührt. Es ist ja ein soziales Problem, aber es ist auch ein innenpolitisches Problem. Und dass man dann schaut, dass aus den einzelnen Ressorts die Kompetenzen zusammenkommen, und zu fragen, was können wir denn jetzt tun, um den Menschen zu helfen, um eben den Missbrauch zu unterbinden, das finde ich eigentlich einen klugen Weg. Und ich hoffe, dass die Ergebnisse dann auch so sind, dass die, die mit dem Problem auch unmittelbar konfrontiert sind, die Kommunen, die Sozialämter, die Polizisten – dass wir Lösungen finden, damit wir einerseits die Freizügigkeit stärken und andererseits den Missbrauch unterbinden.
    Armbrüster: Werden deutsche Städte und Kommunen denn zurzeit von einer Welle von Armutsmigranten aus Bulgarien und Rumänien überrollt?
    Tauber: Von einer Welle, glaube ich, kann man nicht sprechen, aber wenn sie mal in den entsprechenden Bereichen unterwegs waren – und Sie brauchen, wie gesagt, dafür nicht nur nach Duisburg oder andere vergleichbare, größere Städte fahren, Sie finden das auch schon in kleineren Städten als Problem, dann kann man nicht sagen, na ja, das sind ein paar Einzelfälle, da gehen wir einfach drüber weg. Es ist ein erkennbares Problem, und dann hat die Politik die Aufgabe, sich drum zu kümmern.
    Armbrüster: Ist es auch ein Problem von Sozialbetrügern?
    Tauber: Da findet auch Sozialbetrug statt, natürlich.
    Armbrüster: Herr Hitzlsperger, wir haben es in der Sendung schon mehrmals angesprochen – Herr Tauber, wir haben es mehrmals angesprochen, ich wollte genau auf diesen Namen kommen, Thomas Hitzlsperger. Sein Outing als Homosexueller hat gestern eine deutschlandweite Debatte ausgelöst. Was waren Ihre Gedanken, als Sie davon gehört haben?
    Tauber: Ich fand es sehr gut, dass er das angesprochen hat, weil ich, in meinem Umfeld, ich hab auch viele Freunde, die homosexuell sind, erlebe, dass es, Gott sei Dank, eigentlich gar kein Thema mehr ist. Dass wir aber einzelne Gesellschaftsbereiche haben, wo offensichtlich Homosexuelle sagen, na ja, ob ich das sagen will, ob ich meine sexuelle Orientierung überhaupt thematisieren möchte – dass es da noch schwierig ist. Und offensichtlich gehört der Fußballsport dazu, und insofern hat er da, glaube ich, einen wichtigen Beitrag für eine gesellschaftliche Diskussion geleistet, die wir seit Jahren führen, die, glaube ich, inzwischen in manchen Bereichen auch nicht mehr geführt werden muss – das muss ja das Ziel auch sein –, und wenn wir im Fußballsport noch Defizite erkennen, das ist ja immer mal wieder in den letzten Jahren ein Thema gewesen, dann hat er dazu sicherlich einen sehr wichtigen Beitrag geleistet, und dafür muss man ihm auch dankbar sein.
    Armbrüster: Hier bei uns in den Informationen am Morgen war das Peter Tauber, der neue Generalsekretär der CDU. Vielen Dank für das Interview, Herr Tauber!
    Tauber: Sehr gerne!
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