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Großer Basar in Teheran
Hühnermilch und Weltpolitik

Der Teheraner Basar gilt als größter der Welt. Hier kannst Du die Milch des Huhnes kaufen, sagen sie - sprich: das Unmögliche. Jörg-Christian Schillmöller hat den Basar für den DLF mit dem Dokumentarfilmer Reza Khanlari besucht. Er entdeckte eine vertraute und zugleich fremde Welt - und fragte die Händler: Spüren Sie das Ende der Sanktionen?

Von Jörg-Christian Schillmöller | 27.05.2016
    Sie sehen viele Menschen am Haupteingang des Basars von Teheran.
    Der Große Basar von Teheran - eine Welt für sich. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Es ist 16 Uhr und heiß in Teheran. Aus einem schwarzen Schlauch über der Straße vor dem Basar zischen kühle Wolken von Wassergischt hinab auf die Menschen, die hier einkaufen. Wir setzen uns mit Reza Khanlari ein paar Meter weiter unter einen Ahorn.
    "Der Basar von Teheran ist das Herz der Stadt. Teheran war erst ein Dorf, dann kam der Handel, es kamen die Menschen, aus vielen Kulturen, dann wurde Teheran die Hauptstadt, und heute ist der Basar dieser Gigant, den Sie da vor sich sehen."

    Keine Probleme mit roten Linien
    Vor dem Großen Basar von Teheran versprühen Schläuche kühlenden Wasserdampf.
    Vor dem Großen Basar von Teheran versprühen Schläuche kühlenden Wasserdampf. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Reza Khanlari ist ein stämmiger Kerl, Ende 30, und hat seine schwarzen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Er trägt ein grünes T-Shirt und gestikuliert viel. Er hat Kino studiert und lehrt Filmemachen an einer Teheraner Hochschule. Seinen Film über den Basar hat eine Unterorganisation des Ministeriums für Kultur und Islamische Führung finanziert, also die Regierung. Gab es keine Probleme mit der Zensur? Nein, sagt er.
    "Meine Dokumentation ging ja über Architektur, über Kultur und Religion, über das Leben der Menschen. Es ist nicht so, wie viele im Ausland denken, also dass es hier eine Mauer gibt und niemand arbeiten darf. Wir haben eher Probleme, Filme auch international zu zeigen, und wir haben nicht genug Kinosäle."
    Der Filmemacher Reza Khanlari hat eine Dokumentation über den Großen Basar von Teheran gedreht.
    Der Filmemacher Reza Khanlari hat eine Dokumentation über den Großen Basar von Teheran gedreht. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Fast vergisst man bei diesen Worten, dass Kultur im Iran alles andere als frei ist und dass berühmte Filmemacher wie Jafar Panahi 20 Jahre Berufsverbot haben, weil sie die roten Linien nicht einhalten. Iran: das heißt, Widersprüche zu ertragen.
    Die Milch des Huhnes
    Wir gehen in den Basar und verlieren sofort die Orientierung. Alle Sinne sind wach. Überall Menschen, Farben, Gerüche. Dazu das Rattern von Karren, gezogen von Trägern, ab und an ein Motorradkurier, sogar Autos und Kleinlaster.
    "Auf dem Basar von Teheran kannst Du alles finden, von der Milch des Huhnes bis zum Leben der Menschen."
    Das Sprichwort bedeutet: Hier kannst Du das Unmögliche kaufen. Reza Khanlari las für seinen Film alte Reiseberichte über den Basar, er schaute sich historische Fotos an und studierte die Geschichte dieses Umschlagplatzes. Viele alte Handwerksläden sind verschwunden, jetzt gibt es Billigware aus China, aber traditionelle Güter sind geblieben. Zum Beispiel die Pistazie, eine iranische Spezialität. Mohammed und Hussein Kazemi haben hier seit 40 Jahren einen Laden. Der Vater ist ein Monument von Händler mit rotem Haar und erzählt einen Reim nach dem anderen gegen die USA.
    Sie sehen einen rothaarigen Mann, dahinter ein Regal mit Nüssen.
    Seit 40 Jahren handelt Mohammed Kazemi im Großen Basar von Teheran mit Pistazien und Nüssen. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Brot, Käse, Pistazien, und die Amerikaner stecken in der Patsche. Besser kann man sowas nicht von Farsi ins Deutsche übersetzen. Sein Sohn spricht Englisch, er hat in Kenia IT studiert.
    "Wir stehen immer noch unter Sanktionen der USA, und viele europäische Banken fürchten sich, mit uns Geschäfte zu machen. Daran ist Amerika schuld, und daran hat sich nichts geändert."
    Immerhin kommen mehr Touristen
    Das hören wir oft in Teheran: Es mag ja sein, dass wenigstens die EU und die UNO viele Sanktionen aufgehoben haben. Aber wir merken davon noch nichts, auch SWIFT läuft noch nicht, das internationale System für den Finanzverkehr. Immerhin kommen mehr Touristen.
    Die Menschen dürfen nicht nur jammern und darauf hoffen, dass die Regierung oder irgendein Abkommen etwas für die Wirtschaft bewirken, sagt Hussein Kazemi. Die Menschen müssen sich selbst ändern, wenn sie ihr Land zu einem besseren machen wollen.
    Unser Regisseur und Wegweiser Reza Khanlari bringt uns tiefer in den Basar, in einen Innenhof mit einer Kuppel wie in einer Moschee. Timche heißen diese kleineren Einheiten auf dem Basar, es sind kleine eigene Märkte im großen Ganzen.
    Wir steigen in einen winzigen Fahrstuhl und fahren in den ersten Stock. Oben ein feiner Laden für Termeh, feine Webkunst aus der Stadt Yazd. Draußen auf dem Balkon des Ladens ein Blick in das Gewölbe der Timche: unten im Erdgeschoss wird fast überall Damen-Unterwäsche verkauft, die BHs leuchten grell in gelb, pink und blau. Die Gegensätze liegen dicht beisammen.
    Sie sehen geschlossene Läden im Großen Basar von Teheran, vor den Läden hängen schwere Vorhänge.
    Nach 18 Uhr schließen die Läden im Großen Basar von Teheran. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Der Nachmittag wird zum Abend. Die ersten Läden schließen.
    Reza möchte uns noch einen Schrein zeigen, ein Heiligtum, das zum Basar gehört. Reza ist die Religion wichtig. "Für einen Teil der Basaris ist sie bis heute Teil des Alltags", sagt er, "und das zeige ich auch in meinem Film". Es gibt mehrere Moscheen im Basar - und diesen Schrein mit dem Grab eines Nachfahren der zwölf Imame, die den Schiiten heilig sind.
    "Wir nennen sie Ehrendiener"
    Der Gegensatz zum Lärm der Gassen ist groß. Die Basaris finden hier vor allem mittags etwas Ruhe für das Gebet. Verantwortlich für den Schrein ist Said Moradzadeh, ein Geistlicher mit dem Titel eines Hodschatolleslam. Er hat etwas Zeit und redet gern.
    "Wir sind vier Leute hier, drei Männer und eine Frau, die für uns kocht. Und es gibt auch Ehrendiener, denn für viele Basaris ist es eine Ehre, hier im Schrein Dienst zu tun. Darum nennen wir sie Ehrendiener."
    Wir ziehen die Schuhe aus, und Said Moradzadeh führt uns in einen hellen Raum mit Teppichboden und Spiegelmosaiken, die bis zur Decke reichen. Wir bekommen Tee und abgepackten Kuchen. Das hier ist der VIP-Bereich des Schreins, sagen sie. Das Wartezimmer sozusagen. Wir gehen hinüber in das eigentliche Heiligtum.
    Said Moradzadeh leitet den Schrein im Großen Basar von Teheran.
    Said Moradzadeh leitet den Schrein im Großen Basar von Teheran. (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    Der Schrein im Nebenraum ist ein kleines Häuschen aus Marmor und vergoldeten Gittern, verziert mit Ornamenten und Schriftzeichen. Said Moradzadeh greift an eines der Gitter, so tun es viele Menschen, die hier beten, wenn sie Probleme haben - mit Geld, Gesundheit oder Familie. Auch das ein Stück Wirklichkeit im Basar 2016.
    Der Große Basar ist ein Film
    Als wir mit Reza zurück in die Gassen treten, sind fast alle Läden geschlossen. Die letzten Rollgitter rasseln herunter. Es herrscht Zwielicht. Auf dem Boden liegt Müll, viel Müll, Plastikfolien, Tüten, Verpackungen. Ein Mann wühlt darin und sucht nach Resten, die er verkaufen kann. Wir suchen nach einem Ausgang, der noch geöffnet ist.
    Dann stehen wir wieder auf der Straße vor dem Basar, die Männer gröhlen, ein paar Meter weiter wetten sie auf den Dollarkurs des nächsten Tages. Ich verstehe Reza Khanlari gut: Der Große Basar ist ein Film, in jeder Hinsicht, er ist eine Welt, in der Tradition und Moderne miteinander ringen. Eine Welt, die uns ein bisschen vertraut ist - und zugleich fremd bleibt.
    Der Dokumentarfilm von Reza Khanlari läuft am Sonntag um 18 Uhr auf dem Iranischen Filmfestival in Köln.