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Großer Lauschangriff

Hörbücher erlauben die Kombination von Nötigem mit dem Angenehmen und verwandeln selbst einen sonst nervenaufreibenden Stau auf der Autobahn in sinnvoll genutzte Zeit. Literatur zum Hören wird immer beliebter.

Von Astrid Weisser | 24.03.2007
    Nicht lange ist es her, da fand man selbst in gut sortierten Buchhandlungen und Bibliotheken nur ganz selten ein Hörbuch. Heute gibt es eigene Hörbuchabteilungen, Tauschbörsen im Internet, und selbst Tankstellen vertreiben CDs mit klassischer Literatur. Hörbücher oder Audiobooks werden immer beliebter.

    Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels fand in einer Umfrage heraus, dass bereits über 30 Prozent der Befragten regelmäßig ein Buch hören. Ähnlich beeindruckend sind auch die steigenden Umsatzzahlen der Branche. Die zehn größten Hörbuchverlage konnten Umsatzsteigerungen von durchschnittlich knapp 40 Prozent erzielen. Während die Musikbranche über sinkende Tonträger-Verkäufe klagt, steigen die Absatzzahlen der Literatur-CDs unaufhaltsam.

    Dr. Marita Pabst-Weinschenk, Sprechwissenschaftlerin der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung, hat eine einfache Erklärung für diese Entwicklung:

    "Hörbücher insgesamt haben meines Erachtens nach deshalb diesen Boom erfahren, weil es wesentlich einfacher ist, sich Literatur vorlesen zu lassen als sie wirklich selbst zu lesen. Das selber Lesen ist etwas, was dann auch im stillen Kämmerlein, mit sehr viel Ruhe und Konzentration passieren muss, ansonsten, Hörbücher können auch mal nebenbei gehört werden."

    Der neue Henning Mankell auf dem Weg zur Arbeit, Goethes Gedichte während der Zugfahrt oder "Harry Potter", solange der Haushalt auf Vordermann gebracht wird. Hörbücher erlauben die Kombination von Nötigem und Angenehmen und verwandeln selbst einen sonst nervenaufreibenden Stau auf der Autobahn in sinnvoll genutzte Zeit.

    Die Palette der Hörbücher gestaltet sich schier endlos. Es kommt schließlich nicht mehr nur auf den Autoren und seine Geschichten an. Da gibt es die ungekürzten und die "bereinigten" Lesungen, es gibt die inszenierten Hörspiele mit einem oder mehreren Sprechern. Und nicht selten wird ein und das selbe Buch in mehreren Varianten produziert. Der Börsenverein schätzt, dass 500 Verlage etwa 13.000 Titel anbieten, wobei die Belletristik mit gehörigem Vorsprung an der Spitze steht.

    "Das spielt sicherlich mit hinein, diese Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft. Es spielt aber auch mit hinein, dass wir inzwischen sehr viele gute Hörbuchproduktionen haben. Das heißt, wenn jemand es wirklich versteht wie Rufus Beck zum Beispiel mit den "Harry Potter"-Hörbüchern, so etwas zu machen wie Kino im Kopf, dann ist das natürlich sehr schön und angenehm, sich dann auch davon anregen zu lassen. Das heißt, es ist natürlich bequemer und einfacher, sich etwas darstellen zu lassen und nicht völlig auf seine eigene Fantasie angewiesen zu sein, aber es ist auch etwas, was ein regelrechter Kunstgenuss ist."

    Die sprechenden Bücher gehören inzwischen zum selbstverständlichen Medienrepertoire eines Publikums, das in verschiedenen Studien als überdurchschnittlich gebildet, einkommensstark, mobil, flexibel und kulturell interessiert beschrieben wird. Hörbücher werden von Frauen und Männern gleichermaßen genutzt. Dies ist insofern bemerkenswert, als das der Anteil der männlichen Leser in der Belletristik nur bei 30 Prozent liegt.

    Die Geschichte des Audiobooks findet ihren Anfang in der Blindenhörbücherei. Ursprünglich bereits als Speichermedium von politischen Reden genutzt, erfährt die gesprochene Literatur hier nun auch eine soziale Funktion. Doch erst seit einigen Jahren greift eine breite Öffentlichkeit auf die unbegrenzten Möglichkeiten der vorgelesenen Literatur zurück.

    Dr. Marita Pabst-Weinschenk hat für diesen Boom neben den immer besser werdenden Produktionen und dem wachsenden Bekanntheitsgrad noch eine ganz andere Erklärung:

    "Die Entwicklung ging gerade in Deutschland sehr stark von der Kinderhörkassette aus. Und eben genau über diese Traditionsserien 'Benjamin Blümchen' und 'Drei Fragezeichen', 'TKKG' und 'Bibi Blocksberg' und was es da alles gibt, die haben praktisch den Weg geebnet auch für die Jugendlichen und kommenden Erwachsenen sich mit diesem Medium weiter zu beschäftigen."

    Der Trend manifestierte sich in den Verkaufszahlen des vergangenen Dezembers. Das Plus des Weihnachtsgeschäfts im Vergleich zum Vorjahr war mit gut 17 Prozent der Verdienst der Hörbücher. Dass ein gedrucktes Buch meist günstiger ist, wirkt sich also nicht abschreckend aus. In einer Umfrage des Börsenvereins hielten fast die Hälfte der Befragten die Preise für angemessen und fair.

    Literatur und Schrift bilden heute keine zwangsläufige Einheit mehr. Es gilt das Wort, ob geschrieben oder gesprochen. Und spätestens zum Erscheinen des siebten und letzten "Harry Potter"-Bandes werden sowohl die mit den Augen als auch die mit den Ohren lesenden Fans die Buchhandlungen stürmen.