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"Großer Mangel an Transparenz"

Viele EU-Länder haben von Datensammlungen durch US-Behörden gewusst, sagt der britische Europaparlamentarier Graham Watson (Liberale Demokraten). Es gebe darüber Vereinbarungen mit den USA. Eine parlamentarische Kontrolle über solche Methoden sei dringend notwendig.

Graham Watson im Gespräch mit Dirk Müller | 03.07.2013
    Dirk Müller: Das ist ja schlimmer als bei der Stasi, ist in Berlin bereits mehrfach zu hören. Milliarden von Daten kommen pro Jahr zusammen, die der amerikanische Geheimdienst via Internet abgreift. Das alleine in Deutschland, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute aufs Neue. Daten, die dem ganz normalen Durchschnittsbürger gehören. Jetzt kommt es aber noch schlimmer, oder jetzt legen die Amerikaner und auch die Briten noch Eins drauf. Auch die Politiker, die Regierungschefs, die Minister, die Staatssekretäre und auch die Parlamentarier werden offenbar belauscht, ganz gleich wo auch immer in Europa. Empört sind jetzt fast alle: die Verbündeten, die Partner, die Freunde. Und was ist mit Edward Snowden? Neue Irrungen und Wirrungen.
    Edward Snowden, die Spionage und die flächendeckende Datenüberwachung - darüber sprechen wir nun mit Graham Watson. Er sitzt für die britischen Liberalen im Europäischen Parlament. Auch an Sie einen guten Morgen nach Straßburg.

    Graham Watson: Guten Morgen.

    Müller: Herr Watson, können Sie nicht Edward Snowden zu Hause verstecken?

    Watson: Nein. Ich glaube, das, was jetzt getan wird, ist außer aller internationaler Normen. Es sieht aus, als ob er der schrecklichste Mann der Welt ist, und ich glaube, dass die Amerikaner sich irgendwie irren. Die haben es nicht verstanden, dass für manche Leute Edward Snowden ein Bürgerrechtler ist.

    Müller: Was ist er für Sie?

    Watson: Er ist auch ein Bürgerrechtler für mich. Ich meine, ich verteidige nicht, was er gemacht hat, aber ich bin sicher, dass er das gemacht hat, weil er glaubte, das war im Interesse der Welt, und ich glaube, er hat auch vielleicht recht. Man sollte das verstehen, was passiert. Es gibt einen großen Mangel an Transparenz und es ist nicht der Fall, dass die Regierung, dass die Behörden mehr über uns wissen müssen, was wir tun. Wir müssen mehr darüber wissen, was sie tun, und Snowden hat das erreicht. Für mich ist diese Debatte nichts Neues. Wir wissen schon seit Langem und wir haben auch eine Commission of Inquiry im Europaparlament zwölf Jahre her, darüber gemacht. Wir wissen, was passiert. Wir wissen, dass sieben Länder in Europa eine Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten haben über solche Daten.

    Müller: Ist Deutschland mit dabei?

    Watson: Deutschland ist dabei! Ja, ja, ja, genau. Alle die großen Länder Europas plus Dänemark plus Niederlande. Wir müssen aber die Frage stellen, heiligt der Zweck jedes Mittel. Für mich ist es kein Problem. Ich glaube, auch für viele Leute ist es kein Problem, Einschränkungen der Privatsphäre zu akzeptieren, im Gegenzug zur Verhütung von Terrorattacken und von internationaler Kriminalität. Aber es muss eine echte parlamentarische Kontrolle geben über das, was gemacht wird, für welchen Zweck diese Dinge gemacht werden und über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.

    Müller: Herr Watson, bevor wir über diese flächendeckende Spionage sprechen, was jetzt so viele empört in Europa, gerade auch in Deutschland, noch einmal zurück zu Snowden. Ich hatte Sie gefragt, wollen Sie den zu Hause aufnehmen; da sagen Sie nein. Auf der anderen Seite sagen Sie, er ist ein Aufklärer, er ist zu einem großen Teil auch ein Bürgerrechtler. Würden Sie sich in Großbritannien dann dafür einsetzen, dass er dort Asyl bekommt?

    Watson: Persönlich glaube ich, wenn die Amerikaner so viel machen, um Snowden zu fangen, dann kann man keinen Verlass darauf haben, dass er in Amerika einen normalen Prozess, gerichtlichen Prozess bekommt.

    Müller: Also Zweifel am Rechtsstaat?

    Watson: Ja genau. Wir wissen schon, was der amerikanische Geheimdienst macht in verschiedenen Ländern. Ich verteidige nicht, was Snowden gemacht hat, aber ich verteidige seinen Willen, was er machen wollte. Wir haben jetzt auf der Welt Gott sei Dank eine informierte, aber verärgerte Öffentlichkeit, die jene rechtsstaatliche Regierung fordert, die ihr versprochen wird. Und die Spähprogramme der amerikanischen Geheimdienste scheinen außer Kontrolle zu sein.

    Müller: Um das noch mal festzuhalten, Graham Watson. Sie sagen ganz klar, Sie befürchten, Sie haben ernsthafte Zweifel daran, dass Edward Snowden in den Vereinigten Staaten einen fairen Prozess bekommt?

    Watson: Ja, genau. Das sage ich.

    Müller: Jetzt noch mal die Frage. Wie sieht Großbritannien aus? Großbritannien könnte diesem Mann helfen.

    Watson: Großbritannien wie jedes andere Land Europas will das nicht, weil die wollen nicht gegen die Amerikaner etwas tun. Die Tatsache, dass Frankreich und Portugal dieses Flugzeug nicht überfliegen lassen, zeigt das schon. Ich glaube, es wäre für ihn sicherer, wenn er sich irgendwie in Südamerika in Asyl befindet. Aber natürlich sollte man auch verhältnismäßig hier vorgehen und sagen, was hat er gemacht und warum gibt es jetzt keine fundamentale öffentliche Debatte mit den Vereinigten Staaten, welche Daten gesammelt werden, für welchen Zweck, in welcher Form, und was es dann für parlamentarische Kontrolle gibt, was die Basis der Gesetzgebung ist, worüber man dies erlaubt.

    Müller: Herr Watson, lassen Sie mich da einmal einhaken. Sie sagen, wir brauchen die parlamentarische Kontrolle. Wir müssen uns auf der anderen Seite gar nicht wundern, dass so viel abgehört wird. Wenn die deutschen Politiker, auch die Kanzlerin, auch viele Minister bis auf den Innenminister sich jetzt im Moment empören, die Opposition gehört auch dazu, dann ist das scheinheilig?

    Watson: Hier geht es um einen Bruch von fundamentalen Freiheitsrechten, wenn man an den Universal Declaration of Human Rights denkt oder an den Europäischen Konvent. Im Menschenrechtskonvent heißt es, was gemacht wird gegen Privacy, muss verhältnismäßig sein, und es scheint, das was hier gemacht wird, ist nicht verhältnismäßig.

    Müller: Aber dennoch wussten Sie, dass so viel abgehört wird?

    Watson: Ich weiß nicht, ich bin kein Experte darin. Aber wir wissen schon seit zwölf Jahren, seit wir wegen des Echelon-Programms eine Inquiry gemacht haben im Europäischen Parlament, dass solche Maßnahmen genommen werden. Wir wissen, dass man abgehört, gescannt, ausspioniert wird. Und wenn wir das wissen, dass das zu dem Zweck Krieg gegen Terror und gegen internationale Kriminalität gemacht wird, dann kann man das in gewissem Maße akzeptieren. Aber man muss wissen, das es auch eine Kontrolle, eine rechtliche Kontrolle darüber gibt. Wir haben im Moment zwischen den europäischen Ländern eine enge Zusammenarbeit mit den amerikanischen Geheimdiensten, ohne dass es in allen Fällen eine solche Kontrolle gibt. Das Risiko besteht, dass wir einen Überwachungsstaat schaffen, der berüchtigte Big Brother, und dass diese Daten für Zwecke benutzt werden könnten, wo es keine gesetzliche Basis gibt.

    Müller: Graham Watson bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk. Er sitzt für die britischen Liberalen im Europäischen Parlament. Vielen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.