Ein von der Evangelischen Kirche in Deutschland beauftragtes unabhängiges Forscherteam stellte in Hannover seine Studie vor, in der von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede ist. Das sei jedoch nur die „Spitze der Spitze des Eisbergs“. Es gebe Kenntnisse über weitere Fälle, die aufgrund fehlender Informationen nicht hätten strukturiert erfasst werden können, heißt es in der Mitteilung des Forscherteams.
Bislang war nur bekannt, wie viele Betroffene sich in den vergangenen Jahren an die zuständigen Stellen der Landeskirchen gewandt haben. Nach Angaben der EKD waren das 858.
Bischöfin Fehrs bittet um Verzeihung
Die kommissarische Ratsvorsitzende der EKD zeigte sich erschüttert über das Ausmaß. Sie bitte die Missbrauchsbetroffenen um Entschuldigung, sagte Bischöfin Fehrs in Hannover bei der Vorstellung der Studie: "Wir haben uns auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig gemacht."
Zu Problemen bei der Bereitstellung von Daten für die Studie sagte Fehrs, es sei klar, dass die evangelische Kirche zu einer einheitlichen Falldokumentation kommen müsse. Wie vorab bekannt wurde, konnten die Wissenschaftler nicht die Personalakten aller Pfarrer und Diakone auswerten, sondern in erster Linie Disziplinarakten.
Betroffene: Stimmen der Opfer wichtiger als Zahlen
Die Betroffene Katharina Kracht warnte in ihrer Stellungnahme davor, die Ergebnisse deshalb weniger wichtig zu nehmen. Es seien viele qualitative Interviews geführt worden. Wer die Stimmen der Betroffenen übergehe, mache sie wie so oft unsichtbar.
Der Sprecher der Betroffenen, Zander, sprach wie zuvor schon im Deutschlandfunk von einem guten Tag für die Opfer und einem schwarzen Tag für die Kirche (Audio-Link). Dass die Studie erst 14 Jahre nach dem Aufdecken des Skandals veröffentlicht werde, zeige, dass die Kirche zu lange die Deutungshoheit innegehabt habe und die Opfer an Sprachlosigkeit gelitten hätten.
Bundesfamilienministerin: Systematische Aufarbeitung nötig
Bundesfamilienministerin Paus bezeichnete die Ergebnisse der Studie als "erschreckend". Sie erklärte in Berlin, nun habe man leider die Gewissheit, dass auch in evangelischen Pfarrhäusern, Gemeinden und diakonischen Einrichtungen vielerorts Bedingungen geherrscht hätten, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt begünstigten. Die Grünen-Politikerin forderte, die Ergebnisse müssten Grundlage einer systematischen institutionellen Aufarbeitung sein.
Diese Nachricht wurde am 25.01.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.