Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Großes Geschäft mit dem Schmuggel

Kaliningrad ist eine freie Wirtschaftszone und eine Enklave Russlands in der Europäischen Union. Der Beitritt Polens und Litauens in die EU im vergangenen Jahr hat den illegalen Handel an den Grenzen der Stadt verschärft. Die Kontrollen der Polen und Litauer sind strenger geworden; an allen Grenzübergängen warten Schmuggler und Touristen manchmal bis zu drei Tagen. Den Russen, die nach wie vor vom visa-freien Verkehr mit der EU träumen, ist das egal, denn sie profitieren davon. Isabella Kolar berichtet.

30.06.2005
    Teresa, eine stämmige schwarz gekleidete ältere Frau, kommt kaum nach mit dem Verpacken und Verstauen der weiß etikettierten Wodkaflaschen, die ihre Freundin ihr von der Theke herüber reicht. Jede einzelne rollt sie sorgfältig in Zeitungspapier ein. Endstation ist eine große schwarze Reisetasche mit weißen Streifen am Rand. Dort werden sie sorgfältig neben Dutzenden von Zigarettenstangen der Marke Marlboro aufgestapelt. Das seien keine Zigaretten, grinst die Polin aus dem Grenzort Branjevo frech:

    "Wir kaufen keine Zigaretten, nein, nein, wir sind Touristen wir wollen uns die Landschaft und das Meer anschauen. Das sind nur ein paar Einkäufe."

    Teresa und Co. - das sind die vielen kleinen Schmuggler, die an diesem verregneten Samstag morgen an der Sammelstelle Bagrationnowsk, vierzig Kilometer südlich von Kaliningrad, ihren Geschäften nachgehen. Von den drei Grenzübergängen zum EU-Nachbarland Polen ist dies der Größte. Lange Autoschlangen ziehen sich über den von kleinen Läden eingerahmten Platz. Die Fahrer, meist Polen ausgestattet mit einem Tagesvisum, warten hier auf den Passierschein, der ihnen das Weiterfahren zum Grenzübergang erlaubt. Und kaufen günstig das ein, was sie jenseits der Grenze für das Sechs- bis Siebenfache des hier gezahlten Preises wieder verkaufen.

    Nach Polen einführen darf man offiziell eine Stange Zigaretten und einen Liter Wodka. Doch wenn sich alle daran halten würden, weiß die Verkäuferin Svetlana, die selbst früher geschmuggelt hat, dann wäre ihre Laden bald pleite:

    "Jeder Laden hier hat seine Stammkunden. Sie kommen regelmäßig, manchmal jeden Tag, jede Woche. Die Grenzbeamten wissen das, aber sie verhalten sich menschlich, man muss ihnen eben etwas Geld geben."

    Die Zoll- und Steuervergünstigungen der Sonderwirtschaftszone Kaliningrad begünstigen nicht nur Investitionen ausländischer Unternehmen, sie fördern auch den Schmuggel an den Grenzen der Stadt. Viktor Romanowskij, Leiter der internationalen Abteilung für Auswärtige Beziehungen und Außenhandel Kaliningrads, ärgert sich über die verstärkten Reisebeschränkungen für die Kaliningrader seit dem EU-Beitritt der Nachbarländer Polen und Litauen. Einen Zusammenhang mit dem regen Schmuggelgeschäft vor Kaliningrads Haustür sieht er nicht:

    "Es geht darum, dass die Schmuggler auf das Territorium der Europäischen Union einreisen und nicht auf das Territorium Russlands. Zu uns kommen die Polen und Litauer mit Geld, bei uns kaufen sie ein. Die Mengen Benzin, Wodka und Zigaretten, die sie ausführen, widersprechen nicht unserer Gesetzgebung. Sie dürfen bei uns 50 oder 80 oder 100 Liter Benzin kaufen. Doch wenn ihnen nicht erlaubt wird diese Mengen einzuführen, dann ist das allein Angelegenheit der litauischen oder polnischen Regierung."

    Die Polen reagieren auf diese Philosophie mit ihren Mitteln: insgesamt 366 Visa für russische Bürger annullierten polnische Grenzbeamte allein in den vergangenen Wochen. Der Vorwurf: Schmuggel. Dass sei nicht zu rechtfertigen, meint der Vertreter des russischen Außenministeriums in Kaliningrad Sergej Besbereschew. Und träumt weiter den Traum, den pünktlich zum 750-jährigen Jubiläum der Stadt mit der deutsch-russischen Geschichte alle russischen Politiker in Kaliningrad immer wieder träumen:

    "Mein Traum ist, dass zwischen Russland und der Europäischen Union so schnell wie möglich das Visa freie Regime eingeführt wird. Denn Russland hat bereits mehrfach seine Entscheidung für Europa verkündet und es psychologisch vorbereitet. Die Bürger Russlands wollen ohne große Probleme auf das Territorium der europäischen Länder reisen können und sie stellen für Europa absolut keine Gefahr dar."

    Doch die Russen, sie verdienen kräftig mit am schwarzen Geschäft: die Verkäufer und auch die Grenzbeamten. So hält der russische Wärter an der Sammelstelle Bagrationnowsk genauso die Hand auf, wie die russischen Zöllner am Grenzübergang. Weiß der polnische Schmuggler Wrozlaw. Wenn er nicht zahlt, räumen ihm die Russen das Auto völlig aus und jagen ihn dann sofort zu den polnischen Grenzern, damit er keine Zeit hat, die Sachen wieder zu verstecken. Und die Polen nähmen ihm dann alles ab. Dabei braucht der Mann mit dem Schwerbehindertenausweis das Geld dringend:

    "Irgendwas muss man doch tun. Bei uns gibt es keine Arbeit. Man muss sich etwas ausdenken. Hier kaufst du billig ein, dort verkaufst du es teurer oder bringst dir selber etwas mit. So überlebe ich, sonst habe ich kein Geld zum Leben."

    Auf der Fahrt von der Sammelstelle zum Grenzübergang Bagrationnowsk überquert man den Bahnübergang auf dem der Zug Kaliningrad/Berlin einmal täglich verkehrt. Noch hat er zwei Spuren: eine engere europäische und eine breitere, für die russischen Züge. Eine gemeinsame Spur wird es so bald nicht geben. Also weiter gute Geschäfte für die kleinen Schmuggler von Bagrationnowsk und für ihre russischen Aufpasser.