Donnerstag, 25. April 2024

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Grubenunglück in der Türkei
"Ich vermute, es ist auch ein Verschulden der Behörden"

Die Technik in den türkischen Bergwerken sei häufig veraltet und einfach, sagte Günther Apel, Berater für Bergwerkstechnik und -sicherheit, im Deutschlandfunk. Möglicherweise habe der Staat den Betreibern auch nicht genug auf die Finger geschaut.

Günther Apel im Gespräch mit Silvia Engels | 14.05.2014
    Ein Grubenarbeiter schaut traurig in die Kamera.
    Soma: Mindestens 232 Kumpel wurden getötet, rund 100 noch vermisst. (dpa/picture alliance/Sedat Suna)
    Silvia Engels: Es ist ein Unglück, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind. Im Westen der Türkei explodierte in einem Bergwerk gestern offenbar eine Stromanlage. Das führte zu einem Feuer, und das scheint immer noch nicht gelöscht zu sein. Rauchschwaden zogen offenbar durch die Schächte. Nach Angaben des türkischen Energieministers starben über 200 Menschen. Doch nach Medienangaben sind immer noch mehrere hundert Bergarbeiter vermisst.
    Mitgehört hat Professor Günther Apel. Er ist Berater für Bergwerkstechnik und -Sicherheit bei der Firma Deutsche Montan Technologie. Sie war früher Teil der RAG, heute ist sie mit dem TÜV Nord verbunden. Guten Tag, Herr Apel.
    Günther Apel: Guten Tag, Frau Engels.
    Engels: Kurz vorweg: Ihre Firma prüft Sicherheitstechnik im Bergwerk. Und das weltweit?
    Apel: Das ist so. Wir prüfen Sicherheitstechnik auf der einen Seite. Wir beraten aber auch diesbezüglich und machen auch Engineering, also Planungsarbeiten hinsichtlich unter anderem der sicherheitlichen Dinge.
    Engels: Wenn Sie solche Meldungen über Rauch im Bergwerk hören und das offenbar nicht gelöschte Feuer, wie schätzen Sie aufgrund dieser Eckdaten die Chancen für noch vermisste Bergleute ein?
    Apel: Die Chancen für die vermissten Bergleute, lebend herauszukommen, werden sich im Wesentlichen dann ergeben, wenn sie einen Raum innerhalb dieses sogenannten Grubengebäudes - ein Bergwerk wird ja als Grubengebäude bezeichnet - gefunden haben, in dem atembare Luft ist. Wenn die Rauchschwaden, die von diesem Transformator durch die Grube wabern, diese Räumlichkeiten erreichen würden oder erreicht hätten, sie mit Rauchgasen gefüllt hätten, dann ist die Luft nicht mehr atembar und die Menschen würden ersticken. Hoffentlich ist es so, dass einige der im untertägigen Bereich befindlichen Leute solche Räume, in denen atembare Luft ist, erreicht haben und damit die Chance gegeben ist, dass die Rettungskräfte, die sicherlich jetzt untertägig unterwegs sind, sie finden und dann sicher wieder zutage bringen können.
    Engels: Wenn man als eingeschlossener Kumpel einen solchen Raum erreicht, wie lange hat man da noch Überlebenschancen?
    Apel: Das hängt selbstverständlich vom Volumen dieses Raumes ab und von der Belüftung, von der Bewetterung und von der weiteren Luftzufuhr, hoffentlich nicht Rauchgaszufuhr dieses Raumes. Das ist schwer zu sagen. Je größer der Raum, je mehr atembare Luft in ihm, desto länger können die Bergleute, die Kumpel im untertägigen Bereich dort ausharren und auf Rettung warten.
    "Stromversorgung nicht unbedingt eine neuralgische Stelle"
    Engels: Wir wissen noch wenig über den konkreten Fall. Doch die Ursache scheint ja eine Explosion der Stromanlage unter Tage gewesen zu sein. Das löste dann ein Feuer mit Rauch aus. Ist die Stromversorgung in jedem Bergwerk eine neuralgische Stelle?
    Apel: Eigentlich ist die Stromversorgung nicht unbedingt eine neuralgische Stelle. Im untertägigen Bereich, insbesondere im Steinkohlenbergbau, sind all diese elektrotechnischen Einrichtungen ja so ausgerichtet, dass sie Methangas, was immer dann, wenn Kohle da ist, ebenfalls in den Wettern ist, bei einer kritischen Konzentration nicht zünden können. Neuralgische Stellen sind normalerweise die Elektrik nicht, wenn die Elektrik insgesamt so ausgerichtet ist, dass sie, man sagt, schlagwettergeschützt ist.
    Engels: Aus Meldungen entnehmen wir, dass zum Beispiel in dieser türkischen Grube auch die Aufzüge, mit denen die Kumpel aus der Grube hätten geholt werden können, infolge des Strommangels ausgefallen sind. Ist die Elektrik solcher lebensnotwendigen Aufzüge nicht besonders gesichert?
    Apel: Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das gesamte Netz so stark zusammenhängt, dass man nicht die Schachtförderanlage, mit der die Leute wieder zutage gebracht werden können, auch separat schalten kann. Aber es kann sein, dass dieser Eingriff in diesen Transformator oder der Eingriff durch den Transformator hier so durchschlagend war, dass das gesamte Netz zumindest kurzfristig ausgefallen ist und eine Befahrung des Bergwerks nicht möglich war. Die Folge wird sein, dass man zumindest Teile der Elektrik so weit wieder in Gang setzt, dass die Maschinen, die Fördereinrichtungen arbeiten, sodass die Rettungskräfte jetzt in das Bergwerk hinein können, und selbst wenn sie das maschinell nicht könnten, gibt es normalerweise auch die Möglichkeit, per Leitern, per Schrägschacht das Grubengebäude zu begehen.
    "Technik im türkischen Bergbau verhältnismäßig veraltet und einfach"
    Engels: Herr Apel, Sie selbst haben in Ihrer Eigenschaft als Experte auch schon mit Bergwerken in der Türkei zu tun gehabt. Sind Sicherheitsmängel in der Türkei bei Bergwerken an der Tagesordnung?
    Apel: Ich habe mit Bergwerken in der Region Soma selbst nicht zu tun gehabt, sondern mehr in der Region Zonguldak. Man kann sicherlich nicht alle Bergwerke über einen Kamm scheren. Es gibt Bergwerke, in denen sicherheitliche Mängel vorhanden sind, mehr oder weniger, und andere, bei denen es nicht der Fall ist. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Technik, die im türkischen Bergbau eingesetzt wird, auch die Gewinnungstechnik der Kohle, verhältnismäßig veraltet und einfach ist, und die Gewinnungstechnik und die Sicherheitstechnik hängen in solchen Bergwerken immer sehr eng miteinander zusammen. Man hat möglicherweise diese Frühwarnsysteme, die man heute in technischen sicherheitlichen Einrichtungen hat, in dieser Grube nicht. Man hat vielleicht den sich anbahnenden Brand des Transformators oder die Erwärmung, was auch immer, nicht rechtzeitig erkennen können, was man heute mit entsprechender Sensorik bei gut ausgestatteten, sicherheitlich gut ausgestatteten Bergwerken erkennen kann und damit vermeiden kann, dass derartige Unglücke passieren.
    Apel: In der Türkei werden generell derzeit auch viele Gruben privatisiert. Hat das Folgen für die Sicherheit?
    Apel: Nicht unbedingt. Es gibt durchaus auch Bergwerksbetreiber, die auf das Thema Sicherheit achten. Insbesondere muss man sagen, wenn diese Bergwerksgesellschaften Aktiengesellschaften sind, am Aktienmarkt sind, hat die Bergwerksgesellschaft selber ein hohes Interesse daran, die Sicherheit so weit zu besichern, dass es keine negativen Auswirkungen in der Presse gibt und damit die Aktien nicht verfallen. Es kann natürlich sein, dass das Gewinnstreben in diesen Fällen bei der Privatisierung so groß ist, dass man nicht bereit ist, in Sicherheitstechnik zu investieren. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die, wie ich eben sagte: Wenn es große Gesellschaften sind, börsennotierte Gesellschaften sind, haben die ein Eigeninteresse daran, die Sicherheit alleine unter den, sagen wir mal, Aktienaspekten hochzuhalten.
    Eine Dreierbeziehung zwischen Unternehmen, Behörden und Institutionen
    Engels: Die Menschen in der Region selbst klagen, der Betreiber der nun betroffenen Miene habe sich an Sicherheitsauflagen nicht gehalten. Gibt es da vielleicht auch ein Prüfproblem durch die Behörden in der Türkei?
    Apel: Sicherlich ist immer die Überwachung solcher sicherheitlichen Maßnahmen ausschlaggebend. Wenn man niemandem auf die Finger schaut, wird natürlich leicht einmal an der falschen Seite gespart. Ich vermute mal, es ist auch ein Verschulden der Behörden. Es gibt ja immer eine Dreierbeziehung zwischen dem Unternehmen, das Bergbau betreibt, zwischen der Behörde, die überwacht, und in der Regel auch einer Institution, die Sachverständige hat und die die Prüfungen durchführt. Dieses Dreigestirn sozusagen, diese Dreierkombination bewirkt in der Regel, wenn sie richtig arbeitet, schon eine Sicherstellung des sicherheitlichen Standards auf dem jeweils in dem Land vorgeschriebenen Niveau.
    Engels: Herr Apel, Sie haben international mit vielen Behörden und vielen Ländern zu tun. Wie würden Sie im internationalen Vergleich die Sicherheitsstandards bei Bergwerken in der Türkei einsortieren?
    Apel: Wenn man mal die westlich orientierten Bergwerke, beispielsweise auch die in Deutschland sehr hoch einstuft in ihrer Sicherheitstechnik auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber Dritte-Welt-Länder, Entwicklungsländer nimmt, bei denen sicherlich das Sicherheitsniveau noch wesentlich niedriger ist als in der Türkei, dann bin ich der Meinung, dass die Türkei sich irgendwo in einem Mittelfeld befindet.
    Engels: Günther Apel, Berater für Bergwerkstechnik und -Sicherheit bei der Firma Deutsche Montan Technologie, mit Einschätzungen zur Bergwerkssicherheit und dem, was man über die Entwicklung in der Türkei sagen kann. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag.
    Apel: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.