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Grubenunglück
Vor 75 Jahren kamen im Ruhrgebiet über 400 Bergleute ums Leben

Der 20. Februar 1946 gilt als schwarzer Tag der Bergbaugeschichte, in Bergkamen bei Unna gab es eine gewaltige Explosion unter Tage. Die Tragödie war menschgemacht: Die Nationalsozialisten hatten Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt, die britische Besatzungsmacht hatte die Fehler nicht korrigiert.

Von Andreas Baum | 20.02.2021
    Denkmal für Grubenunglück Zeche Grimberg 3
    Sogar über Tage gab es wegen der gewaltigen Explosion Opfer (picture alliance/dpa/Marcel Kusch)
    Zeche Grimberg in Bergkamen im nördlichen Ruhrgebiet: Am späten Vormittag des 20. Februar 1946 arbeitet der junge Bergmann Friedrich Hägerling bereits mehr als sechs Stunden "vor Kohle im Streb", wie es in der Bergmannsprache heißt: Er schlägt in einem schmalen Tunnel knapp einen Kilometer unter der Erde große Steinkohlebrocken aus der Wand. Seine Schicht ist fast beendet.
    "Es war mittags gegen zwölf Uhr, da hörten wir einen fürchterlichen Knall. Und durch diesen Knall ist ein Luftzug entstanden, und der fegte durch unseren Streb und dieser Luftzug, der brachte Kohlenstaub und Steinstaub, und es wurde alles dunkel."
    Offiziell ist nie restlos geklärt worden, wie genau es zu der Katastrophe in gut 900 Metern Tiefe gekommen war. So genannte Schlagwetter, die Verpuffung flüchtiger Gase in den Kohleflözen, waren nicht selten. Zusätzlich konnte es zu Kohlenstaubexplosionen kommen. Im Abschlussbericht steht, dass in der Zeche Grimberg beides detoniert sein könnte, Gase und Staub. Auf dem Weg nach oben steigt Hägerling über Tote und Verletzte.

    Auch Opfer über Tage

    "Die meisten sind irgendwo vorgehauen, die hatten Kopfverletzungen, oder ich weiß nicht. Es war furchtbar, was die für Schreie taten. Es waren mehrere da, die haben gesagt: Nehmt uns mit, nehmt uns mit. Aber wir konnten es nicht, wir waren ja selbst angeschlagen."
    Die Detonation ist so heftig, dass es sogar über Tage Opfer gibt. Eine 300 Meter hohe Stichflamme schlägt aus dem Schacht, der Förderturm ist komplett zerstört. Insgesamt sterben 405 Menschen, darunter die Betriebsleiter und drei britische Offiziere. Der Bergmann Emil Gröne kommt erst nach 24-stündiger Ohnmacht wieder zu sich. Als er erkennt, dass sein Kollege verschüttet worden ist, macht er sich allein auf den Weg.
    "Mein Kumpel lag unter dem Bruch. Dann hab' ich mir ein Stück Draht gesucht, die Lampe um den Hals gehängt, dann bin ich erst in den Schacht reingeklettert. Ich war, nebenbei bemerkt, vollständig nackend. Da bin ich ca. fünf oder 600 Meter gelaufen, da sah ich plötzlich Licht.
    Das Fördergerüst von Schacht 4 der ehemaligen Schachtanlage Grimberg 3/4 in Bergkamen fällt am 1.April 1996 im Rahmen des Abbaus zu Boden.
    Das Fördergerüst von Schacht 4 der ehemaligen Schachtanlage Grimberg 3/4 in Bergkamen fällt am 1.April 1996 im Rahmen des Abbaus zu Boden (picture-alliance/dpa/Franz-Peter Tschauner)
    Denn die Retter hatten aufgegeben, der Schacht wurde zugemauert, um die Feuer zu ersticken. Erst als Gröne erschien, wurde der Suchtrupp erneut losgeschickt – und fand weitere acht Männer. Insgesamt überlebten nur 64 Bergleute die Katastrophe. Die Toten blieben im Berg – der Schacht wurde ihr Grab. Die Trauerfeier am 3. März 1946 übertrug der Nordwestdeutsche Rundfunk.
    "Im Namen aller, die jetzt in der Welt uns hören, rufe ich denen, die dort unten liegen zu: Glück auf zur letzten Fahrt."

    Betreiber sprach von "Naturereignis"

    Auf der Feier sprach auch der Betreiber der Mine, Otto Wagner:
    "Solche Naturereignisse bringen uns zum Bewusstsein, dass alle menschliche Vorsicht, alle Sicherheitsvorrichtungen und Maßnahmen, sowie die sorgfältigsten Überwachungsmethoden dann nichts vermögen, wenn sie durch die unheimlichen Kräfte der Natur ausgeschaltet und damit wirkungslos werden."
    Das Unglück war aber keineswegs höhere Gewalt – es war menschengemacht. Im Zweiten Weltkrieg hatten die Nationalsozialisten die Sicherheitsvorkehrungen sträflich vernachlässigt. 1944 waren nach einem Schlagwetter 107 Kumpel gestorben, darunter viele sowjetische Zwangsarbeiter. Dass die Missstände nach 1945 nicht sofort beseitigt wurden, lag auch an der britischen Besatzungsmacht. Ein guter Teil der Steinkohle wurde als Reparationszahlung nach Großbritannien transportiert. Die Sollmengen zu erfüllen, schien dringlicher, als für die Unversehrtheit der Bergleute zu sorgen. Friedrich Hägerling:
    "Die Zeche war bekannt, dass da an allen Ecken sehr viel Staub war. Kohle zu gewinnen, Kohle, Kohle, Kohle, das war das A und O. Aber diese Feinheiten, Staub mal wegzuräumen, war gar nicht möglich. Die Kumpels sagten schon immer, wenn es hier mal knallt, dann knallt es aber ordentlich. Und das hat es."
    Anderthalb Jahre brannten die Feuer im Berg. 1948 öffnete die Zeche Grimberg wieder. Bis in die Siebzigerjahre wurde hier Steinkohle gefördert, zuletzt in Rekordmengen. In der Bergbaukrise 1974 wurde Grimberg geschlossen.
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