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Grün-Rot in Baden-Württemberg ist "eine gute Koalition"

Die Politik einer Landesregierung unter SPD-Leitung wäre zu großen Teilen identisch, betont der Wirtschafts- und Finanzminister im Ländle, Nils Schmid. Differenzen sieht der SPD-Politiker in der Steuerpolitik und bei der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs.

Peter Kapern sprach mit Nils Schmid | 09.05.2012
    Peter Kapern: Prämiere in Deutschland: heute vor einem Jahr, da unterzeichneten SPD und Grüne einen Koalitionsvertrag. Das Neue daran: Erstmals in einem solchen Bündnis stellten die Grünen den Regierungschef. Die Rede ist natürlich von Baden-Württemberg, wo Ministerpräsident Winfried Kretschmann heute diese Zwischenbilanz zieht:

    O-Ton Winfried Kretschmann: "Ich finde, man muss nicht immer Noten verteilen. Wir sind einfach zufrieden, das ist doch einfach großartig, finde ich. Wir führen eine gute Vernunftehe."

    Kapern: Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg. – Gestern habe ich im Ministerium, im Finanzministerium von Nils Schmid von der SPD angefragt, ob er uns ein Interview gibt. Seine Mitarbeiterin vergewisserte sich da, ob es in diesem Interview um das Thema "Ein Jahr Rot-Grün in Baden-Württemberg" gehen soll. Und vor einer halben Stunde habe ich dann Nils Schmid gefragt, ob der Schock über die Juniorrolle bei der SPD so tief sitzt, dass ihm das Wort Grün-Rot immer noch nicht über die Lippen geht?

    Nils Schmid: Nein, der Begriff kommt uns ganz geschmeidig über die Lippen, weil wir mit den Grünen in Baden-Württemberg gut regieren und weil wir das Votum der Wähler selbstverständlich anerkennen. Sie wollten den Wechsel hin zu einer SPD-Grünen-Regierung, aber sie haben den Grünen ein Mandat mehr gegeben. Damit ist klar, dass die Grünen den Ministerpräsidenten stellen, und Herr Kretschmann macht die Sache ja auch richtig gut.

    Kapern: Als Baden-Württemberg da vor einem Jahr gewählt hat, da waren die Grünen auf einem nie gesehenen Höhenflug und der ist mittlerweile längst beendet, sie sind in den Umfragen gegenüber damals wieder halbiert. Ärgert es Sie rückblickend umso mehr, dass der Wahltermin für die SPD so ungünstig lag?

    Schmid: So was kann man sich nicht aussuchen. Tatsache ist, dass es Sonderfaktoren gab, die für die Grünen so nicht wiederkehren werden: der Widerstand gegen S21, Fukushima. Aber ich bin auch froh, dass die Grünen gut abgeschnitten haben, denn ohne starke Grüne hätten wir den Wechsel in Baden-Württemberg nicht geschafft, und auch für 2016 müssen beide Parteien stark sein, SPD wie Grüne, auch wenn vielleicht die Chancen dann 2016 besser sind, dass wir vor den Grünen landen. Aber wir werden sie auf alle Fälle für eine eigenständige Mehrheit brauchen.

    Kapern: Wie würde denn Baden-Württemberg von Rot-Grün anders regiert als von Grün-Rot jetzt?

    Schmid: Ich würde mal sagen, zu großen Teilen wäre das genau identisch, denn insbesondere der Aufbruch in der Bildungspolitik ist ein gemeinsames Anliegen beider Regierungsparteien, mehr Chancengleichheit, die Abschaffung der Studiengebühren, die Einführung von Gemeinschaftsschulen. Die SPD versteht sich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik als Volkspartei, deshalb sind uns die Anliegen der Unternehmen, und zwar der Industrieunternehmen in ihrer Breite, über die Frage der Energiewende hinaus und die Anliegen der Beschäftigten besonders wichtig, und gerade Baden-Württemberg kann beweisen, dass wirtschaftliche Stärke und soziale Sicherheit zwei Seiten einer Medaille sind. Das ist mit den Grünen sehr gut möglich, aber die SPD hat aufgrund ihrer Geschichte und ihres Charakters als Volkspartei da einen etwas anderen Zugang zu solchen Themen.

    Kapern: Der Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, Herr Schmid, hat ja vor einem Jahr für Aufsehen gesorgt mit der Feststellung, weniger Autos seien besser als mehr Autos. Das klang, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig im Autoland Baden-Württemberg. Hat Winfried Kretschmann mittlerweile seine Rolle gefunden?

    Schmid: Er hat seine Rolle gefunden, ohne Zweifel, und das war sicher eine unglückliche Äußerung, denn es geht ja nicht darum, dass wir weniger Autos bauen wollen in Baden-Würtemberg, sondern wir wollen weiterhin viele Autos bauen, viele Autos exportieren. Das werden bloß Schritt für Schritt andere sein, die weniger Schadstoffe ausstoßen. Und wenn es darum geht, irgendwo weniger Autos zu haben, dann vielleicht in einzelnen Ballungsräumen den Autoverkehr zugunsten des ÖPNV zu ersetzen. Aber dass wir als Autoland Nummer eins das höchste Interesse daran haben, dass unsere Autobauer und vor allem auch der Kranz der Zulieferer weiterhin erfolgreich sind, das ist doch klar und wir haben auch beim nationalen Schaufensterwettbewerb um die E-Mobilität sehr gut abgeschnitten. Da bin ich stolz drauf, denn das war so eine tolle Gemeinschaftsaktion von Regierung, Industrie, Gewerkschaften, Kommunen und da sieht man die ganze industrielle Stärke unseres Landes.

    Kapern: Die Einschätzung der Kommentatoren in den Zeitungen deckt sich mit der Ihren, Herr Schmid, nämlich dass Ministerpräsident Kretschmann mittlerweile sehr wohl in der Rolle des Landesvaters angekommen sei. Ihnen allerdings wird attestiert, dass es Ihnen nicht gelingt, aus seinem Schatten zu treten. Woran liegt das?

    Schmid: Das ist die normale Rollenverteilung. Der Ministerpräsident oder Kanzler hat immer einen Amtsbonus. Bei Kretschmann kommt hinzu, dass er der erste grüne Ministerpräsident ist und damit eine hohe Aufmerksamkeit genießt. Ich bin nun stellvertretender Ministerpräsident, kümmere mich um Finanzen und Wirtschaft. Wir haben in der Sache gemeinsam viel erreicht, zweimal eine Nullverschuldung im Landeshaushalt beispielsweise, und dass der stellvertretende Ministerpräsident nicht ganz so im Blickpunkt der Öffentlichkeit ist wie der erste Ministerpräsident, ist doch klar. Ich finde, dafür, dass ich Stellvertreter bin, habe ich viele Akzente setzen können: Der Einsatz für die Schlecker-Beschäftigten, der leider an der FDP gescheitert ist, die Fachkräfte-Allianz, wie gesagt die solide Haushaltspolitik. Das ist eine ganz gute Ausgangslage und was noch wichtiger ist als diese Frage der Augenhöhe der Personen ist, dass SPD und Grüne bei den Inhalten, bei den Themen sehr gut miteinander arbeiten und die SPD-Themen gleichgewichtig mit den Grünen-Themen vorangetrieben werden. Das zeichnet eine gute Koalition aus.

    Kapern: Schauen wir doch mal, Herr Schmid, auf eines der Themen. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg deutet Verhandlungsbereitschaft über das Steuersenkungspaket der schwarz-gelben Bundesregierung an, um an das Problem der kalten Progression heranzugehen. Sind Sie da auch auf Augenhöhe oder Schulter an Schulter mit ihm?

    Schmid: Wir haben in der Regierung festgelegt, dass wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur kalten Progression im Bundesrat ablehnen werden, und wir werden auch nicht den Vermittlungsausschuss anrufen, das muss die Bundesregierung schon selber tun, wenn sie meint, dass das so ein tolles Gesetz sei. Insofern ist die Linie klar. Angesichts der Vorgaben der grundgesetzlichen Schuldenbremse kann sich Baden-Württemberg gar keine Steuersenkungen leisten, wie die anderen Bundesländer auch.

    Kapern: Aber nun hat ja Winfried Kretschmann diese Avancen gemacht.

    Schmid: Das war ein Interview, was schon ein paar Wochen alt ist, und insofern war es missverständlich. Die Linie ist aber klar: Wir wollen diesen Gesetzentwurf ablehnen. Und alles Weitere hat die Bundesregierung in der Hand. Aber dass die Länder jetzt eher Steuererhöhungen brauchen, beispielsweise die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, ist doch klar, denn wir haben große Herausforderungen bei der Konsolidierung und große Herausforderungen bei der Bildungspolitik und beim Ausbau der Kinderbetreuung. Diese Steuersenkungsspirale in Deutschland muss durchbrochen werden.

    Kapern: Schließen Sie also aus, dass Winfried Kretschmann in der Koalition auf Augenhöhe Ihnen dann in dieser Frage nicht doch noch zeigt, wer Koch und wer Kellner ist?

    Schmid: Nein, wir kochen da gemeinsam, weil wir einen gemeinsamen ausgeglichenen Haushalt bis 2020 erreichen wollen, und deshalb stellt sich die Frage nicht, sondern der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird von Baden-Württemberg im Bundesrat abgelehnt.

    Kapern: Winfried Kretschmann droht auch mit einer Klage beim Länderfinanzausgleich. Diese Klage würde sich gegen viele SPD-geführte Landesregierungen richten. Wie stehen Sie dazu?

    Schmid: Da sind wir uns völlig einig. Wir vertreten Baden-Württemberg-Interessen. Wir wollen den Länderfinanzausgleich reformieren. Wenn Gespräche nichts fruchten, dann brauchen wir das Vehikel einer Klage in Karlsruhe, um Bewegung in die Sache zu bringen. Aber Winfried Kretschmann und ich, wir wissen beide, dass eine Klage keinen neuen Länderfinanzausgleich bedeuten würde, sondern auch nach einer Klage bräuchten wir Verhandlungen, die zu einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat führen müssen, und deshalb haben wir, Grüne wie SPD, vorgeschlagen, dass es einen neuen Anlauf zu einer Föderalismuskommission im Bund gibt - ich halte das für aussichtsreich nach der Bundestagswahl -, und dass wir dann alle Beziehungen zwischen Bund und Ländern durchleuchten, um rechtzeitig vor 2019 zu einer Neuordnung des Länderfinanzausgleichs zu kommen, der dann Baden-Württemberg nicht weiter belastet, sondern stärker entlastet. Da vertreten wir Landesinteressen, das ist keine parteipolitische Frage, und da scheuen wir auch nicht vor Diskussionen mit anderen Ländern zurück.

    Kapern: Nils Schmid von der SPD, der stellvertretende Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Schmid, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schmid: Vielen Dank, Herr Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.