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Grün-Schwarz statt Rot-Grün?

Gerner: Die Haushaltsdebatte heute werden Gerhard Schröder und Edmund Stoiber zu einer Generaldebatte nutzen. Diese letzte Bundestagssitzung vor der Wahl ist aber auch der Zeitpunkt, an dem einige aus dem Parlament ausscheiden, mehr oder weniger aus freien Stücken. Das gilt wohl besonders im Fall von Oswald Metzger, dem Haushaltsexperten der Bündnis-Grünen. Über die Parteigrenzen hinweg anerkannt verprellte ihn seine eigene Partei, als sie Metzger im April nicht auf die Landesliste Baden-Württemberg aufstellte. Zum Abschuss freigegeben sah sich der grüne Oberrealo danach nach eigenen Worten. Gestern sein vorerst letzter Auftritt im Parlament, und als ob er die Wahlkampffronten auf die Spitze nehmen wollte, hielt Oswald Metzger ein Plädoyer für schwarz/grün, also eine CDU/Grünen-Koalition. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen Herr Metzger!

    Metzger: Guten Morgen Herr Gerner.

    Gerner: Sie haben sich selbst mal einen Freigeist genannt, der - das ist auch ein Zitat von Ihnen - kein stromlinienförmiger Futzi, wie Sie gesagt haben, sein wollte. Gibt es davon zu viele in der Politik?

    Metzger: Ich glaube der Ausleseprozess in den Parteien ist ein solcher, dass nur Leute nach oben kommen, die rundgeschliffen werden, die nie unangenehm auffallen. Deshalb sind eher die Apparatschiks gefragt. Die Grünen hatten das Glück, eine späte Gründung zu sein, viele Quereinsteiger zu haben, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, und davon zehren wir bis heute.

    Gerner: Sie haben mir eben im Vorgespräch gesagt, der Abschied schmerzt. Was schmerzt?

    Metzger: Einfach die Zäsur, dass ich aus einer Tätigkeit heraus muss, die ich gerne weitergemacht hätte. Und wenn ich meine bisherige berufliche Laufbahn angucke, ich bin knapp 48, haben mir die letzten acht Jahre fast ausnahmslos richtig Spaß gemacht. Ich war gerne Volksvertreter, hätte das gerne weitergemacht und vielleicht habe ich auch das Stück messianisches Sendungsbewusstsein, dass man in der Politik braucht, wo ja Profilneurose allenthalben zu spüren ist.

    Gerner: Freigeist habe ich gesagt, den Sie sich selbst genannt haben. Sie waren ja früher - das wissen vielleicht wenige Leute - auch mal in der SPD. Sie überwinden offenbar gerne Grenzen oder etablierte Gräben. Deshalb der Vorschlag nach einem Bündnis Grüne/CDU?

    Metzger: Nein! Man muss auch sehen, das war in einem Interview in der "Welt", eher eine Nebenfrage auf die langfristigen Perspektiven.

    Gerner: Na ja, Sie haben das '97 schon mal vorgeschlagen?

    Metzger: Ja, und zwar rührt das daher: die Gestaltungsfähigkeit einer Partei hängt davon ab, ob sie Alternativen hat. Das ist so wie eine Braut, die praktisch nur einen Bewerber hat. Wenn wir Juniorpartner der SPD auf Dauer wären, wären die Grünen strategisch überflüssig. Stellen Sie sich mal vor, es würde sozial-liberal am übernächsten Sonntag geben, weil das die einzige mehrheitsfähige kleine Koalition wäre, dann wären auf Dauer die Grünen in der Opposition, die CDU hätte keinen strategischen Partner, und da ist es doch keine Frage, wenn man sozusagen parteistrategisch denkt, dass es dort Bündnisse gibt, und zwar nicht nur um des Machtwillens willen, sondern weil es natürlich auch Berührungspunkte in Teilbereichen durchaus gibt. Eine Abgrenzung in den gesellschaftspolitischen Fragen ganz hart zur Union, in manchen ökonomischen Fragen aber durchaus Berührungspunkte. So ist das Leben!

    Gerner: Grün/CDU auch deshalb, weil CDU und SPD austauschbarer geworden sind?

    Metzger: Also wenn Sie jetzt den Wahlkampf angucken, wie die wirklich schwierigen Themen von den großen Parteien umschifft und ausgeklammert werden, dann ist mir natürlich klar, woher das rührt. Die großen Parteien sprechen tendenziell gut 40 Prozent der Wählerschaft als potenzielle Wähler an, und darin sind natürlich ganz unterschiedliche Gruppen. Die kleineren Parteien können sich eigentlich dezidiertere präzisere Positionen erlauben.

    Gerner: Sozial-liberal haben Sie eben angesprochen. Die jüngsten Umfragen von Dimap besagen: die SPD mittlerweile sogar knapp vor der CDU und die PDS nicht mehr drin. Da müssen Sie sich ja Gedanken machen, welche Koalition es sein könnte. Viele sprechen von einer möglicherweise großen Koalition.

    Metzger: Die große Koalition gibt es nur dann, wenn keine kleine mehrheitsfähig ist, aber ich habe ja gerade angedeutet, in der Politik ist alles möglich, und es ist keine Frage, in der Kultur der Parteienlandschaft wird die FDP im Zweifelsfall natürlich mit der SPD eine Koalition machen, wenn nur das geht und die Union schwächer ist. Das ist jetzt aber Kaffeesatzleserei. Die Wählerinnen und Wähler sollen zunächst mal entscheiden, was ansteht. Mir geht es mit der Koalitionsphilosophie eigentlich nur um die Frage, was passiert auf Dauer, wenn die Grünen jetzt aus der Regierungsverantwortung in die Opposition gehen müssten, was im Augenblick ja wiederum etwas weniger wahrscheinlich ist wie noch vor Monaten. Es gibt ja so einen Wandel in diesem Wahlkampf, der ganz merkwürdig ist. So schwankend wie diesmal war die Stimmung nach meiner Erfahrung noch nie, und ich habe jetzt auch 20 Jahre Wahlkämpfe auf dem Buckel.

    Gerner: Wenn die kleinen mit den großen Parteien können sollen, wie verhält es sich mit den kleinen untereinander? Die Grünen mit der FDP in einer Koalition, ist das denkbar? Man hört ja, dass sich schon einige gewichtige FDP-Politiker in Berlin entsprechend geäußert haben.

    Metzger: Ich persönlich hielte von einer solchen Truppe gar nichts, weil dann die Profilierungsmechanismen zwischen den zwei kleinen Parteien zu ziemlichen klimatischen Störungen führen würden. Ich weiß nicht, ob diese Konstellation überhaupt in der Lage wäre, die anstehenden Reformvorhaben zu lösen. Da wäre Grün-Rot noch eher in der Lage, Gesundheit, Arbeitsmarkt und Rente sowie Steuer in der zweiten Legislaturperiode anzupacken, sozusagen in der zweiten Chance, als eine Ampelkoalition. Nein, persönlich halte ich überhaupt nichts davon!

    Gerner: Herr Metzger, zu Ihrem ureigenen Revier, den Haushaltsfragen. Kommt Deutschland um einen blauen Brief aus Brüssel noch herum?

    Metzger: Ich glaube nicht. Selbst wenn wir die Defizitmarge in diesem Jahr reißen - und es spricht mehr dafür als dagegen, weil einfach die ökonomische Entwicklung sehr verhalten bleibt und deshalb der Arbeitsmarkt mehr kostet und die Steuereingänge niedrig sind -, wird der Sanktionsmechanismus meiner Schätzung nach nicht mehr in diesem Jahr beginnen. Die EU-Kommission wird sagen, Deutschland hat im Frühjahr, als der blaue Brief drohte, Zusagen an die Kommission gemacht und uns interessieren jetzt die Ist-Ergebnisse. Schließlich ist eine Regierungsbildung in Deutschland, wo mit Sicherheit Strukturreformen verabschiedet werden, die auch Einschnitte in Leistungsgesetze bringen, die tendenziell die Ausgaben begrenzen. Ich denke deshalb wird es einen so genannten blauen Brief in diesem Jahr nicht geben. Im übrigen ist diese Vokabel, die sich so eingebürgert hat, natürlich missverständlich, weil insgesamt ist der Sanktionsmechanismus ein zwölfstufiger. Ganz am Ende stehen dann tatsächlich Strafmaßnahmen in Form von Zahlungen an die EU für die Überschreitung. Es gibt natürlich auch Dinge, die die EU-Kommission ausklammert, beispielsweise Naturkatastrophen. Trotzdem stehen wir so an der Kannte, dass Deutschland alles tun muss, um ein Regierungsprogramm zu schmieden, in dem klar wird, die Ausgaben werden begrenzt - und das kann nur im konsumtiven Bereich sein -, die Investitionen muss man stärken. Für eine solche Politik glaube ich, wenn die Weichenstellungen auch in einem Regierungsprogramm abgebildet sind, wird die EU-Kommission großes Verständnis haben, weil Deutschland ja im Prinzip jetzt mit Frankreich und Italien, also drei große Volkswirtschaften im EU-Raum, in der Tinte sitzt.

    Gerner: Herr Metzger, Sie haben gesagt, nach der Wahl werden wir die Arbeitslosenhilfe abschaffen müssen. Sind die Hartz-Vorschläge zu zögerlich?

    Metzger: Die Hartz-Vorschläge sind Vorschläge, die fast ausschließlich die Vermittlung betreffen. Ich denke das ist gut für die Effizienz der Bundesanstalt für Arbeit. Aber die Beschäftigungsschwelle, also die Eintrittshemmnisse in den Arbeitsmarkt, senkt das natürlich nicht. Ich frage mich schon auf Dauer, warum in Deutschland zwei soziale Sicherungssysteme nebeneinander bestehen: das eine die Arbeitslosenhilfe, steuerfinanziert aus dem Bundeshaushalt, immerhin 13 Milliarden Euro in diesem Jahr, auf der anderen Seite die Sozialhilfe, die von den Gemeinden und Landkreisen gezahlt wird. Die Sozialhilfe ist pro Kopf gerechnet etwa halb so hoch wie die Arbeitslosenhilfe, was dazu führt, dass natürlich Anreizwirkungen falsch gesetzt werden. Dieser Vorschlag ist natürlich unpopulär, weil er in Besitzstände eingreift, aber nur mit einer solchen Maßnahme, in Stufen verwirklicht, wird der Bundeshaushalt ab 2004 im Etat von Walter Riester mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Das ist bereits vorgesehen im Entwurf von Eichel für die mittelfristige Finanzplanung. Insofern sehen Sie, das sind nicht nur Ideen eines Haushaltssprechers der Grünen, sondern auch anderer.

    Gerner: Herr Metzger, ganz kurz, weil die Zeit uns davonrennt. Sie gehen jetzt in die freie Wirtschaft, können uns sagen, was Sie genau machen. Um Sie noch einmal zu zitieren: Glauben Sie, dass es dort weniger stromlinienförmig zugeht?

    Metzger: Nein. Der prinzipielle Unterschied ist kein großer. Allerdings der Ausleseprozess in der Wirtschaft ist in einem Punkt anders: man wird trotzdem mehr nach Leistung beurteilt, weil nicht ein diffuser Apparat, beispielsweise Parteitage, darüber entscheidet, ob sie im Rennen bleiben, sondern weil es Vorgesetzte gibt, die sie beurteilen können an ihren Leistungen.

    Gerner: Sie sind gestern ohne Manuskript ans Rednerpult getreten. Haben Sie das immer so gemacht?

    Metzger: Ja. Ich hatte mir das vorgenommen, als ich mal in meiner Heimatstadt Bad Schussenried Bürgermeister werden wollte und vor anderthalb Tausend Leuten eine Bewerbungsrede gehalten habe. Das hat gut geklappt und dann habe ich ab der ersten Sitzung im Bundestag '94 immer frei geredet.

    Gerner: Das sieht man dort ja eher selten. Sollte es zur Auflage für Abgeordnete werden, dass sie die freie Rede beherrschen?

    Metzger: Ich glaube, es sollte eher aus freien Stücken zum guten Ton gehören, dass man das macht, weil wenn die Leute merken, dass Freiredner eine höhere Akzeptanz im Auditorium haben, weil sie mehr in die Diskussion eingreifen und weil sie auch kompetenter wirken, dann wirkt es vielleicht ansteckend.

    Gerner: Oswald Metzger, der für die Bündnis-Grünen noch eine Woche genau im Bundestag ist. Dann scheidet er aus. - Danke Ihnen für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio