Mittwoch, 24. April 2024

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Grünbuch für Citizen Science
Hobbyforscher stärken Wissenschaft

Gregor Mendel und Charles Darwin teilten ein Hobby: sie waren Naturforscher aus Leidenschaft – heute würde man sie Bürgerwissenschaftler nennen. Die "Citizen Scientist" von heute trafen sich auf einem Kongress in Berlin, um eine Strategie zur Stärkung der Bürgerwissenschaften auszutüfteln.

Von Claudia von Laak | 17.03.2016
    Die Hobby-Ornithologen Witiko Heuser (l) und Ingo Rösler (r) stehen mit ihren Feldstechern und Spektiven auf dem Dach des Posthochhauses der Commerzbank am Rande des Hauptbahnhofs von Frankfurt am Main
    Zwei Hobby-Ornithologen stehen mit Feldstechern und Spektiven auf dem Dach des Posthochhauses in Frankfurt am Main. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst )
    "Füchse in der Großstadt" – so heißt das Projekt des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie der Lebensraum des Fuchses in Berlin aussieht, wovon er sich ernährt, wie er lebt, was er meidet und wie sich das Leben in der Großstadt von dem auf dem Land unterscheidet.

    Ein Forschungsvorhaben, das ohne ehrenamtliche Helfer nicht funktioniert. Sophia Kimmig vom Leibniz-Institut hat deshalb ein "Citizen Science"-Projekt daraus gemacht.
    "Jeder einzelne Bürger, der draußen in Berlin rumläuft, hat Wissen über Dinge, die für uns interessant sein könnten. Zum Beispiel Futterstellen für Füchse wie Mülleimer oder Komposthaufen der Versteckmöglichkeiten, oder vielleicht sogar, wo ein Fuchsbau ist. Und wir versuchen, das Wissen vieler einzelner Experten ihrer einzelnen Stadtteile zusammenzutragen und für die Forschung zu verwenden."
    Nach einem ersten Aufruf meldeten sich 1500 Interessenten in Berlin, jetzt geht es in die zweite Phase, erzählt Sophia Kimmig.
    Warum Bürgerwissenschaften populär sind
    Es wird eine Karte geben von Berlin, wo sich jeder Bürger sich seinen Stadtteil, seine Straße aussuchen kann, und gucken kann, ob es dort Aufgaben gibt, die er übernehmen kann. Er bekommt dann das Material dafür und kann aktiv am Projekt mitforschen.
    "Mehr von diesen Projekten" – das fordert die Citizen Science Strategie 2020, die gestern in Berlin vorgestellt wurde. Entwickelt wurde sie von verschiedenen Forschungsinstituten und Universitäten, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Katrin Vohland vom Berliner Museum für Naturkunde erklärt, warum die Bürgerwissenschaften plötzlich so populär sind.

    "Ich glaube, eine wichtige Sache ist das Bedürfnis in der Gesellschaft nach Beteiligung. Das ist ganz groß geworden, dass man gerne mitbestimmen, dass man teilhaben möchte an bestimmten gesellschaftlichen Prozessen und das gilt zunehmend für diesen wissenschaftlichen Bereich. Und diese Möglichkeit, sich mit den digitalen Techniken zu beteiligen, das war so ein Trigger, der aber die ganze Bewegung vorangebracht hat."
    Eine stärkere Beteiligung von Laien an professioneller Wissenschaft? Natürlich gibt es Bedenken von hauptamtlichen Forschern. Zum Beispiel: Erfüllen die Daten, die Bürgerwissenschaftler erheben, wissenschaftliche Standards? Sophia Kimmig vom Fuchsprojekt beantwortet die Frage so.
    "Wenn es einfach nur darum geht, einen Mülleimer zu kartieren oder einen Komposthaufen, dann können wir alle davon ausgehen, dass die Berliner fit und schlau genug sind, einen Mülleimer von etwas anderem unterscheiden zu können. Wenn es um komplexere Dinge geht wie zum Beispiel, ist das ein Fuchsbau oder der Bau von einer anderen Art, und man einfach Fachwissen braucht, um zu entscheiden, ob die Meldung relevant ist oder nicht, da müssen wir natürlich jemanden hinschicken, um das zu überprüfen."
    Chance für den Schulunterricht
    In den meisten Forschungsdesigns, in Förderrichtlinien und -programmen tauchen ehrenamtliche Wissenschaftler nicht auf. Das muss sich ändern, fordert Volker Meyer-Guckel vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Er sieht in dem Konzept der Bürgerwissenschaften auch eine große Chance für Schulen.
    "Man muss nicht mehr in abstrakte Lernlabore, wo man die Grundlagen der Chemie lernt. Sondern man hat hier ein Forschungsdesign plötzlich, das mit der aktuellen Forschung korrespondiert. Und wie spannend ist das für Schüler, wenn man Einblick in die Methoden von Wissenschaft bekommt, wenn man direkt mit Wissenschaftlern über das Projekt kommunizieren kann, wie attraktiv ist das für einen wirklich guten und neuen Schulunterricht."

    Schätzungsweise 250.000 Menschen in Deutschland sind ehrenamtlich in kleineren oder größeren Forschungsprojekten aktiv, die meisten von ihnen im Bereich Natur und Umwelt. Greift die "Citizen Science Strategie" könnten es bald mehr werden.