Rudolf Bindig: Guten Morgen.
Remme: Herr Bindig, wie bewerten Sie die Ereignisse des gestrigen Tages?
Bindig: Zunächst muss man natürlich sein blankes Entsetzen und seine Abscheu äußern, dass es zu solch einem abscheulichen Verbrechen kommen konnte, dass diese Terroristen diese Geiselnahme vorgenommen haben und nicht davor zurückgescheut sind, Kinder als Geiseln zu nehmen. Und den Opfern der Geiselnahme und ihren Angehörigen muss man, das möchte auch ich, meine Anteilnahme aussprechen. Es ist für mich ein weiteres Drehen dieser Gewaltspirale, die es um Tschetschenien herum gibt und die Probleme dort und ein Zeichen dafür, dass immer mehr das Geschehen bestimmt wird durch die radikal-islamistischen Teile des tschetschenischen Widerstandes. Es ist ja so, dass die tschetschenisch-nationalistischen Kräfte um Maschadow sich auch von diesem Terrorakt distanziert haben, obwohl es sicherlich gewisse Verbindungen auch gegeben haben wird.
Remme: Sie haben gesagt, dass dieser Fall, dieser Terrorangriff auf die Schule kein Einzelfall ist. Wir haben ja auch in den Tagen davor Gewaltakte erlebt. Durch diesen Übergriff und die Tatsache, dass im Mittelpunkt des Zieles viele, viele Kinder standen, ist da eine neue politischen Qualität geschaffen?
Bindig: Sicherlich ist auch eine neue politische Qualität geschaffen worden. Das Entsetzen über diese Tat ist so groß, dass man sicherlich auch innerhalb der russischen Gesellschaft anfangen wird, darüber nachzudenken, wie eine solche Gewaltspirale denn in Gang gekommen sein konnte. Sowohl die russische Zivilbevölkerung als auch die tschetschenische Bevölkerung leidet ja inzwischen erheblich unter dieser Gewalt und das könnte einen gewissen Auftrieb geben, dass diejenigen, die einen dritten Weg suchen zwischen der Gewalt der tschetschenischen Rebellen und der Gewalt in Tschetschenien leider auch der russischen Behörden, die einen dritten Weg jenseits dieser Gewalt sucht.
Remme: Herr Bindig, wir haben Ihnen Fragen gestellt vor wenigen Tagen erst auch zum Thema Tschetschenien nämlich nach der umstrittenen Präsidentenwahl. Sehen Sie all diese Gewaltakte in der Folge dieser Wahl?
Bindig: Ja, eindeutig. Denn bereits im Vorfeld hatten gewisse Kontaktleute zu gemäßigten Rebellen in Tschetschenien zu uns gesagt, dass es um den Tag der Wahlen zu neuen Aktionen kommen würde. Es hat also eine Art Vorwarnung von der terroristischen oder tschetschenischen Aktionsseite her gegeben, dass man dieses Mal die so genannten Präsidentenwahlen nicht durchgehen lassen würde, sondern man würde hier bestimmte Aktionen starten. Dass das solche schreckliche barbarische Aktionen sein würden, dieses war natürlich nicht hervorzusehen.
Remme: Herr Bindig, trägt die Zentralregierung in Moskau, trägt der Präsident Wladimir Putin eine Mitschuld an der Situation, so wie sie jetzt ist unter anderem auch dadurch, dass diese Wahlen keine wirklichen Wahlen im demokratischen Sinne waren?
Bindig: Man muss sicherlich trennen zwischen dem Krisenmanagement eines solchen Geiseldramas und dem Blutbad, das dort entstanden ist, und der Gesamtsituation in Tschetschenien, wie sie sich über Jahre aufgebaut hat. Und hier hat sicherlich die Tatsache der harten Linie dazu geführt, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt hat, und in einem gewissen Umfang kämpft Putin natürlich gegen eine Gewalt, die durch russische Sicherheitskräfte auch selbst erzeugt worden ist, weil diese mit großer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vorgehen, was immer neuen Hass gebiert. Hier ist eben zu hoffen, dass es jetzt nach diesen Aktionen zu einem gewissen Innehalten, einem neuen Nachdenken kommt, ob man nicht versuchen muss, einen neuen Ansatz einer Tschetschenienpolitik zu machen, der eben nicht so ist, dass rein pro-russische Kräfte in Tschetschenien nur gefördert und gestützt werden, dort ein Statthalter eingesetzt wird. Aber das sind jetzt auch Hoffnungen, die man vielleicht als Sachkenner von außen in das hinein analysiert. Ob Putin wirklich dazu bereit sein wird, seine Tschetschenienpolitik zu überdenken, dieses wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen.
Remme: Aber diese Beobachter von außen, sie kennen sich aus und haben möglicherweise die nötige Distanz. Verpasst Deutschland da eine Chance, als Kritiker und als Ratgeber aufzutreten?
Bindig: Das ist nicht nur eine Frage Deutschlands, ich glaube, das ist eine Frage, die alle westlichen Staats- und Regierungschefs gemeinsam machen müssten. Dort wo guter persönlicher Draht besteht, könnte hier auch wohl ein Beitrag geleistet werden. Ich habe dem Bundeskanzler meine Analyse über die Wahlen in Tschetschenien neulich vorgetragen und seine Berater werden das auch tun. Vielleicht ist es ja möglich, über den Europarat, über die OSZE eine neue Initiative zu starten. Wir werden in zwei Tagen vom Präsidium des Europarates in Oslo über die Tschetschenienpolitik beraten, vielleicht können wir dort einen neuen Impuls setzen.
Remme: Ich will aber doch noch einmal bei der Rolle Deutschlands bleiben. Nicht zuletzt als wichtiger Handelspartner spielt Deutschland da ja doch eine außerordentliche Rolle, wenn man in den Kreis der westeuropäischen Staaten schaut. Waren Ihnen denn die Kommentare Schröders zur Wahl deutlich genug?
Bindig: Ja, da ist sicherlich eine unglückliche Formulierung gebraucht worden. Er wollte neutral sein, Rücksicht auf die verletzte russische Seele in dieser Konfliktsituation nehmen. Ich hoffe, dass intern doch präziser und klarer und deutlicher gesagt worden ist, dass man unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte und der Demokratie die Entwicklung in Tschetschenien auch zu kritisieren hat.
Remme: Welche politischen Alternativen sehen Sie für Tschetschenien?
Bindig: Ich habe ja jetzt mehrmals die Grundrichtung angedeutet, dass es meiner Meinung nach erforderlich ist zu sehen, dass man mit Gewalt alleine nicht durchkommt, den Konflikt zu lösen, rein einseitig pro-russisch zu lösen, dass man auch mit den Feinden verhandeln muss. Das wird mit ultraradikalen islamistischen Gruppierungen nicht möglich sein. Aber leider gewinnen ja auch bei den tschetschenischen Rebellen genau jene Kräfte immer mehr an Oberhand, weil die Vorgehensweise auch der russischen Sicherheitskräfte so brutal ist, dass sich gegenseitig an den äußeren Rändern die Radikalen und Hardliner hochschaukeln, und die eher noch verhandlungsbereiten Kräfte verlieren an Einfluss. Da müsste ein neuer Kraftakt sein und der Stärkste, also letztlich Putin, müsste sicherlich den ersten Schritt tun.
Remme: Herr Bindig, Sie kenne sich ja in der Region aus, ist denn überhaupt zum Beispiel eine Loslösung Tschetscheniens von der russischen Republik vorstellbar?
Bindig: Nein, aber es wäre durchaus möglich, dass die tschetschenische Selbstverwaltung, eine Art tschetschenischer Autonomie, unter stärkerer Berücksichtigung der tschetschenischen Traditionen, der Clanstrukturen, der Sprache innerhalb der russischen Föderation möglich ist. Es gibt von der Rebellenseite dazu ja auch einen Plan und man hört, dass dort gar nicht mehr unbedingt die volle Selbständigkeit angestrebt wird, sondern eine weitgehende Autonomie, wie sie zum Beispiel die russische Föderationsrepublik Tatarstan bereits hat, dass auch dieses auch eine mögliche politische Lösung sein könnte.
Remme: Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass dieser Terror, der aus Tschetschenien kommt, auf andere Teilrepubliken überspringt?
Bindig: Er ist ja nun schon bereits auf Inguschetien, auf Ossetien übergesprungen und wird die regionalen Konflikte zwischen den Volksgruppen vielleicht auch noch wieder anheizen. Denn die Opfer der Ereignisse dort sind Osseten gewesen, die Täter sind wohl Inguschen gewesen, es sind Tschetschenen gewesen, andere Akteure. Dies könnte auch die sowieso bestehenden Spannungen zwischen den Volksgruppen im Kaukasus noch jetzt wieder zusätzlich anheizen.
Remme: Herr Bindig, wie bewerten Sie die Ereignisse des gestrigen Tages?
Bindig: Zunächst muss man natürlich sein blankes Entsetzen und seine Abscheu äußern, dass es zu solch einem abscheulichen Verbrechen kommen konnte, dass diese Terroristen diese Geiselnahme vorgenommen haben und nicht davor zurückgescheut sind, Kinder als Geiseln zu nehmen. Und den Opfern der Geiselnahme und ihren Angehörigen muss man, das möchte auch ich, meine Anteilnahme aussprechen. Es ist für mich ein weiteres Drehen dieser Gewaltspirale, die es um Tschetschenien herum gibt und die Probleme dort und ein Zeichen dafür, dass immer mehr das Geschehen bestimmt wird durch die radikal-islamistischen Teile des tschetschenischen Widerstandes. Es ist ja so, dass die tschetschenisch-nationalistischen Kräfte um Maschadow sich auch von diesem Terrorakt distanziert haben, obwohl es sicherlich gewisse Verbindungen auch gegeben haben wird.
Remme: Sie haben gesagt, dass dieser Fall, dieser Terrorangriff auf die Schule kein Einzelfall ist. Wir haben ja auch in den Tagen davor Gewaltakte erlebt. Durch diesen Übergriff und die Tatsache, dass im Mittelpunkt des Zieles viele, viele Kinder standen, ist da eine neue politischen Qualität geschaffen?
Bindig: Sicherlich ist auch eine neue politische Qualität geschaffen worden. Das Entsetzen über diese Tat ist so groß, dass man sicherlich auch innerhalb der russischen Gesellschaft anfangen wird, darüber nachzudenken, wie eine solche Gewaltspirale denn in Gang gekommen sein konnte. Sowohl die russische Zivilbevölkerung als auch die tschetschenische Bevölkerung leidet ja inzwischen erheblich unter dieser Gewalt und das könnte einen gewissen Auftrieb geben, dass diejenigen, die einen dritten Weg suchen zwischen der Gewalt der tschetschenischen Rebellen und der Gewalt in Tschetschenien leider auch der russischen Behörden, die einen dritten Weg jenseits dieser Gewalt sucht.
Remme: Herr Bindig, wir haben Ihnen Fragen gestellt vor wenigen Tagen erst auch zum Thema Tschetschenien nämlich nach der umstrittenen Präsidentenwahl. Sehen Sie all diese Gewaltakte in der Folge dieser Wahl?
Bindig: Ja, eindeutig. Denn bereits im Vorfeld hatten gewisse Kontaktleute zu gemäßigten Rebellen in Tschetschenien zu uns gesagt, dass es um den Tag der Wahlen zu neuen Aktionen kommen würde. Es hat also eine Art Vorwarnung von der terroristischen oder tschetschenischen Aktionsseite her gegeben, dass man dieses Mal die so genannten Präsidentenwahlen nicht durchgehen lassen würde, sondern man würde hier bestimmte Aktionen starten. Dass das solche schreckliche barbarische Aktionen sein würden, dieses war natürlich nicht hervorzusehen.
Remme: Herr Bindig, trägt die Zentralregierung in Moskau, trägt der Präsident Wladimir Putin eine Mitschuld an der Situation, so wie sie jetzt ist unter anderem auch dadurch, dass diese Wahlen keine wirklichen Wahlen im demokratischen Sinne waren?
Bindig: Man muss sicherlich trennen zwischen dem Krisenmanagement eines solchen Geiseldramas und dem Blutbad, das dort entstanden ist, und der Gesamtsituation in Tschetschenien, wie sie sich über Jahre aufgebaut hat. Und hier hat sicherlich die Tatsache der harten Linie dazu geführt, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt hat, und in einem gewissen Umfang kämpft Putin natürlich gegen eine Gewalt, die durch russische Sicherheitskräfte auch selbst erzeugt worden ist, weil diese mit großer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vorgehen, was immer neuen Hass gebiert. Hier ist eben zu hoffen, dass es jetzt nach diesen Aktionen zu einem gewissen Innehalten, einem neuen Nachdenken kommt, ob man nicht versuchen muss, einen neuen Ansatz einer Tschetschenienpolitik zu machen, der eben nicht so ist, dass rein pro-russische Kräfte in Tschetschenien nur gefördert und gestützt werden, dort ein Statthalter eingesetzt wird. Aber das sind jetzt auch Hoffnungen, die man vielleicht als Sachkenner von außen in das hinein analysiert. Ob Putin wirklich dazu bereit sein wird, seine Tschetschenienpolitik zu überdenken, dieses wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen.
Remme: Aber diese Beobachter von außen, sie kennen sich aus und haben möglicherweise die nötige Distanz. Verpasst Deutschland da eine Chance, als Kritiker und als Ratgeber aufzutreten?
Bindig: Das ist nicht nur eine Frage Deutschlands, ich glaube, das ist eine Frage, die alle westlichen Staats- und Regierungschefs gemeinsam machen müssten. Dort wo guter persönlicher Draht besteht, könnte hier auch wohl ein Beitrag geleistet werden. Ich habe dem Bundeskanzler meine Analyse über die Wahlen in Tschetschenien neulich vorgetragen und seine Berater werden das auch tun. Vielleicht ist es ja möglich, über den Europarat, über die OSZE eine neue Initiative zu starten. Wir werden in zwei Tagen vom Präsidium des Europarates in Oslo über die Tschetschenienpolitik beraten, vielleicht können wir dort einen neuen Impuls setzen.
Remme: Ich will aber doch noch einmal bei der Rolle Deutschlands bleiben. Nicht zuletzt als wichtiger Handelspartner spielt Deutschland da ja doch eine außerordentliche Rolle, wenn man in den Kreis der westeuropäischen Staaten schaut. Waren Ihnen denn die Kommentare Schröders zur Wahl deutlich genug?
Bindig: Ja, da ist sicherlich eine unglückliche Formulierung gebraucht worden. Er wollte neutral sein, Rücksicht auf die verletzte russische Seele in dieser Konfliktsituation nehmen. Ich hoffe, dass intern doch präziser und klarer und deutlicher gesagt worden ist, dass man unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte und der Demokratie die Entwicklung in Tschetschenien auch zu kritisieren hat.
Remme: Welche politischen Alternativen sehen Sie für Tschetschenien?
Bindig: Ich habe ja jetzt mehrmals die Grundrichtung angedeutet, dass es meiner Meinung nach erforderlich ist zu sehen, dass man mit Gewalt alleine nicht durchkommt, den Konflikt zu lösen, rein einseitig pro-russisch zu lösen, dass man auch mit den Feinden verhandeln muss. Das wird mit ultraradikalen islamistischen Gruppierungen nicht möglich sein. Aber leider gewinnen ja auch bei den tschetschenischen Rebellen genau jene Kräfte immer mehr an Oberhand, weil die Vorgehensweise auch der russischen Sicherheitskräfte so brutal ist, dass sich gegenseitig an den äußeren Rändern die Radikalen und Hardliner hochschaukeln, und die eher noch verhandlungsbereiten Kräfte verlieren an Einfluss. Da müsste ein neuer Kraftakt sein und der Stärkste, also letztlich Putin, müsste sicherlich den ersten Schritt tun.
Remme: Herr Bindig, Sie kenne sich ja in der Region aus, ist denn überhaupt zum Beispiel eine Loslösung Tschetscheniens von der russischen Republik vorstellbar?
Bindig: Nein, aber es wäre durchaus möglich, dass die tschetschenische Selbstverwaltung, eine Art tschetschenischer Autonomie, unter stärkerer Berücksichtigung der tschetschenischen Traditionen, der Clanstrukturen, der Sprache innerhalb der russischen Föderation möglich ist. Es gibt von der Rebellenseite dazu ja auch einen Plan und man hört, dass dort gar nicht mehr unbedingt die volle Selbständigkeit angestrebt wird, sondern eine weitgehende Autonomie, wie sie zum Beispiel die russische Föderationsrepublik Tatarstan bereits hat, dass auch dieses auch eine mögliche politische Lösung sein könnte.
Remme: Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass dieser Terror, der aus Tschetschenien kommt, auf andere Teilrepubliken überspringt?
Bindig: Er ist ja nun schon bereits auf Inguschetien, auf Ossetien übergesprungen und wird die regionalen Konflikte zwischen den Volksgruppen vielleicht auch noch wieder anheizen. Denn die Opfer der Ereignisse dort sind Osseten gewesen, die Täter sind wohl Inguschen gewesen, es sind Tschetschenen gewesen, andere Akteure. Dies könnte auch die sowieso bestehenden Spannungen zwischen den Volksgruppen im Kaukasus noch jetzt wieder zusätzlich anheizen.