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Gründerszene
Jung-Unternehmer wollen neue Rechtsform für Start-Ups

Immer mehr Firmen wollen nachhaltig wirtschaften. Doch viele junge Unternehmer sagen, dass es dafür bislang nicht die passende Rechtsform in Deutschland gibt und fordern die Regierung auf, die "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen" einzuführen. Der Vorstoß hat gute Chancen, zum Gesetz zu werden.

Von Werner Nording | 08.06.2021
Junge Geschäftsleute stehen in einem Büro (Symbolbild)
Eine Initiative von jungen Gründerinnen und Gründern will parallel zu den Gesellschaftsformen GmbH, GbR oder KG eine neue Rechtsform schaffen (Symbolbild) (IMAGO / Westend61)
Waldemar Zeiler ist in Kasachstan geboren, am Bodensee aufgewachsen und hat schon während der Schulzeit sein erstes Unternehmen gegründet. Dann studierte er Betriebswirtschaftslehre. "Das Ziel war es vor allen Dingen, vor 30 Millionär zu werden. Und da habe ich mich auf den Weg begeben und habe viele digitale Start-ups gegründet, ganz klar mit dem Ziel, das Unternehmen nach fünf bis sieben Jahren zu verkaufen und endlich Millionär zu sein."
Nachhaltige Investments - Was die Finanzindustrie im Kampf gegen den Klimawandel bewirken kann Nachhaltige Kapitalanlagen liegen im Trend. Die großen Finanzfirmen sollen nach dem Willen der EU-Kommission eine stärkere Rolle beim Klimaschutz einnehmen. Doch nachhaltige Investments stoßen weiter an viele Grenzen.
Irgendwann merkte der junge Gründer, dass ihm das schnelle Geld doch nicht das Wichtigste war. Was ihn mehr reizte, war ein Unternehmen aufzubauen, dass einen nachhaltigen Beitrag leistet, um die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen - und wie ein Familienunternehmen in Generationen denkt. Als Mitgründer hat der 38-jährige Unternehmer dann 2015 die Start-up-Firma "Einhorn" aufgebaut. In bunt designten Tütchen verkaufen sie nachhaltige, vegane Kondome aus Naturkautschuk oder Tampons, Binden und Slipeinlagen aus Bio-Baumwolle. Das Unternehmen macht über sechs Millionen Euro Umsatz und hat 2020 rund 400.000 Euro Gewinn gemacht. 100.000 davon wurden reinvestiert und 300.000 Euro für den nachhaltigen Anbau der Produkte gespendet.

Sinn vor schnellem Gewinn

Einhorn ist nur eines von immer mehr Start-ups, die nicht mehr auf den schnellen Verkauf und das schnelle Geld setzen, sondern die Welt nachhaltig verändern wollen. Die Suchmaschine Ecosia, die Bäume pflanzt, das Kaffeebecher-Pfandsystem der Firma ReCup, das Plastik-Recycle-Start-up WildPlastic, die Zahlungsapp PayActive: Alle werben damit, Sinn vor schnellen Gewinn zu stellen, und alle wollen einen neuen Mittelstand aufbauen. Deshalb fordert Waldemar Zeiler, dass diese neue Art des Wirtschaftens nun auch im deutschen Gesellschaftsrecht verankert wird.
"Start-ups sind der Mittelstand von morgen und aktuell, zumindest aus meiner Erfahrung gibt es kein rechtliches Modell, dass das sicherstellt, dass Start-ups auch zum Mittelstand von morgen werden können und superlangfristig denken."
Waldemar Zeiler spricht in ein Mikrofon, daneben sitzt Irma Hausdorff
Waldemar Zeiler wollte nicht mehr den schnellen Gewinn, sondern ein nachhaltiges Unternehmen gründen (picture alliance / POP-EYE | POP-EYE/Stefan Mueller)
Dafür will eine Initiative von jungen Gründerinnen und Gründern parallel zu den Gesellschaftsformen GmbH, GbR oder KG eine neue Rechtsform schaffen. Seit Monaten kämpfen sie dafür unter dem Schlagwort "Verantwortungseigentum". Der Begriff meint, dass die Eigentümer einer Firma zwar Stimm- und Teilhaberechte haben. Sie sind aber nicht am Gewinn beteiligt.

Gute Chancen für die neue Rechtsform

Von CDU-Chef Armin Laschet bis zum Grünen-Co-Vorsitzenden Robert Habeck, vom Bundesverband der deutschen Industrie und vielen Familienunternehmern bis hin zu deutschen Top-Ökonomen: Selten haben sich in Deutschland so viele politische Größen und Verbände in eine Debatte über Unternehmens-Rechtsformen eingebracht. Und die Chancen stehen gut, dass Deutschland wirklich eine neue Rechtsform bekommt.
Aber was ist dieses so genannte Verantwortungseigentum und warum reichen die bisherigen Unternehmens-Rechtsformen nicht aus? Die Gründer wollen in ihrem Unternehmen rechtlich verankern, dass das Unternehmen einer Aufgabe dient und nicht dem Vermögen der Eigentümer. Das ist mit den heutigen Rechtsformen nicht möglich. Familienunternehmen leben ein solches Verständnis schon auf Grund ihrer Tradition.
Die Gründer der jungen Unternehmen wollen, dass ihre Firmen genau wie Familienunternehmen nicht von anonymen Investoren geführt werden, sondern von Menschen mit Gesicht, die sich mit dem Unternehmen vor Ort identifizieren. Der Gründer Armin Steuernagel ist einer der Mitinitiatoren der Stiftung Verantwortungseigentum.
"Das Steuerrad des Unternehmens soll weitergeben werden können, immer an Menschen, die inhaltlich mit dem Unternehmen verbunden sind, sozusagen an eine Werte- und Fähigkeiten-Verwandtschaft, an Brüder und Schwestern im Geiste, so hat es Annegret Kramp-Karrenbauer mal gesagt. Das heißt, innerhalb einer Familie, nur, dass eben hier Familie etwas erweitert gedacht wird, es könnten leiblich Verwandte sein, müssen es aber nicht."

Gewinne werden für Aufgabe und Zweck des Unternehmens genutzt

Als Wertefamilie versprechen diese Firmen, dass alle Gewinne dem Unternehmen zur Verfügung stehen und nicht an die Eigentümer ausgeschüttet werden. Zwar sollen markgerechte Gehälter gezahlt werden, aber ansonsten soll das Vermögen des Unternehmens nur für dessen Aufgabe und Zwecke genutzt werden. Gewinne werden reinvestiert oder, wie beim Kondom- und Hygieneartikelhersteller Einhorn, für Umweltprojekte gespendet.
Verena Pausder, selbst Familienunternehmerin in zehnter Generation und mehrfache erfolgreiche Start-up-Gründerin, ist eine der frühen Befürworterinnen der Forderung nach einer neuen Rechtsform für Verantwortungseigentum. Sie weiß, dass Familienunternehmen dank ihrer Tradition langfristiges Wirtschaften und Wertetreue verkörpern. Ein Start-up muss sich dieses Vertrauen aber – aufgrund der fehlenden Tradition - erst verdienen. Wenn es seine Werte rechtlich verbindlich verankert, steigert es seine Glaubwürdigkeit im Markt.
"Und diese Option, dass du von Anfang an als Gründerin zeigen kannst - 'ich meine das hier langfristig ernst' - die gibt es bisher nicht. Wir brauchen das Signal aber heute, weil wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ja dadurch anwerben, dass wir sagen, wenn du bei uns anfängst, und wir dir sagen, wofür wir stehen, dann stehen wir dafür auch noch in fünf Jahren."

Verantwortungseigentum nach dem Bosch-Modell

Verantwortungseigentum ist keine neue Idee. So etwas Ähnliches hatte der Industrielle Robert Bosch schon vor einhundert Jahren für sein Unternehmen verfügt. Weil sein Sohn als Nachfolger ausschied, hatte Bosch festgelegt, dass zwölf gleichgesinnte Treuhänderinnen und Treuhänder als Gesellschafter eingesetzt, das Unternehmen nach seinen Wertvorstellungen weiterführen sollten.
Die Gesellschafter sollten ein faires Gehalt bekommen, aber nicht das Recht haben, das Vermögen aus dem Betrieb zu entnehmen. Außerdem mussten sie ihre Kontrollrechte treuhänderisch an Gleichgesinnte weitergeben, wenn sie ausschieden.
Der deutsche Erfinder Robert Bosch (1861 -1942)
Der deutsche Erfinder Robert Bosch verfügte das Verantwortungseigentum im Prinzip schon vor 100 Jahren für seine Firma (AP Archiv)
So ein Eigentumsverständnis im deutschen Recht umzusetzen war für Bosch jedoch nicht einfach. Denn die deutschen Unternehmensrechtsformen wie GmbH – Gesellschaft mit beschränkter Haftung - oder AG – Aktiengesellschaft - wurden eigens für Eigentümer erfunden, die das Unternehmen vor allem als ihr privates Vermögen betrachteten. Dank einer komplizierteren rechtlichen Krücke, einer KG-Stiftungs-Doppelstruktur, wurde Bosch schließlich in den 1960er-Jahren nach der Idee des Verantwortungseigentums aufgestellt.
Laut einer aktuellen repräsentativen Allensbach-Studie schrecken allerdings 76 Prozent der Familienunternehmen vor solchen Stiftungslösungen zurück. Auch viele Start-ups können sich das Bosch-Modell nicht leisten. Deshalb setzen sie sich so stark für die neue Rechtsform ein, für die der Name "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen" erfunden wurde. Verena Pausder:
"Ist es nicht einfach ein Zeichen für einen neuen Zeitgeist, der jetzt anbricht und offensichtlich eine große Gründerszene, großer Mittelstand, viele Stiftungen, die sagen doch uns fehlt da was, führen wir doch was Neues ein?"

1.200 Unternehmer fordern neue Rechtsform

Die "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen" soll deutlich einfacher sein als das Bosch-Modell. Sie hat normale Eigentümer, Gesellschafter, die zwar keinen Gewinn entnehmen können, aber ansonsten vollwertige Eigentümer sind. Sie können das Unternehmen gestalten, weiterentwickeln oder auch schließen. Wenn die Unternehmer ihr Eigentum zurückgeben, erhalten sie nur das zurück, was sie an Geld hineingesteckt haben.
Mit den Anteilen ist also keine Spekulation möglich. Außerdem können nur natürliche Personen Gesellschafter sein und nicht zum Beispiel Finanzinvestoren. Auch Mitarbeiter können Miteigentümer werden. Gesellschafter dürfen ihre Anteile nicht frei vererben, sondern sollen sie im Normalfall an die Gesellschaft zurückgeben. Um die Anteile an Tochter oder Sohn zu vermachen, müssen die anderen Gesellschafter zustimmen. Hier ähnelt das Modell einer Architekten- oder Anwaltspartnerschaft.
Um ihrer Forderung nach einer neuen Rechtsform Nachdruck zu verleihen, haben die Initiatoren einen Aufruf an die Große Koalition gestartet. Mehr als 1.200 Unternehmer, die weit über 500.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertreten, haben die Regierung aufgefordert, tätig zu werden. Dazu gehören bekannte Unternehmer wie Michael Otto von der Otto Group, Alfred Ritter von Ritter Sport, Götz E. Rehn, Gründer von Alnatura, Antje von Dewitz von VAUDE oder Christoph Bosch von Bosch.
Drei junge Männer sitzen gemeinsam vor Schreibtischen in einem Großraumbüro und unterhalten sich.
Ein Mix aus GmbH und Stiftung
Eine neue Rechtsform für Unternehmen wird heiß diskutiert: die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen. Eigentümerschaft werde so als Treuhänderschaft von Vermögen gedacht, sagt die Ökonomin Christina Hoon. Familienunternehmer lebten diese Idee schon.
Und auch Ökonomen wie Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft unterstützen das Anliegen. Auch der ehemalige Wirtschaftsweise Lars Feld: "Ich verstehe diese neue Rechtsform, welchen Namen sie am Ende auch immer haben wird, als eine weitere Wahlmöglichkeit für die Unternehmen."
Gerade in einer Zeit, in der laute Umfragen des Beratungsunternehmens Gallup 85 Prozent aller Beschäftigten nur Dienst nach Vorschrift machen oder sogar innerlich gekündigt haben, setzen die Initiatoren der neuen Rechtsform auf intrinsische Motivation. Neues in die Welt zu bringen und mit Freude gestalten und entwickeln zu können, seien stärkere Antriebskräfte als sich allein auf Geld zu fixieren. "Wir haben ja gewisse Erfahrungen auch aus den nordischen Ländern, die eher darauf hindeuten, dass wir hier relativ gute Anreize setzen, was die Bereitschaft zu arbeiten und sich zu engagieren anbetrifft."

Mehr Wettbewerbssicherung?

Liberale Ökonomen wie Feld unterstützen die neue Rechtsform vor allem, weil sie darin auch einen Weg sehen, die Selbstständigkeit von Unternehmen zu stärken.
2019 haben laut Kreditanstalt für Wiederaufbau nur 34 Prozent der Familienunternehmen in Deutschland einen Nachfolger in der eigenen Familie gefunden. Wenn die natürlichen Erben als Nachfolger ausfallen, werden Betriebe an Investoren oder Konzerne verkauft und verlieren ihre Selbstständigkeit. Wenn die Zahl von Unternehmen sinkt, steigt die Marktkonzentration und es gibt weniger Wettbewerb.
Verantwortungseigentum kann helfen, selbstständige Familienunternehmen im Land zu halten, die keine Nachfolge haben. Denn Menschen mit gleichen Werten, die aber nicht mit den Gründern verwandt sind, können genauso wie normale Erben das Eigentum übernehmen, ohne es kaufen zu müssen und sich dabei zu verschulden.
Die treuhändische Eigentumsform soll außerdem garantieren, dass das Unternehmenseigentum nicht von den neuen Gesellschaftern versilbert wird, wenn sie das Unternehmensvermögen übertragen bekommen. Eine solche neue Gesellschaftsform würde unserer Volkswirtschaft enorm nutzen, meint der Mittelständler Stefan Appelhans, der sich in der Stiftung Verantwortungseigentum engagiert. Seinen Betrieb Sorpetaler Fensterbau im Sauerland mit 70 Mitarbeitern gibt es schon seit 1880.
"Also es geht darum, eine weitere Möglichkeit zu haben für die ganzen Unternehmerinnen und Unternehmer, die an der Frage stehen und derzeit nicht wissen, wie sie es eigentlich machen sollen. Und deswegen ist es glaube ich ein ganz ganz ganz großes gesellschaftliches Thema eben auch für die Stärkung der breiten Wirtschaft eben für die kleinen und mittelständischen Unternehmen."

Großes Echo in der Politik

Wie Appelhans befürworten laut einer repräsentativen Allensbach-Studie auch 72 Prozent der befragten Familienunternehmen in Deutschland die Einführung dieser neuen Rechtsform. Nur 16 Prozent sind dagegen. 14 Prozent der Familienunternehmen können sich sehr gut vorstellen, die neue Gesellschaftsform einzuführen. Das seien gut 200.000 Familien in Deutschland, rechnet Steuernagel vor. "Hier ist ein Potential, wo meines Erachtens die Politik mit relativ wenig, oder viel Geld auszugeben, extrem viel Freiheit im unternehmerischen Sektor schaffen könnte."
In der Politik hat die Forderung der Initiative nach einer neuen Rechtsform eine beachtliche Reaktion ausgelöst. "Mich fasziniert dieser Gedanke, egal in welchem Rechtsinstitut er sich nachher dann auch darstellt und ich finde, es lohnt sich in der Frage auch weiter zu arbeiten, ja, und wenn es sein muss, fair weiter zu streiten", sagte die damalige CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bei einer Diskussion im Oktober 2020 in Berlin. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, zeigte sich überzeugt.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim Truppenbesuch in Idar-Oberstein
"Mich fasziniert dieser Gedanke", sagte 2020 die damalige CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (IMAGO / Political-Moments)
Neben glühenden Befürwortern gibt es aber auch entschiedene Gegner. Zum Beispiel den Verband "Die Familienunternehmer": Eine solche Reform habe man in den vergangenen 100 Jahren auch nicht gebraucht. Eigentum habe Verfassungsrang und sei als Grundrecht der Kern der sozialen Marktwirtschaft, sagt Verbandsvertreter Ulrich Herfurth. "Mein Grundsatzproblem dabei ist, ein eigentümerloses Unternehmen soll das neue Leitbild sein für ein besseres Unternehmen für eine neue Generation. Und da bin ich persönlich, und unser Verband sowieso, völlig dagegen," meint Herfurth. Der Verband "Die Familienunternehmer" vertritt nach eigenen Angaben 6.000 Mitglieder.
"Ich glaube, es ist ein bisschen anders. Für mich heißt Eigentum, dass ich Gestaltungsrechte habe. Und genau diese Gestaltungsrechte, die sind hier da, das ist Eigentum für uns", kontert Steuernagel von der Stiftung Verantwortungseigentum. Es sei kein eigentümerloses Modell, es gebe ja weiterhin Eigentümer, die mit dem Unternehmenseigentum das Wohl der Firma voranbrächten. Anonyme Finanzinvestoren seien ausgeschlossen.
Die Initiatoren betonen, die neue Rechtsform sei nicht als Gegenmodell gemeint. Es sei vielmehr eine Ergänzung des Gesellschaftsrechts, eine zusätzliche Option, die niemandem etwas wegnehmen wolle. Es sei auch kein Steuersparmodell.

Kritikerin: "Diese Strukturen sind volkswirtschaftlich problematisch"

Gegen das Modell hat sich auch die Professorin Birgit Weitemeyer positioniert. Man brauche es nicht, sagt die Inhaberin des Lehrstuhls für Steuerrecht an der Bucerius Law School in Hamburg. Damit würden "ewige Vermögen" wie im Bosch-Modell geschaffen. "Diese Strukturen sind volkswirtschaftlich problematisch, ordnungspolitisch problematisch und wir reden jetzt nicht nur über heute und morgen. Wenn Sie diese Ewigkeitsklausel wirklich durchbekommen im Bundestag, dann reden wir über eine genauso lange Zeit, wie wir diesen Atommüll irgendwie sichern müssen. Und so was ist mir immer sehr unheimlich."
Steuernagel entgegnet, eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen könne jederzeit wieder schließen und das Vermögen gemeinnützig oder an andere Gesellschaften mit gebundenem Vermögen verteilen. Auch während des Betriebs der Gesellschaft sei das Vermögen nicht auf ewig gebunden, sondern es könne per Spende, Gehalt oder Reinvestition immer aus dem Unternehmen abfließen. Nur für Dividenden an Gesellschafter könne es nicht dienen, sagt Steuernagel.
"Warum schaffen wir nicht eine Rechtsform, es tut niemandem weh, wir nehmen niemandem etwas weg, was ist sozusagen das Problem, wovor haben Sie Angst? Ich meine, wir leben in der Marktwirtschaft und wir probieren es doch einfach mal aus."
Welches Modell sich am Markt durchsetzt, werde sich zeigen, meint der Ökomom Feld. Der Vorschlag stärke auf jeden Fall die Vielfalt und den Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft, wenn die Besten ein Unternehmen führen könnten, unabhängig von familiärer Herkunft oder Kaufkraft. Deswegen sei das Modell ordnungspolitisch zu begrüßen. "Es gibt keinen Grund, dass ein Unternehmen, das in seiner Rechtsform glücklich ist, in diese neue Rechtsform wechseln müsste. Alle diese Vorstellungen, die durch Diskussionen an verschiedenen Stellen aufgepfropft sind, halte ich für überzogen."

Bundesjustizministerium prüft Gesetzesnovelle

Und auch die Parteien scheinen weniger Bedenken zu haben: Bei der SPD ist das Modell auf starke Sympathie gestoßen. Kanzlerkandidat und Noch-Finanzminister Olaf Scholz sagte bei einer Diskussion in Berlin Anfang Mai, er wolle sich über die vielen berechtigten Bedenken hinwegsetzen und die Gesellschaftsform in der nächsten Legislatur einführen.
Robert Habeck, Co-Parteichef der Grünen, betonte, die Rechtsformvariante trage dazu bei, das Nachfolgeproblem in Unternehmen zu lösen und gebe Start-ups mehr Sicherheit. Er werde sich in den Koalitionsverhandlungen für das neue Modell einsetzten.
Ähnlich sieht das die FDP. Und auch der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, hält die neue Rechtsform für einen interessanten Gedanken, sieht aber noch Erörterungsbedarf.
Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, spricht bei der digitalen Pressekonferenz nach der Sitzung des Bundesvorstands seiner Partei zu den Medienvertretern.
Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, ist zuversichtlich, dass die neue Rechtsform kommen wird (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Friedrich Merz, prominenter Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und zuständig für Wirtschaft und Finanzen im Wahlkampfteam der CDU für die Bundestagswahl, betont, das Konzept könne ökologische und soziale Verantwortung verbinden, die über den reinen Markt- und Erwerbszweck hinausgehe. Im Ziel sei man sich einig. "Wir wollen ja zwei Dinge erreichen. Wir wollen, dass Familienunternehmen fortbestehen und zweitens wir wollen junge Unternehmen in Deutschland halten und wollen, dass die, die sie gegründet haben, in diesen Unternehmen vielleicht ein Stück ihres Lebenswerkes sehen, auch wenn sie selber schon gar nicht mehr dabei sind."
Der Druck auf Deutschland durch die kapitalistische Marktordnung in den Vereinigten Staaten und die staats-kapitalistische Ordnung aus China werde noch stärker werden, prophezeite Merz. Deshalb sei es gut, wenn die Wirtschaft widerstandsfähiger werde. "Und wenn dieser kleine Mosaikstein, den wir hier heute diskutieren, dazu beiträgt, dass das ganze Bild unserer Wirtschaftsordnung etwas widerstandsfähiger wird, gegen die Übernahmen aus Amerika und gegenüber der Konkurrenz des Staatskapitalismus aus China, dann haben wir etwas Richtiges und Notwendiges diskutiert."
Das Bundesjustizministerium muss die Gesetzesnovelle nun prüfen. Grüne, SPD und FDP haben das Modell schon in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Habeck jedenfalls lehnte sich gegenüber der Stiftung Verantwortungseigentum schon mal weit aus dem Fenster: "Ihr habt einen Gesetzentwurf vorgelegt, der aus meiner Sicht jetzt im Grunde nur noch dem Check der Verwaltung unterliegen muss, politische Einigung vorausgesetzt, also dass eine Rechtsänderung im GmbH-Recht in eurem Sinne passieren wird in der nächsten Legislaturperiode, halte ich für eher wahrscheinlich und für meinen Teil auch für absolut begrüßenswert und richtig aus den genannten Gründen."