Archiv


"Gründlichkeit vor Schnelligkeit"

Der SPD-Politiker Garrelt Duin hat Korrekturen am SPD-Kurs angekündigt. Personalentscheidungen werde es gleichwohl erst nach der inhaltlichen Auseinandersetzung geben.

Garrelt Duin im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Die Schlacht ist geschlagen und es gibt einen eindeutigen Sieger, der gemeinsam mit einem leicht ramponierten Verlierer eine solide Mehrheit bilden kann. Die nächste Bundesregierung trägt die Farben Schwarz/Gelb und wurde von den beiden auch so gewünscht. Die Erfüllung der Wünsche macht offenbar glücklich, auch wenn die Partei der Kanzlerin Federn lassen musste, und zwar so, dass auch bei der Union die Frage nach der Volkspartei gestellt werden kann. Anders als beim letzten Mal aber ist die FDP so stark, dass sie die Schwäche der Union ausgleichen kann. Drei Rekordergebnisse kennzeichnen die künftigen Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag: zweimal Plus und ein deftiges Minus. Die Partei Die Linke erzielte ihr bislang bestes Ergebnis überhaupt. Zweistellig auch die Bündnisgrünen, wenngleich sie die kleinste Fraktion stellen. Und die SPD rutschte auf das schlechteste Ergebnis nach dem Kriege. Eine bunte Gefühlsmischung also auf den harten Bänken der Opposition. Wenn Opposition Mist ist, dann müssen die Sozialdemokraten jetzt ausmisten. Dazu haben sie nun ausführlich Zeit. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Garrelt Duin, Landesvorsitzender der SPD in Niedersachsen und auch Mitglied im Bundesvorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Guten Tag, Herr Duin!

    Garrelt Duin: Schönen guten Tag.

    Breker: Der Niedergang der Sozialdemokraten nahm mit Hartz IV und mit Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Anfang. Inzwischen muss man sich fragen, wo soll das eigentlich enden, irgendwo im Nirgendwo?

    Duin: Mit Sicherheit nicht. Wir werden jetzt die Chance nutzen, die man in so einer Oppositionsrolle dann hat, uns neu zu orientieren und zu prüfen, was in der Vergangenheit gut war und was weniger gut war, woran es jetzt gelegen hat, ein so miserables Ergebnis für uns verbuchen zu müssen, und dann kann man auch sicherlich wieder neu starten. Es ist ja nicht so, dass wir nicht in den Bundesländern, in den Kommunen auch durchaus eine Basis hätten, auf die sich aufbauen lässt.

    Breker: Nur selbst Parteivorsitzender Franz Müntefering nennt diese Niederlage der Sozialdemokraten historisch. Das schreit doch nach einem völligen Neuanfang.

    Duin: Man kann ja nicht raus aus seiner Geschichte - das wäre, glaube ich, auch kein guter Weg -, sondern man muss wirklich jetzt prüfen, auf was von den Dingen, die in den letzten elf Jahren unter unserer Regierungsverantwortung gemacht worden sind, können wir da aufbauen und was gehört natürlich auch korrigiert, denn dass es Korrekturbedarf gibt, das kann ja nun nach diesem Wahlergebnis niemand mehr leugnen.

    Breker: Wenn sich die Partei inhaltlich neu formieren soll, Herr Duin, geht das mit dem alten Personal?

    Duin: Ich bin davon überzeugt, dass man erst die inhaltlichen Fragen klären muss, um dann zu gucken, wer diese neuen Inhalte auch glaubwürdig vertreten kann. Wenn man erst eine Personaldiskussion führt und danach über die Inhalte wird reden wollen, passt das nicht zusammen, sondern der Weg muss anders herum sein: Erst jetzt eine Neuausrichtung definieren und dann gucken, mit welchem Personal das geht. Das werden Neue, aber sicherlich auch Erfahrene sein. Ich glaube, da wird es eine gute Mischung geben.

    Breker: Nur ein Kanzlerkandidat, der dieses Ergebnis einfährt, kann der eigentlich noch mal Kanzlerkandidat werden?

    Duin: Ich glaube nicht, dass am Tag nach der Wahl die Frage des Kanzlerkandidaten 2013 zu klären ist. Wir werden jetzt erst einmal geordnete Verhältnisse haben müssen innerhalb der Partei, innerhalb der Fraktion. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen, aber wer da versucht, etwas übers Knie zu brechen, macht einen Fehler. Ich glaube, hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

    Breker: Kommen wir zu den inhaltlichen Veränderungen, die nun anstehen. Der Schulterschluss mit den Gewerkschaften muss der nicht neu gesucht werden? Sprich: die Rente mit 67, muss das nicht in Frage gestellt werden?

    Duin: Ich komme zu dem Ergebnis, dass wir dieses Wahlergebnis deswegen haben, weil ein sehr grundlegender Vertrauensverlust vorhanden ist, und der hat sicherlich Ausgang genommen zum Beispiel bei der Mehrwertsteuererhöhung, aber auch, wie Sie richtig sagen, bei der Rente mit 67. Deswegen wird man jetzt in der Tat einen Gesprächsfaden wieder suchen müssen mit den Gewerkschaften, mit den Betriebsräten vor Ort in den Wahlkreisen, um zu gucken, was wird eigentlich in den Betrieben genau gesprochen, was wird dort gedacht, um sich darauf besser einstellen zu können. Ich glaube in der Tat, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jeden Tag losgehen, ihre Schichten machen, versuchen, ihre Familie über die Runden zu bringen, dass die im Zentrum unserer Politik der Zukunft stehen müssen.

    Breker: Herr Duin, dass Die Linke so stark geworden ist, hat viel mit Hartz IV zu tun, und Hartz IV, das ist eine Erbschaft der SPD von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Muss da nicht ein Bruch stattfinden?

    Duin: Nein. Ich glaube nicht, dass wir einen Bruch mit der Vergangenheit brauchen, weil in der Zeit auch vieles erfolgreich gemacht wurde. Wir hatten bis zu Beginn der Wirtschaftskrise einen enormen Rückgang an Arbeitslosigkeit. Also da jetzt alles über den Haufen zu werfen, wäre meines Erachtens voreilig. Im Übrigen: so bitter das ist in der Opposition, aber die gesetzgeberische Möglichkeit, an diesen Dingen etwas substanziell zu ändern, die ist uns ohnehin genommen. Also es geht nicht darum, jetzt in die Vergangenheit zu gucken, sondern nach vorne gerichtet zu sagen, was können wir für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Zukunft für eine Politik machen, damit wir wieder mehrheitsfähig werden.

    Breker: Muss sich dafür nicht die Opposition zusammenschließen, muss sie nicht zusammenarbeiten, muss nicht letztendlich die Linke wieder miteinander den Schulterschluss suchen?

    Duin: Auch das wird von den Fragen abhängen, wie wir uns inhaltlich aufstellen, und dasselbe gilt ja für die Linkspartei auch. Ich glaube nicht, dass sie ihren außenpolitischen Irrsinnskurs dort noch lange wird aufrecht erhalten können, und dann wird es mit Sicherheit Berührungspunkte auch in der Opposition geben und die sollte man, anders als bei der Koalitionsfrage, auch ohne Vorbehalt prüfen. Es geht jetzt darum, die schwarz-gelbe Politik, die in den nächsten vier Jahren gemacht wird, da zu kritisieren, wo das notwendig ist, und das mit aller Schärfe aus der Opposition insgesamt heraus, unter Führung natürlich der SPD.

    Breker: Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, von der alle reden, die haben wir ja noch gar nicht so richtig zu spüren bekommen. Das kommt ja erst noch, wenn sie sich auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt, und das wird im nächsten Jahr sein. Wie muss die SPD da aufgestellt sein?

    Duin: Wir müssen vor Ort ganz präsent sein, denn da wird man natürlich im Bundestag kluge Reden halten können, aber da wird man aus der Opposition heraus wenig real verändern können. Und dann kommt es darauf an, dass wir vor Ort als Abgeordnete an der Seite der Betriebe sind, an der Seite der Betriebsräte, die darum kämpfen, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben. Dort eine glaubwürdige Rolle spielen zu können, das ist, glaube ich, das Entscheidende. Wenn wir dort nur kluge Reden halten und nicht wirklich etwas tun für den Erhalt von Arbeitsplätzen, dann sind wir da auf dem falschen Dampfer.

    Breker: Herr Duin, war denn die SPD dort, wo Sie es gerade beschrieben haben, im Moment nicht glaubwürdig?

    Duin: Das Glaubwürdigkeitsproblem hat sich bis in solche konkreten Fälle hineingezogen. Wenn Sie auf ein Werksgelände gegangen sind und gesagt haben, ich möchte mich um euere Arbeitsplätze kümmern, ich will, dass sie erhalten bleiben, dann ist einem oft entgegengerufen worden, ändere erst mal das mit der Rente mit 67 oder ändere andere Dinge, die in den letzten Jahren gemacht worden sind. Dieses Glaubwürdigkeitsproblem ist ganz real in großem Maße da gewesen und daran zu arbeiten, darum geht es.

    Breker: Daran zu arbeiten heißt, daraus Konsequenzen zu ziehen?

    Duin: Natürlich und deswegen alles auf den Prüfstand stellen, was inhaltlich jetzt von uns gemacht werden kann. Das ist im Rahmen der Opposition enorm schwierig, weil man sich natürlich leicht von der Vergangenheit verabschieden könnte, aber ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir es wirklich im Einzelfall prüfen und uns dafür auch genügend Zeit nehmen.

    Breker: Dennoch noch einmal die Frage, Herr Duin: Muss das Personal nicht auch glaubwürdig werden?

    Duin: Das Personal spielt dabei eine ganz, ganz wichtige Rolle. Wie ich schon sagte: die Verkörperung unserer Inhalte, die muss natürlich dann auch stimmen, aber die Inhalte müssen zuerst definiert werden und dann kann ich zu den Personalentscheidungen kommen.

    Breker: Nur jemand, der für die Rente mit 67 steht, kann der für eine Änderung dieser Politik glaubwürdig auftreten?

    Duin: Das wird sicherlich eine große Herausforderung, aber die inhaltlichen Diskussionen über dieses Thema sind ja auch noch nicht geführt. Ich kann es wieder nur betonen: am Tag nach der Wahl Personalentscheidungen übers Knie zu brechen, löst das Problem der SPD überhaupt nicht, sondern es geht, wenn man Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, erst einmal um inhaltliche Botschaften und dann um das Personal.

    Breker: Aber es kann doch nicht sein, dass man damit bis zum Parteitag im November wartet?

    Duin: Wer treibt uns denn? Warum soll sich eine Partei, die vier Jahre lang jetzt definitiv in der Opposition ist, nicht wenigstens zwei Monate Zeit nehmen, um diese Dinge in Ruhe zu diskutieren? Wir werden nicht in vier Wochen schon wieder eine Wahl haben, wo bis dahin alles schon wieder neu geregelt sein müsste. Die zwei Monate, finde ich, die kann man sich in aller Ruhe gönnen.

    Breker: Und diese zwei Monate, die gönnen Sie auch Ihren derzeitigen Führungskräften?

    Duin: Mindestens!

    Breker: Garrelt Duin war das, er ist der Landesvorsitzende der SPD in Niedersachsen.