Birke: Mexiko ist die erste Station auf der Reise des Bundeskanzlers, Gerhard Schröder, nach Südamerika, die ihn auch nach Brasilien und Argentinien führen wird. Begleitet wird der Kanzler von Wirtschaftsminister Werner Müller und einer hochrangigen Delegation aus Wirtschaft und Kultur. Wirtschaftsfragen stehen auch im Vordergrund der Gespräche, die der Kanzler heute zunächst mit dem mexikanischen Präsidenten Vicente Fox führen wird. In den Informationen am Mittag sind wir nun verbunden mit Barbara Fritz, Wirtschaftsexpertin vom Iberoamerikainstitut in Hamburg. Schönen guten Tag.
Fritz: Guten Tag.
Birke: Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, Frau Fritz, hat an die lateinamerikanischen Staaten appelliert, sich verstärkt für eine Freihandelszone mit der EU einzusetzen. Ist das denn realistisch, wenn man bedenkt, dass Mexiko quasi der Produktionshinterhof der USA ist?
Fritz: Das ist für Mexiko natürlich relativ schwierig, weil die ökonomische Vernetzung mit den USA sehr stark ist, v.a. seit die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA Mitte der 90-er Jahre etabliert worden ist, aber für den Rest Lateinamerikas ist es gar nicht so unrealistisch. Südliche Länder Lateinamerikas, wie Argentinien und Brasilien und andere haben sehr diversifizierte Handelsbeziehungen: ungefähr einen Drittel ihres Handels wickeln sie mit der EU, ungefähr ein Drittel mit der USA und ein Drittel mit anderen ab. Daher wäre für solche Länder ein solches Handelsabkommen mit der EU und ihren Regionen von großer Bedeutung.
Birke: Ganz wichtig in diesem Zusammenhand ist ja immer das leidige Thema Agrar. Das ist ja schon seit Urzeiten zwischen Lateinamerikanern und der EU ein Stein des Anstoßes. Gibt es denn berechtigte Hoffnungen, dass man vielleicht die Agrarmärkte stärker für Argentinien, z.B. mit dem Rindfleisch, öffnet?
Fritz: Das ist das, was die lateinamerikanische Seite schon seit mehreren Jahren mit Nachhaltigkeit fordert und zur Bedingung für diese Verträge macht. Das hängt natürlich von den Diskussionsprozessen innerhalb der EU ab. Die EU sollte sich, auch im Hinblick auf die Osterweiterung, daran machen. Für Länder wie Lateinamerika wäre das von vitaler Bedeutung. Die EU sollte nicht den Fehler machen, Lateinamerika nur als Absatzmarkt zu betrachten. Die Länder müssen eine Chance haben, ihrerseits Waren in der EU abzusetzen, da ansonsten Schuldenkrisen vorprogrammiert sind, weil die Länder keine Möglichkeit haben, Devisen zu erwirtschaften.
Birke: Sie haben es gerade angesprochen: Schuldenkrisen seien wohlmöglich vorprogrammiert, wenn man keine Absatzmärkte schafft. Gerade Argentinien befindet sich momentan in einer akuten Krise. Heute wird der Kurs des Peso freigegeben. Ist denn damit der Kollaps der Banken im Land am Río de la Plata vorprogrammiert?
Fritz: Ja, er ist vorprogrammiert, da die Banken Dollarforderungen gegen argentinische Unternehmen und gegen private argentinische Haushalte halten. Eine der letzten Maßnahmen der letzten Wochen war, diese Dollarforderungen in Pesos umzuwandeln, und zwar bei Schulden von Unternehmen und privaten Unternehmen gegenüber Banken zu einem Kurs von 1:1, während die Banken jetzt für einen Dollar zwei Pesos oder mehr bezahlen werden. Und es gibt noch andere Probleme. Argentinien wartet jetzt sehr dringend auf ein Beistandskredit des Internationalen Währungsfonds (IWF), und dieser wäre sehr dringend nötig, um einen Kollaps des Bankensystems in Argentinien zu verhindern.
Birke: Sie sagen, dass Argentinien dringend einen Beistandskredit des IWF. Dabei geht es ja sicher um sehr hohe Milliardenbeträge. Was kann der Bundeskanzler, wenn er demnächst an den Río de la Plata kommt, tun, um die Not in Argentinien zu lindern?
Fritz: Der Kanzler könnte im Rahmen der G7, die ja die starken Vertreter innerhalb des IWF sind, seine Position dahingehend stärken, indem er betont, dass Argentinien diese Unterstützung relativ schnell braucht, und auch weitergehend betont, dass Argentinien nicht nur einen Beistandskredit, sondern mittelfristig auch eine Entschuldung braucht.
Birke: Wirft man aber hier nicht gutes Geld Schlechtem hinterher? Fließt das nicht alles in ein dunkles schwarzes Loch der Korruption?
Fritz: Die Korruption ist nicht unbedingt das Problem, sondern tatsächlich die mittelfristige Zahlungsfähigkeit des Landes. Das ist das, was der IWF fürchtet. Er hat sehr viel Prügel für seine lange Unterstützung Argentiniens bezogen. Bis November letzten Jahres hat er das Land gestützt, obwohl sehr offensichtlich war, dass die Zahlungsfähigkeit immer schlechter wurde. Jetzt dieses gute Geld dem Schlechtgewordenen hinterher zu werfen, wirft natürlich die gleiche Frage wieder auf. Andererseits wären die Kosten, wenn man Argentinien nicht unterstützen würde, ökonomisch gesehen extrem hoch. Gleichzeitig ist das Land in einer institutionellen politischen Krise, und demokratische Institutionen sind tatsächlich in Gefahr. Wenn Argentinien wirklich eine unabsehbar große Wirtschaftskrise erleiden würde, würde das auch Auswirkungen auf die Nachbarländer haben und letztendlich die demokratische Konsolidierung der Region in Frage stellen.
Birke: Sehen Sie, Frau Fritz, die Möglichkeit eines neues Militärputsches in Argentinien, wenn das Land sich nicht wirtschaftlich stabilisiert?
Fritz: Argentinien ist im Moment nicht so sehr der Gefahr eines Militärputsches ausgesetzt, der theoretisch möglich wäre. Allerdings hat sich das Militär in den letzten Monaten sehr ruhig verhalten, so dass es nicht zu erwarten ist. Was stärker zu erwarten wäre, wäre eine populistische Wende, eine Hinwendung zu einem einzelgängerischen populistischen Führer, wie es z.B. auch in Venezuela seit einigen Jahren stattgefunden hat. Das ist in Lateinamerika eine Gefahr, die durchaus nicht unrealistisch ist.
Birke: Das war Barbara Fritz, Expertin vom Iberoamerikainstitut in Hamburg. Vielen Dank und Auf Wiederhören.
Fritz: Auf Wiederhören
Fritz: Guten Tag.
Birke: Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, Frau Fritz, hat an die lateinamerikanischen Staaten appelliert, sich verstärkt für eine Freihandelszone mit der EU einzusetzen. Ist das denn realistisch, wenn man bedenkt, dass Mexiko quasi der Produktionshinterhof der USA ist?
Fritz: Das ist für Mexiko natürlich relativ schwierig, weil die ökonomische Vernetzung mit den USA sehr stark ist, v.a. seit die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA Mitte der 90-er Jahre etabliert worden ist, aber für den Rest Lateinamerikas ist es gar nicht so unrealistisch. Südliche Länder Lateinamerikas, wie Argentinien und Brasilien und andere haben sehr diversifizierte Handelsbeziehungen: ungefähr einen Drittel ihres Handels wickeln sie mit der EU, ungefähr ein Drittel mit der USA und ein Drittel mit anderen ab. Daher wäre für solche Länder ein solches Handelsabkommen mit der EU und ihren Regionen von großer Bedeutung.
Birke: Ganz wichtig in diesem Zusammenhand ist ja immer das leidige Thema Agrar. Das ist ja schon seit Urzeiten zwischen Lateinamerikanern und der EU ein Stein des Anstoßes. Gibt es denn berechtigte Hoffnungen, dass man vielleicht die Agrarmärkte stärker für Argentinien, z.B. mit dem Rindfleisch, öffnet?
Fritz: Das ist das, was die lateinamerikanische Seite schon seit mehreren Jahren mit Nachhaltigkeit fordert und zur Bedingung für diese Verträge macht. Das hängt natürlich von den Diskussionsprozessen innerhalb der EU ab. Die EU sollte sich, auch im Hinblick auf die Osterweiterung, daran machen. Für Länder wie Lateinamerika wäre das von vitaler Bedeutung. Die EU sollte nicht den Fehler machen, Lateinamerika nur als Absatzmarkt zu betrachten. Die Länder müssen eine Chance haben, ihrerseits Waren in der EU abzusetzen, da ansonsten Schuldenkrisen vorprogrammiert sind, weil die Länder keine Möglichkeit haben, Devisen zu erwirtschaften.
Birke: Sie haben es gerade angesprochen: Schuldenkrisen seien wohlmöglich vorprogrammiert, wenn man keine Absatzmärkte schafft. Gerade Argentinien befindet sich momentan in einer akuten Krise. Heute wird der Kurs des Peso freigegeben. Ist denn damit der Kollaps der Banken im Land am Río de la Plata vorprogrammiert?
Fritz: Ja, er ist vorprogrammiert, da die Banken Dollarforderungen gegen argentinische Unternehmen und gegen private argentinische Haushalte halten. Eine der letzten Maßnahmen der letzten Wochen war, diese Dollarforderungen in Pesos umzuwandeln, und zwar bei Schulden von Unternehmen und privaten Unternehmen gegenüber Banken zu einem Kurs von 1:1, während die Banken jetzt für einen Dollar zwei Pesos oder mehr bezahlen werden. Und es gibt noch andere Probleme. Argentinien wartet jetzt sehr dringend auf ein Beistandskredit des Internationalen Währungsfonds (IWF), und dieser wäre sehr dringend nötig, um einen Kollaps des Bankensystems in Argentinien zu verhindern.
Birke: Sie sagen, dass Argentinien dringend einen Beistandskredit des IWF. Dabei geht es ja sicher um sehr hohe Milliardenbeträge. Was kann der Bundeskanzler, wenn er demnächst an den Río de la Plata kommt, tun, um die Not in Argentinien zu lindern?
Fritz: Der Kanzler könnte im Rahmen der G7, die ja die starken Vertreter innerhalb des IWF sind, seine Position dahingehend stärken, indem er betont, dass Argentinien diese Unterstützung relativ schnell braucht, und auch weitergehend betont, dass Argentinien nicht nur einen Beistandskredit, sondern mittelfristig auch eine Entschuldung braucht.
Birke: Wirft man aber hier nicht gutes Geld Schlechtem hinterher? Fließt das nicht alles in ein dunkles schwarzes Loch der Korruption?
Fritz: Die Korruption ist nicht unbedingt das Problem, sondern tatsächlich die mittelfristige Zahlungsfähigkeit des Landes. Das ist das, was der IWF fürchtet. Er hat sehr viel Prügel für seine lange Unterstützung Argentiniens bezogen. Bis November letzten Jahres hat er das Land gestützt, obwohl sehr offensichtlich war, dass die Zahlungsfähigkeit immer schlechter wurde. Jetzt dieses gute Geld dem Schlechtgewordenen hinterher zu werfen, wirft natürlich die gleiche Frage wieder auf. Andererseits wären die Kosten, wenn man Argentinien nicht unterstützen würde, ökonomisch gesehen extrem hoch. Gleichzeitig ist das Land in einer institutionellen politischen Krise, und demokratische Institutionen sind tatsächlich in Gefahr. Wenn Argentinien wirklich eine unabsehbar große Wirtschaftskrise erleiden würde, würde das auch Auswirkungen auf die Nachbarländer haben und letztendlich die demokratische Konsolidierung der Region in Frage stellen.
Birke: Sehen Sie, Frau Fritz, die Möglichkeit eines neues Militärputsches in Argentinien, wenn das Land sich nicht wirtschaftlich stabilisiert?
Fritz: Argentinien ist im Moment nicht so sehr der Gefahr eines Militärputsches ausgesetzt, der theoretisch möglich wäre. Allerdings hat sich das Militär in den letzten Monaten sehr ruhig verhalten, so dass es nicht zu erwarten ist. Was stärker zu erwarten wäre, wäre eine populistische Wende, eine Hinwendung zu einem einzelgängerischen populistischen Führer, wie es z.B. auch in Venezuela seit einigen Jahren stattgefunden hat. Das ist in Lateinamerika eine Gefahr, die durchaus nicht unrealistisch ist.
Birke: Das war Barbara Fritz, Expertin vom Iberoamerikainstitut in Hamburg. Vielen Dank und Auf Wiederhören.
Fritz: Auf Wiederhören