Engels: Verteidigungsminister Struck sprach gestern davon, er sei mit dem Entwurf noch nicht ganz zufrieden. Können Sie sich denken, was ihn stört?
Beck: Ja, ich glaube, dass er da nochmal mit seinem Justitiariat sprechen muss. Ich denke, dass es da kein ernsthaftes Problem gibt, aber wir werden die Probleme des Verteidigungsministers, wenn sie weiter bestehen, dann natürlich im parlamentarischen Verfahren erörtern. Es geht darum, hier klare Befugnisse zu haben, auch schnelle Entscheidungsstrukturen, damit nicht mit Kompetenzfragen am Ende das Entscheidungsverfahren belastet ist. Da ist in der Situation volle Konzentration auf die Umstände des Einzelfalls erforderlich, um alles zu tun, um Menschenleben zu retten und eine Eskalation von solchen Situationen nach Möglichkeit zu vermeiden.
Engels: Aber es ist ja im Fall der Fälle ein hartes Stück Verantwortung, was Sie da dem Verteidigungsminister auferlegen. Wäre der Bundeskanzler da nicht eher gefragt?
Beck: Nein, im Friedensfall hat der Verteidigungsminister die Befehlsgewalt, das ist Aufgabe seines Amtes und in der Verfassung so vorgesehen. Wir handeln ja auf der Grundlage von Artikel 35 Grundgesetz, wo die Bundeswehr bei schweren Unglücksfällen eingesetzt werden kann, auch in Bereichen der Gefahrenabwehr, die ja klassischerweise Länder- und Polizeiaufgabe sind. In diesen Fällen hat entweder die Bundesregierung als Ganzes und, wenn es eben schnell gehen muss, ersatzweise der Verteidigungsminister die Entscheidungsgewalt.
Engels: Sie sprechen es an, Artikel 35 ist gefragt, wonach die Bundeswehr im Inland nur dann eingesetzt werden darf, wenn es Unglücksfälle und Naturkatastrophen abzuwenden gilt. Die Union sagt, das kann man nicht auf einen möglichen Anschlag ausdehnen, will eine Grundgesetzänderung.
Beck: Nur wer mehr will als das, was wir im Luftsicherheitsgesetz geregelt haben, braucht auch eine Grundgesetzänderung. Wir wollen aber die innenpolitische Architektur, die Klarheit, dass grundsätzlich die Polizeiaufgabe eine Aufgabe der Länder ist und die Bundeswehr im Grundsatz nur für die Verteidigung zuständig ist und keine Aufgabe in der inneren Sicherheit wahrnimmt. Nur wenn diese Grenzlinie verschoben werden soll und wer diese verschieben will, muss für eine Grundgesetzänderung eintreten. Wir wollen eine solche Verschiebung der innenpolitischen Architektur nicht.
Engels: Daneben kommt man ja um das ganz schwerwiegende Problem nicht herum, die Frage, wie bewertet man Menschenleben. Ihre Fraktionskollegin Silke Stokar wurde gestern zitiert, sie habe große Probleme mit dem Entwurf, denn dem Staat werde das Recht eingeräumt, im Notfall auch unbeteiligte Dritte zu töten und sie überlegt, ob man dann als Abwägung nicht eher ein Restrisiko zulassen solle, also kein Gesetz.
Beck: Frau Stokar hat diese Äußerung gemacht, bevor wir die letzte Verhandlungsrunde hatten, und wir konnten die Probleme, die sie da angesprochen hat, weitgehend lösen. Es ist natürlich so, dass der Einsatz von Waffengewalt klar geregelt sein muss, hier haben wir das auch als letztes Mittel unter strenger Wahrung der Verhältnismäßigkeit getan. Es steht jetzt auch nicht in dem Gesetz drin, dass damit automatisch zulässig sei, das Leben von Unschuldigen zu töten. Wer in eine solche Situation kommt, dass er das Leben von Unschuldigen nur retten kann, wenn er das Leben von anderen Unschuldigen opfert, der befindet sich in der Situation eines übergesetzlichen Notstandes, der jetzt auch nicht im Detail in diesem Gesetz geregelt ist. Wir können diese Einzelfälle auch gar nicht regeln. Wir können nicht, wie es im ursprünglichen Entwurf stand, sagen, wenn das eine eine größere Gruppe ist oder eine Vielzahl von Menschenleben ist, die gerettet werden können, ist man automatisch auf der sicheren Seite, wenn man den Abschussbefehl gibt. Da müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden und da lässt sich die Entscheidungssituation, die dann sehr komplex ist und eine sehr hohe Verantwortung den Entscheidern abverlangt, nicht auf bestimmte Detailkriterien reduzieren, sondern da muss alles beachtet werden und dann muss die bessere Möglichkeit ergriffen werden, sie sich in einer solchen schwierigen Situation nach der Prognose abzeichnet.
Engels: Das heißt, das Gesetz kommt, aber das Dilemma bleibt.
Beck: Das Dilemma kann den Entscheidern niemand von der Schulter nehmen, wir können alle nur hoffen, dass wir nicht in eine solche Situation kommen. Deshalb regelt das Luftsicherheitsgesetz auch in erster Linie nicht diese Frage, über die jetzt alle diskutieren, weil wir den 11. September vor Augen haben, sondern sie regelt vor allem viele Fragen der Sicherheit am Boden, der Kontrolle des Personals, das im berech des Luftverkehrs arbeitet, so dass wir hier sehr engmaschig die Personen, die in diesen Bereichen arbeiten, kontrollieren, dass wir nach Möglichkeit verhindern können, dass Menschen Flugzeuge betreten, von denen eine solche Gefahr ausgeht, dass sie das Flugzeug kidnappen und womöglich eben mit Geiseln zusammen als Waffen gegen andere Menschen einsetzen wollen. Das Entscheidende ist wirklich bei unserer Sicherheitsphilosophie, dass wir alles tun, damit solche Situationen vermieden werden. Das müssen wir am Boden verhindern und dazu haben wir die entsprechenden Instrumentarien ergriffen, aber da wir natürlich nie ausschließen können, dass da auch mal ein Fehler gemacht wird, haben wir auch für diesen unwahrscheinlichen Fall jetzt klare Befehlsstrukturen und als letztes Mittel auch den Einsatz von Waffengewalt geregelt. Ich glaube, das Gesetz insgesamt ist sehr stimmig. Es macht den Luftraum sicherer und wir hoffen, dass einiges von den Punkten, die wir da geregelt haben, letztendlich totes Recht bleibt, weil wir in die Situation nicht kommen müssen, davon Gebrauch zu machen.
Engels: Das Luftsicherheitsgesetz wird heute im Kabinett behandelt, wir sprachen mit Volker Beck, dem parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen, vielen Dank für das Gespräch.