Zagatta: Die Agenturen melden nahezu übereinstimmend, dass sich bereits die Landesverbände der Grünen in Sachsen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gegen eine Bundeswehrbeteiligung ausgesprochen haben. Da ist teilweise schon abgestimmt worden. Wie ernst nehmen Sie denn die Sorgen derjenigen, die jetzt schon nein sagen zu einem solchen Bundeswehreinsatz?
Müller: Ich muss das jetzt nicht alles wiederholen. Ich sagte Ihnen ja gerade, dass das falsch ist, dass in zwei von diesen vier Beschlüssen zunächst einmal nur zum Ausdruck kommt, dass man Sorge hat, dass es zu einer Eskalation kommt. Diese Sorge haben viele Menschen in der Bundesrepublik. Es sind zum Teil keine Vorentscheidungen darüber, was dann einen deutschen Einsatz betrifft. Zum Beispiel mache ich die Erfahrung, dass in vielen Kreisverbänden sehr wohl eine Zustimmung dafür vorhanden ist, dass man begrenzte militärische Aktionen gegen Strukturen des Terrorismus einsetzt, begrenzte, zielgerichtete militärische Aktionen. Was die grüne Basis nicht will - da stimme ich im übrigen zu -, das ist sozusagen ein Krieg mit unabsehbaren Folgen für den internationalen Weltfrieden, also Flächenbombardierungen von Afghanistan. Da muss ich Ihnen sagen, da kann ich persönlich auch nicht sehen, dass dies noch im Rahmen des Völkerrechts wäre. Unser Maßstab ist das Völkerrecht. Das ist unsere Basis. Das Völkerrecht gibt den USA ein Recht auf Selbstverteidigung. Das Völkerrecht kennt aber auch Rache und Vergeltung nicht. Dies ist auch das, was in der UN-Resolution zum Ausdruck kommt.
Zagatta: Ihr Parteifreund Daniel Cohn-Bendit liegt also falsch, wenn er sagt, bei einer Abstimmung über einen Militärschlag würde bis zur Hälfte der Grünen-Bundestagsabgeordneten dagegen stimmen?
Müller: Stimmt, ist totaler Blödsinn! Ich weiß auch nicht, wie er dazu kommt, weil weder hat er jemals mit der Bundestagsfraktion diskutiert noch diskutiert er mit der Basis, sondern der doziert so ein bisschen vom Katheter weg. Was ihm so durch den Kopf geht, das ist nicht sehr hilfreich, überflüssig und kontraproduktiv. Der Mazedonien-Einsatz hat noch einmal gezeigt, dass die Bundestagsfraktion steht, wenn es gute Gründe etwa für einen Militäreinsatz gibt. Hier wurde auch von den Kritikern anerkannt, dass es in Mazedonien nicht zu einer Eskalation kommt, dass man einen Un-Sicherheitsratsbeschluss anerkannt hat, dass der Friedensprozess sich stabilisiert und dass man für diese Stabilisierung des Friedensprozesses auch eine Sicherheitskomponente braucht. Die Koalitionsmehrheit stand ganz klar. Diejenigen, die sich letztes Mal noch enthalten haben, haben jetzt zugestimmt und diejenigen, die mit nein gestimmt haben, sich enthalten. Das ist ein sehr gutes Zeichen gewesen. Ich denke ebenso würde es sich verhalten, falls es zu einem Einsatz deutscher Soldaten kommt. Da weiß man überhaupt noch nicht, ob es überhaupt dazu kommen wird. Falls es um die Beteiligung der Bundeswehr an einer Gegenmaßnahme gibt, dann glaube ich wird man sich sehr genau anschauen müssen, was sind die Voraussetzungen, was ist der Zusammenhang.
Zagatta: Gehen Sie denn davon aus, dass Sie dann überhaupt gefragt würden?
Müller: Natürlich gehen wir davon aus, jedenfalls dann, wenn die deutsche Bundeswehr beteiligt sein soll. Dann gilt der Parlamentsvorbehalt und der sagt, dass der deutsche Bundestag vor einem Einsatz gefragt werden muss.
Zagatta: Aber Verteidigungsminister Scharping hat ja schon festgestellt, dass man bei einem Einsatz bei Gefahr im Verzug, wenn also schnell gehandelt werden muss, den Bundestag, also auch die Grünen, noch im Nachhinein informieren könne?
Müller: Diese Äußerung habe ich ja schon zurückgewiesen. Ich halte nichts von solchen Spekulationen, die so tun, als habe Jemand in der Bundesregierung dies vor. Herr Scharping liegt dort völlig fehl. Das hat niemand in der Bundesregierung vor. Er muss auch wissen, dass man Gefahr im Verzuge sehr gründlich nach der Verfassung und dem Urteil des Verfassungsgerichtes sehr gut begründen muss. Wie gesagt, meines Wissens hat das niemand vor in der Bundesregierung, sondern wenn es irgend möglich ist, dann wird der Bundestag vorher gefragt.
Zagatta: Aber was machen Sie denn, wenn es kommt? Wenn die Amerikaner die Bundesregierung informieren, dann bleibt doch nicht mehr viel Zeit, um in der Koalition zu diskutieren.
Müller: Das Wörtchen "wenn" werde ich nicht beantworten, weil ich mich nicht an diesen Spekulationen, die manche Minister betreiben, und an Spekulationen, die die Medien betreiben, mit denen sie die Bevölkerung verunsichern, beteiligen werde. Bisher gibt es weder einen Einsatz der USA - im übrigen haben sich die USA und die NATO-Partner sehr klug, sehr besonnen verhalten -, noch gibt es eine Anfrage Deutschlands, noch ist bekannt, ob es eine Frage an Deutschland geben wird. Also kann ich jetzt nur davor warnen, dass man diese Spekulationen weiter treibt und damit auch die Bevölkerung und die Gesellschaft weiter verunsichert.
Zagatta: Also die Fragen, die Ihre Basis stellt, und die Sorgen, die man sich macht, was man dort heraushört, das ist im Moment übertrieben?
Müller: Ich meine jedenfalls, dass man sich nicht auf die Kriegsrhetorik, die von manchen Medien betrieben wird, einlassen sollte, dass man sich da auch nicht hineinreden sollte, sondern ganz nüchtern sehen muss, dass die Amerikaner, dass die USA sehr klug, sehr besonnen, sehr zurückhaltend bisher reagiert haben, dass ich deshalb keinen Anlas habe, für die Zukunft etwas anderes zu erwarten, und dass bisher immer noch völlig unklar ist, ob falls es zu einer Gegenmaßnahme kommt die Deutschen daran beteiligt sein werden.
Zagatta: Da gibt es ja auch Informationen, wonach die USA der Bundesregierung einen Einsatz von Soldaten ersparen wollen. Dafür sollen sich die Deutschen finanziell kräftig beteiligen. Wäre das ein Kompromiss, dem Sie zustimmen können?
Müller: Auch eine dieser unsäglichen Spekulationen. Da ist nichts dran und deshalb werde ich mich auch an dieser Spekulation nicht beteiligen.
Zagatta: Ihre Partei, die Grünen, ist ja zum Teil aus der Friedensbewegung hervorgegangen. Können Sie zumindest nachvollziehen, wenn Sie sich an diesen Spekulationen jetzt auch nicht beteiligen wollen, dass überzeugte Pazifisten sich in diesen Tagen nicht so ganz mit Ihrer Partei identifizieren können?
Müller: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich finde es auch gut, dass wir bei den Grünen das sehr gründlich diskutieren, mögliche Folgerungen, mögliche Konsequenzen. Noch einmal: Den Kampf gegen den internationalen Terrorismus wird man mit Sicherheit nicht alleine mit militärisch Mitteln führen können. Was es braucht ist ein politisches Gesamtkonzept. Eine neue Sicherheitsdebatte brauchen wir, im Äußeren wie im Inneren, eine nachhaltige Politik, Konfliktprävention, internationale Gerechtigkeit. Das sind im Grunde die Antworten, um auch Konflikte in den Krisenregionen dieser Welt zu entschärfen, zu bekämpfen und dem Terrorismus den sozialen Nährboden zu entziehen. Das wird langfristig viel besser greifen als jetzt ein möglicher kurzfristiger Militäreinsatz. Man wird gezielte Aktionen wahrscheinlich auch brauchen, um Strukturen hier anzugehen, aber das wird nicht das Hauptinstrument sein. Das darf nicht das Hauptinstrument sein, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Davon bin ich fest überzeugt und das ist etwas, was die Grünen sehr breit tragen und was wir auch immer wieder einfordern werden.
Zagatta: Droht Ihnen bei dieser Debatte, wenn es dann auch um innere Sicherheit geht, aber nicht schon der nächste Ärger mit der SPD, oder machen Sie das mit, dass Innenminister Schily das Zuwanderungsgesetz beispielsweise aufspalten will und vorerst nur die Sicherheitsmaßnahmen auf den Weg bringen will?
Müller: Dies ist so vereinbart in der Koalition, dass wir zunächst mal ein zweites Sicherheitspaket auf den Weg bringen - wir sind hier in intensiven Gesprächen mit dem Bundesinnenminister - und dass wir das Zuwanderungsgesetz parallel weiter verhandeln. Die Opposition muss sich jetzt keine Hoffnungen machen. Diese Koalition wird in dieser Legislaturperiode ein Zuwanderungsgesetz auf den Tisch legen und ich bin mal gespannt, ob die Union dazu noch bereit ist. Ich kann keine Konsensbereitschaft erkennen. Im Gegenteil: man geht jetzt hin und behauptet, angesichts der Lage könnte man nicht mehr Zuwanderung gestalten. Das finde ich wirklich abwegig. Wir müssen uns unsere Liberalität, unsere Weltoffenheit erhalten und dürfen jetzt nicht angesichts des Terrors als erstes Freiheitsrechte abbauen. Dann hätten die Terroristen schon gewonnen.
Zagatta: Kerstin Müller, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. - Danke für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio