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Grüne gegen Erhöhung der Mehrwertsteuer

Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel hat SPD und Union vor einer Erhöhung der Mehrwertsteuer gewarnt. In den Bereichen Steinkohlesubventionen, Kerosinsteuer oder bei Steuervorteilen für höher Verdienende ließen sich zweistellige Milliardenbeträge einsparen.

    Doris Simon: Koalitionsverhandlungen im Bund bleiben schwierig, aber über eines sind sich SPD und Union inzwischen einig: Es gibt ein riesiges Loch im Bundeshaushalt, 35 Milliarden Euro sollen bis 2007 eingespart werden. Seither gehen die Vorschläge bunt durcheinander: Mehrwert- und Unternehmenssteuererhöhungen, Subventionsstreichungen, Zuschlag auf die Einkommenssteuer, Einsparungen durch Reformen bei Hartz IV. Heute geht es auch beim Treffen der Spitzen von SPD und Union um die Haushaltssanierung, aber anders als erhofft gibt es anscheinend keine gemeinsame Diskussionsgrundlage. Die Experten der Gruppe Haushaltssanierung haben sich, wie man hört, am Freitag nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen können. Am Telefon ist jetzt die grüne Bundestagsabgeordnete Christine Scheel, die von 1989 bis vor zwei Wochen dem Finanzausschuss des Bundestages vorsaß. Ich grüße Sie.

    Christine Scheel: Guten Morgen Frau Simon.

    Simon: Frau Scheel, ein Loch von 35 Milliarden Euro, gibt es da überhaupt noch Alternativen beim Kürzen und Steuererhöhen? Muss man da nicht alles zugleich machen?

    Scheel: Ja, man muss erst mal an die Strukturen heran und das ist das Schwierigste, weil wir ja gesehen haben, gerade in den letzten Jahren, dass jeder Vorschlag, dass man Subventionen abbaut im Einzelnen, dass man in der Steuerstruktur etwas ändert, immer mit großen Problemen behaftet war, weil auch hier natürlich jede Lobbygruppe auf der Matte steht und sofort die Widerstände gekommen sind und die Union ja auch bekannterweise im Bundesrat einen weitgehenden Subventionsabbau abgelehnt hatte.

    Simon: Sind denn die Entscheidungsträger in SPD und Union Ihrer Meinung nach inzwischen so weit, dass Subventionen wirklich gestrichen werden?

    Scheel: Ich habe den Eindruck, dass wir von einem großen Wurf, der ja angekündigt war, noch sehr, sehr weit entfernt sind und dass derzeit über einzelne Punkte gesprochen wird, dass aber nicht absehbar ist, dass das Ganze ein gutes Bild ergibt. Denn man muss ja auch die wirtschaftspolitischen Implikationen sehen. Man muss auch überlegen: Was wirkt sich wie auf den Arbeitsmarkt aus? Was ist für die Zukunft notwendig? Man darf nicht heran gehen und einfach sagen - was ja Herr Koch und Herr Steinbrück auch angedacht hatten - "Wir gehen mit dem Rasenmäher drüber und dann erhöhen wir noch ein bisschen die Mehrwertsteuer und dann wird alles gut".

    Simon: Wenn Sie schon von Herrn Koch sprechen, er hat gesagt, es darf keine Tabus geben, aber wenn ich Sie richtig verstehe, meinen Sie, es dürfe im Sinne des Wirtschaftsaufschwungs durchaus Tabus geben?

    Scheel: Ich finde schon, dass man intelligent sparen muss und dass der Weg, jetzt pauschal über alle Ausnahmetatbestände hinweg zu gehen, also diese so genannte Rasenmähermethode, ja dazu führt, dass wir Probleme bekommen auch im investiven Bereich. Wir hatten das das letzte Mal, da gab es ja diesen Rasenmäher, mühsam im Haushaltsausschuss wieder ausbalanciert, weil dies in die Investitionen gegangen ist und in die Bildung, in die Forschung gegangen ist, auch in die Infrastruktur für die Schiene und das sind ja Bereiche, wo wir auch sehen, dass die Union und auch die SPD eigentlich investieren wollen. Also das wäre im Prinzip das Gegenteil dessen, was man im Bereich Zukunftsinvestitionen auf der anderen Seite will.

    Simon: Frau Scheel, immer wieder fällt in diesen Tagen das Wort von der Mehrwertsteuererhöhung. Ist die so unvermeidlich, wie es immer öfter behauptet wird?

    Scheel: Ja bei der Mehrwertsteuererhöhung muss man sehen, dass wir in der jetzigen Situation mit einer immer noch leider sehr schlechten Binnennachfrage, bei einer Erhöhung für die Wirtschaftsentwicklung einen großen Schaden anrichten würden und es ist auch richtig, dass der Handel, dass das Handwerk und dass viele kleine mittelständische Unternehmen, die hier ihre Produkte auf den Markt bringen, also nicht im Export ihr Geld verdienen, sondern hier ihr Geld verdienen, dass die große Probleme bekommen würden und deswegen sollte man alles dran tun, an steuerliche Subventionen heranzugehen, auch an andere Finanzhilfen heranzugehen.

    Es wird zum Beispiel derzeit überhaupt nicht über Steinkohlesubventionen gesprochen, es wird auch nicht darüber gesprochen, dass es zum Beispiel im Bereich der Fliegerei Steuerbefreiung für Kerosin nach wie vor gibt, dass es eine Umsatzsteuerfreiheit bei grenzüberschreitenden Flügen gibt, dass es beispielsweise auch bei hochverdienenden Alleinverdiener-Familien immer noch steuerliche Vorteile gibt, die eigentlich nicht mehr zeitgemäß sind und das sind alles Bereiche, die anscheinend von der Union und von der SPD außen vor gelassen werden und das sollte man erst mal angehen, bevor man über Mehrwertsteuererhöhung schwadroniert.

    Simon: Aber diese von Ihnen angesprochenen Bereiche, Steinkohlesubventionen, Kerosinsteuer, Steuervorteile für höher Verdienende, reichen die, wenn man die alle streicht, denn zusammen aus, den schnellen Gewinn durch eine Mehrwertsteuererhöhung wettzumachen?

    Scheel: Es ist natürlich so, dass es einzelne Bereiche sind, die sich addieren und wir haben Steinkohlesubventionen, wenn man die Landeshilfen dazunimmt, in der Größenordnung von 2,7 Milliarden Euro. Wir haben Ausnahmeregelungen im Blick auf die Ökosteuer für Industriebetriebe, vor allem für große Konzerne von 3,5 Milliarden Euro. Wir haben verschieden Bereiche, die sich wirklich, wenn man da einen Strich drunter macht, bis zur zweistelligen Milliardenhöhe aufaddieren und die Mehrwertsteuerdebatte zeigt ja, dass die Länder auch ihr Geld wollen und am Anfang hieß es immer, ja die Mehrwertsteuer soll erhöht werden und dann wollen wir die Lohnnebenkosten senken. Da ist überhaupt keine Rede mehr davon, sondern es geht nur noch um den Haushalt und um Einsparungen, die dann auch in Steuererhöhungen letztendlich kombiniert werden sollen, aber ökonomisch unsinnig sind, wenn man es so tut.

    Simon: Also Sie sehen durchaus die Gefahr, dass da auch ein ganz zaghafter Aufschwung tot gespart werden könnte?

    Scheel: Ich sehe diese Gefahr, die wird auch von allen Wirtschaftsinstituten geteilt, die wird auch von Wirtschaftverbänden geteilt. Das ist kein Lobbyismus, sondern das ist eine ganz realistische Einschätzung unserer wirtschaftspolitischen Situation und da muss man schon auch sehen, was man anrichtet, wenn man bestimmte Entscheidungen trifft. Und derzeit erleben wir eine Aneinanderreihung von einzelnen Kompromisslinien, die noch sehr unklar sind, die sich heute im Laufe des Tages vielleicht klären werden, aber es ist keine politisch vernünftige Linie erkennbar und es ist auch deswegen wichtig, dass es vom Gesamtbild her stimmen muss, dass das Vertrauen der Menschen in die politischen Entscheidungen und auch in die Fragen, die ja aufgebaut werden, was tun für die Zukunft, dass hier Antworten gegeben werden. Derzeit wird nur über Sparen geredet und ich finde auch Heulen und Zähnklappern kann nicht das Ziel sein, sondern gefragt sind tragfähige Perspektiven und glaubwürdige Zuversicht.

    Simon: Sie waren sieben Jahre lang Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundestages. Dieses Milliardenloch gibt es ja nicht erst seit der Bundestagswahl. Warum hatte es so massive Sanierungsanstrengen nicht zur Zeit der rot-grünen Regierung gegeben?

    Scheel: Das war ja sowieso wieder sehr interessant, nachdem jetzt die Summe von 35 Milliarden festgestellt wurde, gemeinsam, dass beide große Fraktionen so getan haben, als hätte man das nicht gewusst. Die Union ist von einer größeren Lücke ausgegangen, die SPD hat es gewusst und jetzt ist man dabei, mühsam das aufzuholen, was im Blick auf Ihre Frage jetzt auch in den letzten Jahren nicht passiert ist. Wir haben in den letzten Jahren Steuersätze gesenkt, wir haben aber nicht ausreichend Steuervergünstigungen abgebaut. Wir haben heute noch Möglichkeiten, dass viele ihre Steuerschuld relativ minimieren können, indem sie bestimmte Steuersparmodelle nutzen. Wir haben immer noch die Situation, dass Schiffe in Korea mitfinanziert werden, steuersparend, dass Hollywoodfilme mitfinanziert werden und all diese Dinge.

    Simon: Klopfen Sie sich da auch an die eigenen Brust? Sie waren ja durchaus Mitglied in dieser Koalition.

    Scheel: Ich muss sagen, ich habe da ein ganz reines Gewissen und zwar deswegen, weil ja Rot-Grün einen Subventionsabbau beschlossen hatte, und zwar im deutschen Bundestag. Gescheitert sind wir dann im Bundesrat, weil die Länder, die unionsregierten und auch teilweise mit der FDP regierten Länder diesen weitreichenden Subventionsabbau abgelehnt hätten.

    Ich sage mal ein Beispiel: Wir haben vor drei Jahren vorgeschlagen, die Eigenheimzulage abzuschaffen. Das wurde abgelehnt, sie wurde leicht abgebaut, aber sie wurde nicht abgeschafft. Hätte man vor drei Jahren der Auffassung von Rot-Grün Folge geleistet, hätte wir heute etwa drei Milliarden weniger Steuerausfälle, die durch die Eigenheimzulage in etwa reinkommen würde, wenn sie weg wäre. Und jetzt fängt man mühsam an, jetzt ist klar, die Eigenheimzulage fällt, das bringt im ersten Jahr 200 Millionen Euro, baut sich dann aber relativ gut auf und im dritten Jahr käme man dann eben auf zwei bis drei Milliarden und die könnten wir praktisch in diesem Jahr schon haben und hätten auch für den nächsten Haushalt auch mehr Spielraum, allein durch diese eine Maßnahme. Das ist nur ein Beispiel, von ganz vielen, die in den letzten Jahren die Union nicht mit unterstützt hat und deswegen müssen sie im Prinzip jetzt das mit auslöffeln, gemeinsam mit der SPD, die ja die Vorschläge gemacht hat. Die Union muss jetzt das tun, was sie in den letzten Jahren Rot-Grün verweigert hat.

    Simon: Aber Sie gehen auch davon aus, dass es diesmal nicht die Blockade wie noch zu Ihren Zeiten geben wird?

    Scheel: Ich gehe davon aus, dass es das nicht gibt, zumindest nicht in allen Punkten. Im Einzelnen haben die Länder natürlich auch immer ihre Interessen und werden die auch artikulieren, aber die Länderhaushalte sind ja auch am Ende. Wir haben elf Bundesländer mit verfassungswidrigen Haushalten, übrigens auch Hessen. Herr Koch hat nur eigenes Interesse, auch hier beizutragen, dass die Haushaltskonsolidierung voran geht, auch Herr Stoiber will ja 2006 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Andere Ministerpräsidenten haben ähnliche Probleme mit ihrem Haushalt. Hier wird es mehr Vernunft diesmal im Bundesrat geben und es wird hier zu mehr Zustimmung für den Abbau von Subventionen kommen.

    Simon: Die grüne Bundestagsabgeordnete Christine Scheel. Vielen Dank für das Gespräch.

    Scheel: Bitte schön.