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Grüne haben Vorbehalte gegen Senkung der Unternehmenssteuer

Burkhard Birke: Wie verlässlich spiegelt die Arbeitsmarktstatistik die tatsächliche Unterbeschäftigung in Deutschland wider? Nicht erst seit Einführung von Hartz IV bewegt diese Frage die Gemüter. Heute beschäftigte sie die Bundestagsabgeordneten auf Initiative der Union. Tatsache ist natürlich, dass auch ohne statistische Veränderungen die Arbeitslosenzahlen mit über fünf Millionen einfach zu hoch ist und vor allem, dass sie bei der Regierungskoalition negativ zu Buche schlägt - das Wahlergebnis von Schleswig-Holstein lässt grüßen. Um ein richtiges Debakel in Nordrhein-Westfalen zu verhindern, will Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement Akzente setzen bei den Unternehmenssteuern. Am Telefon ist Werner Schulz, er ist der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Schulz, mit Blick auf die fatale Situation auf dem Arbeitsmarkt, 5,2 Millionen Arbeitslose wahrscheinlich, für wie reformbedürftig halten Sie da die Besteuerung der Unternehmen hierzulande?

Moderation: Burkhard Birke |
    Werner Schulz: Das ist ein Problem, über das schon lange gesprochen wird, inwieweit die Steuerreform oder die Senkung der Steuersätze Einfluss darauf haben kann, dass die Beschäftigung steigen kann. Man muss sehen, wir haben ja doch eine relativ große Steuerentlastung durchgeführt, in drei Stufen, eine große Steuerreform, und dennoch sind die Effekte nicht in dem Maße eingetreten, wie man das erhofft hat. Also ich glaube, dieses Instrument wird mit Hoffnungen überfrachtet. Ich meine, es ist sicher sinnvoll, darüber zu reden und vielleicht auch einen Weg anzubahnen, wie man reinvestierte Gewinne, vor allen Dingen solche, die Arbeitsplätze schaffen, die die Arbeitsintensität erhöhen, wie man die steuerlich bevorteilen kann oder wie man die steuerlich jedenfalls unterstützen kann. Aber ich halte das nicht für die Lösung des Problems.

    Birke: Herr Schulz, brauchen wir eine solche Regelung zu dem Problem, das Sie gerade angesprochen haben, noch vor der Wahl?

    Schulz: Wir bräuchten sie jederzeit. Das Problem zeigt ja, es ist akut, es wächst, schwillt an. Wir haben eben nicht mehr die Situation, dass nach einer Rezession eine Konjunktur kommt und die Arbeitslosigkeit wieder abnimmt, sondern wir haben eine permanente Sockelarbeitslosigkeit, die eher anwächst. Und ich glaube, was hilfreich wäre, ist die große Aktion, die die Bundesregierung '98/'99 sich auf die Fahne geschrieben hat, das Bündnis für Arbeit. Ich bin davon überzeugt, dass man nur mit einer solchen konzertierten Aktion, also Politik einerseits - natürlich mit Vorleistung nicht nur als moderierender Partner am Runden Tisch - und Gewerkschaften und Arbeitgeber zu einer Beschäftigungsinitiative im Land kommt, um die Stimmung zu verbessern, um deutlich zu machen, es gibt Möglichkeiten, es gibt Reserven, um Menschen in Arbeit zu bringen, und das setzt natürlich all das dann in Gang, woran wir momentan laborieren, also die schwache Binnenkonjunktur, die geringe Kaufkraft, die geringe Nachfrage und darum auch die wenigen Aufträge, die...

    Birke: Herr Schulz, also doch wieder staatliche Beschäftigungsprogramme?

    Schulz: Nein, kein staatliches Beschäftigungsprogramm. Wenn Sie so wollen, will man diesen Ausweg ja mit den so genannten - ich finde den Begriff nicht gut - Ein-Euro-Jobs ja tun, dass man zusätzliche Beschäftigung anbietet. Das ist aber ein begrenztes Feld. Dort muss man sehr vorsichtig sein, dass man nicht konkurrierend zur gewerblichen Wirtschaft solche Arbeitsplätze vergibt. Nein, ich meine, die Arbeitgeber sind tatsächlich gefordert. Wer will, dass sich das Klima verbessert, der muss diese Formel umdrehen, dass wir Wachstum brauchen, um Beschäftigung zu bekommen. Ich glaube, richtig ist es, wenn man das vom Kopf auf die Füße stellt. Wir brauchen Beschäftigung, um zu Wachstum zu kommen. Und Beschäftigung bekommen wir nur, indem es eine Einstellungsoffensive gibt. Ich glaube, in vielen Betrieben ist da und dort noch ein Arbeitsplatz möglich. So wie wir das beispielsweise bei der Lehrstellenoffensive ja, bei dem Ausbildungspakt erlebt haben, wo man sich ja die ein oder andere Stelle herausgequetscht hat.

    Birke: Herr Schulz, das erinnert mich so ein bisschen an die Geschichte mit dem Ei und der Henne, was zuerst war, denn die Unternehmer fordern ja andererseits gerade, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssten, sprich die Steuern runter müssten, damit sie investieren und in Beschäftigung investieren. Zahlen die Unternehmen hierzulande zu viel Steuern oder sind nur die nominalen Sätze zu hoch?

    Schulz: Also, ich glaube nicht, dass das die Geschichte vom Ei und der Henne ist. Und, was die Rahmenbedingungen anbelangt, das ist eins dieser wirklichen Plastikwörter, das können Sie in alle Richtungen dehnen - was heißt das denn im Endeffekt? Es ist ja in dieser Hinsicht einiges gemacht worden, es ist ja der Arbeitsmarkt flexibilisiert worden, es sind die Steuern gesenkt worden, es sind verschiedene Regelungen beim Bürokratieabbau getroffen worden, um die Betriebe zu entlasten, also ist doch schon einiges passiert. Nein, ich glaube, dass wir das Prinzip "Fördern und Fordern" auch auf die Arbeitgeber anwenden müssen und nicht nur auf die Arbeitnehmer. Und hier wird sehr viel gefördert, also ich meine, es fließen Subventionen, es fließen Fördermittel in Größenordnungen und ...

    Birke: Ist das nicht gerade, Herr Schulz, Entschuldigung, dass ich da dazwischen gehe, ist das nicht gerade das Problem, dass vielleicht die Unternehmen über Subventionen, über Steuersubventionen zu viel gefördert werden, denn es heißt ja, dass der durchschnittliche Satz, den die Unternehmer trotz hoher nomineller Steuersätze tatsächlich zahlen, ist etwa bei zehn bis 14 Prozent Steuern nur?

    Schulz: Ja, sicher. Ich glaube auch nicht, dass die Steuern das Problem sind in Deutschland. Man kann das ja im Vergleich sehen, wir liegen da im mittleren Bereich in Europa. Das Problem sind die hohen Sozialabgaben, also die Lohnzusatzkosten, die Lohnnebenkosten. Hier wäre sicherlich auch ein entsprechender Befreiungsschlag gefragt, aber das trifft uns alle, weil das lässt sich natürlich dann wiederum nur durch Steuern finanzieren und umschichten. Wir müssten beispielsweise die versicherungsfremden Kosten der deutschen Einheit mal rausbekommen, das sind etwa noch drei bis vier Prozent der Lohnnebenkosten. Das wäre, glaube ich, eine deutliche Entlastung. Ob es zu mehr Einstellungen führt, ich bin da vorsichtig, weil sich diese Formel nicht umdrehen lässt. Wir wissen, dass der Anstieg der Lohnnebenkosten um jedes Prozent etwa 100.000 Arbeitsplätze gekostet hat. Wir wissen nicht, wenn wir das zurückdrehen, ob das wirklich reversibel ist das Ganze. Das heißt, ob wir bei der Senkung von einem Prozent Lohnnebenkosten tatsächlich wieder 100.000 Arbeitsplätze zurückgewinnen.

    Birke: Herr Schulz, abschließend doch noch mal die Frage: Wie schnell sollte man jetzt handeln, auch vielleicht mit Blick auf eine Bereinigung der Steuerpolitik, der Steuerabschreibungsmöglichkeiten?

    Schulz: Gut, ich glaube, es ist ein ganzer Katalog gefordert. Das sind, wie gesagt, nicht nur die Steuern und nicht nur an erster Stelle die Steuern. Ich glaube, was wir in unserem Land brauchen, ist ein Mentalitätswandel, eine Einstellung zu Arbeit. Arbeitgeber müssen wirklich wieder Arbeitgeber werden, dass sie Arbeit zur Verfügung stellen, dann wird sich das Klima verändern, denn Leute, die etwas verdienen, die eine Perspektive vor Augen haben, die fassen auch wieder Hoffnung, die werden auch wieder als Konsumenten auf dem Markt auftreten und der gesamte Markt wird sich beleben. Ich würde mich nicht verweigern, wenn man dort die ganze Sache auch steuerrechtlich flankieren kann. Aber ich warne davor, das wieder als das einzige Patentrezept hervorzukehren.

    Birke: Also, kein Aktionismus jetzt vor irgendwelchen Wahlen?

    Schulz: Also wenn, dann ein Bündnis für Arbeit.