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Grüne-Partei in der Türkei
Von Baerbock inspiriert, von Erdogan blockiert

Ende September 2020 hat sich in der Türkei eine grüne Partei gegründet. Bis zu 15 Prozent Stimmenanteil erhofft sie sich. Doch bis heute kann Yesiller Partisi nicht auf Stimmenfang gehen: Die Regierung verzögert die Zulassung.

Von Susanne Güsten | 30.08.2021
Das türkische Marmarameer ist von einer durch Algen ausgelösten Schleimplage befallen.
Waldbrände, Unwetter, Algenschleim im Marmarameer - höchste Zeit für Klimaschutz und Umweltpolitik, meint Koray Dogan Urbarli, Ko-Vorsitzender der türkischen Grünen (dpa / Hüseyin Aldemir)
"Unser Haus brennt" – das Parteiprogramm der türkischen Grünen beginnt mit einem Zitat der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg. Vor knapp einem Jahr wurde das Programm beschlossen, bei Gründung der türkischen Grünen-Partei am 21. September 2020. Die Warnung bewahrheitete sich bald: Waldbrände zerstörten in der Türkei in diesem Sommer hunderttausende Hektar Wald, mancherorts brennt es noch immer. Höchste Zeit für Klimaschutz und Umweltpolitik, meint Koray Dogan Urbarli, Ko-Vorsitzender der türkischen Grünen:
"Wir stecken mitten in der Klimakrise, und die Türkei hat noch nicht einmal das Pariser Klima-Abkommen ratifiziert, als eines von nur sechs Ländern auf der Welt. Wir erleben die Auswirkungen des Klimawandels in der Türkei hautnah – mit Überschwemmungen, mit Wassermangel, mit Waldbränden. Deshalb braucht die Türkei eine Partei, die diese Umweltzerstörung stoppt und das Thema auf die politische Tagesordnung bringt."

Klimawandel und Umweltverschmutzung

Aktuell leidet die Türkei nicht nur unter den Waldbränden im Südwesten. Bei katastrophalen Überschwemmungen im Norden des Landes starben in diesem Sommer mehr als 80 Menschen. Auf dem Marmara-Meer vor Istanbul breitete sich ein Algenschleim aus, der das Leben im Meer zu ersticken droht – eine Folge industrieller Abwässer und erhöhter Wassertemperaturen wegen des Klimawandels. Doch die türkische Regierung wolle die Wirtschaftskrise des Landes überwinden, indem sie die Umwelt weiter zerstöre, kritisiert Urbarli:
"Nehmen wir mal den Kanal Istanbul, das ist ein komplettes Umweltzerstörungsprojekt, ein Betonprojekt, ein Profitprojekt. Istanbul hat so schwere Umweltprobleme: Die Stadt ist nicht für das kommende Erdbeben gewappnet, sie leidet unter Wassermangel, der Verkehr ist furchtbar, die Stadt ist viel zu groß. Und was geschieht? Die Regierung versucht weiterhin, die Probleme mit Beton zu lösen. Diese Regierung hat keine andere Antwort auf die Probleme als Beton und noch mehr Beton."
Die Grünen hätten andere Ideen, die sie den türkischen Wählern anbieten wollen, doch da gibt es ein Problem: Die Gründungsdokumente der Partei werden seit fast einem Jahr vom Innenministerium festgehalten, das eigentlich nur die Echtheit der Unterlagen zu prüfen hätte – normalerweise dauert das zwei bis drei Wochen. Ein verfassungswidriger Winkelzug der Regierung sei das, sagt Urbarli:
"Um eine Partei zu gründen, braucht man nach der Verfassung keine Erlaubnis. Es gibt lediglich eine Kontrolle der Unterlagen, und wie lange die dauert, ist im Gesetz nicht festgelegt. Damit hält uns das Innenministerium jetzt hin, und deshalb können wir die Partei nicht gründen."

Grünes Stimmenpotential

Warum die Unterlagen nicht abstempelt werden, wollte das Innenministerium auch auf eine parlamentarische Anfrage der Opposition nicht erklären. Die Grünen haben vor Gericht gegen die Verzögerungstaktik geklagt, doch das Verfahren könnte sich hinziehen – denn übernächstes Jahr sind Wahlen in der Türkei, für die Regierung von Staatspräsident Erdogan sieht es aktuell in den Umfragen schlecht aus, und die Grünen hätten nach eigener Einschätzung ein Stimmenpotenzial von 15 Prozent. Auf Dauer werde die Regierung eine grüne Politik für die Türkei aber nicht aufhalten können, meint Emine Özkan, die andere Ko-Vorsitzende der Partei, mit Verweis auf das Vorbild der deutschen Grünen:
"Die deutschen Grünen stehen vor einem der größten Erfolge ihrer Geschichte, mit Annalena Baerbock als starker Kanzlerkandidatin und mit guten Aussichten, an der nächsten Regierung beteiligt zu sein. Das inspiriert uns Grüne in der Türkei und verleiht uns Energie. Mit dieser Inspiration vor Augen wollen wir dafür kämpfen, die Türkei zu verbessern, gute Oppositionsarbeit zu leisten und langfristig auch selbst an die Regierung zu kommen – das ist unser Traum."

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