Archiv


Grüne prüfen eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan

Zagatta: Lange hat sich die Bundesregierung gesträubt. Ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Hauptstadt Kabul komme nicht in Frage, das sei viel zu gefährlich. Doch das ist Vergangenheit, die Bundeswehr wird ihren Einsatz ausweiten, wenn nicht alles täuscht. Und selbst ein Bundeswehreinsatz im Irak wird jetzt nicht mehr ausgeschlossen. Am Telefon begrüße ich Angelika Beer, die Grünenchefin. Frau Beer, Verteidigungsminister Struck macht ja keinen Hehl mehr daraus, dass der Bundeswehreinsatz in Afghanistan ausgeweitet werden soll. Und aus der SPD Fraktionsführung heißt es jetzt, diese Ausweitung sei schon sicher und werde von der Bundesregierung noch in diesem Monat beschlossen. Ist das auch für Sie schon so gut wie beschlossene Sache?

    Beer: Nein, natürlich nicht. Wir werden die Berichte, die uns vorgelegt werden, sehr sorgfältig und sehr kritisch prüfen. Weil, das will ich hier ganz klar unterstreichen, es geht nicht darum, dass Soldaten irgendwie zum Ausgleich von irgendwelchen politischen Differenzen in unsichere, nicht gesicherte oder nicht mandatierte Regionen geschickt werden, so wie das von der Opposition vorgeworfen wird. Das ist absoluter Quatsch. Wir sind in Afghanistan in einer schwierigen Situation. Der Friedensprozess ist ins Stocken gekommen, die terroristischen Aktionen nehmen wieder zu, und deswegen wird eine weitere Entsendung von Soldaten außerhalb Kabuls von uns sehr kritisch geprüft werden. Wir wissen, dass über 80 Hilfsorganisationen genau dies gefordert haben, aber für uns ist maßgeblich, und das ist immer die grüne Linie, dass ein Einsatz dort, wo auch immer, gedeckt wäre vom jetzigen ISAF-Mandat. Wir wollen keine Vermischung mit dem Kampfeinsatz enduring freedom. Die Frage ist: Wie ist die Sicherheit der Soldaten in der Region und welches Konzept steht hinter diesem Aufbauteam, das letztlich ja akzeptiert werden muss von den Stammesfürsten vor Ort?

    Zagatta: Aber so, wie sich Bundesverteidigungsminister Struck jetzt schon festgelegt hat, so klar, wie das aus der SPD Führung klingt, dass dieser Einsatz ausgeweitet wird. Können Sie sich da überhaupt noch vorstellen, dass die Bundesregierung jetzt noch nein sagt, sagt, das machen wir nicht?

    Beer: Ich habe jetzt die SPD Fraktion nicht zu kommentieren. Verteidigungsminister Struck hat angedeutet, dass, wenn es zu einem Einsatz kommt, ein erneutes Erkundungsteam dort untersuchen sollte, ob ein solcher Einsatz geleistet werden kann. Das spricht für eine gründliche und sorgsame Überprüfung, die wir erwarten und deswegen gibt es dort auch keinen Konflikt, im Moment.

    Zagatta: In Berlin heißt es ja, die Ausweitung dieses Bundeswehreinsatzes sei mit Außenminister Fischer schon abgesprochen. Davon weiß die grüne Parteiführung nichts?

    Beer: Darum geht es gar nicht. Es gibt natürlich das Anliegen der Amerikaner, deutsche Unterstützung außerhalb von Kabul zu bekommen. Ich habe eben gerade unterstrichen, wir unterstützen Hilfsorganisationen und den zivilen Aufbau. Eben diese haben die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes auch gefordert. Das reicht aber nicht aus. Es müssen Kriterien eingehalten werden, die völkerrechtliche Legitimierung im Rahmen von ISAF. Und die Soldaten müssen im Notfall, wenn sie den in Not sind, evakuiert werden können. Also, auch dort ist ein Schutzinteresse und das werden wir als Partei überprüfen. Ich erinnere nur noch mal daran, und das ist kein grünes Problem oder auch nicht der Regierung oder der Koalition, es hat eine sehr differenzierte Debatte gegeben im deutschen Bundestag vor ISAF und vor der Entsendung der deutschen Soldaten. Diese ist auch weiterhin notwendig, um sicherzustellen, dass Einsätze politisch vom Parlament getragen werden können.

    Zagatta: Und von einer Absprache, die es da geben soll, mit Außenminister Fischer, wissen Sie nichts?

    Beer: Es wird viel spekuliert. Es gibt Gespräche, die haben auch wir geführt. Aber, wie gesagt, und da gibt es keine Differenz, es geht um die Überprüfung eines möglichen weiteren Einsatzes als bisher. Und die Grundlagen, die muss die Regierung, beziehungsweise Verteidigungsminister Struck, der im Moment vor Ort ist, dem Parlament, aber natürlich auch den Parteien offenbaren, um dann zu entscheiden, ob der erweiterte Einsatz in Ordnung ist oder nicht. Wir müssen, und das will ich auch unterstreichen, Afghanistan weiter stabilisieren. Ich glaube aber, dass der Gedanke einer internationalen Konferenz sinnvoll ist, denn wir müssen erreichen, den Druck auf die unterschiedlichen Stammesführer in Kabul und vor allem im Land zu erhöhen. Sie müssen klar sagen, dass sie die Unterstützung hin zu einem Friedensprozess wollen. Oder Destabilisierung und Terrorismus in Kauf nehmen wollen. Das ist die Entscheidung. Insofern halte ich eine internationale Konferenz vor der Entscheidung, oder parallel dazu für den richtigen Weg.

    Zagatta: Frau Beer, steht denn Deutschland bei dieser Entscheidung auch unter dem Druck der USA? Oder wie werten Sie, dass US Präsident Bush, nach all den Verstimmungen der letzten Monate, ausgerechnet jetzt das deutsche Afghanistan Engagement so ausdrücklich gelobt hat?

    Beer: Ich freue mich über dieses Lob. Ich halte es auch übrigens für überfällig, weil die internationale Staatengemeinschaft den deutschen Einsatz im Rahmen von ISAF sehr wohl honoriert hat, anerkannt hat. Auch unsere Bemühungen im Bereich des zivilen Aufbaus, wir sind Leadnation in der Frage des Polizeiaufbaus. Aber, ich will das noch mal unterstreichen, ein Lob hat nicht den Gegenwert, dass man deswegen gleich mehr Soldaten schickt, egal ob nach Afghanistan oder in den Irak. Unsere Soldaten haben Anerkennung gefunden, jetzt auch von den Amerikanern, das ist o.k.. Der weitere Prozess wird verantwortlich vom Parlament entschieden und von der Regierung.

    Zagatta: Sie haben den Irak jetzt gerade genannt. Bis vor kurzem, da war ja ein Bundeswehreinsatz im Irak, auch im Rahmen der NATO, für Bundeskanzler Schröder undenkbar. Nun hat der Verteidigungsminister am Wochenende genau das ins Spiel gebracht. Könnten Sie sich denn, unter gewissen Umständen, die Bundeswehr auch im Irak vorstellen, oder schließen Sie das ganz aus?

    Beer: Die Voraussetzungen dafür sind von Bündnis 90/Die Grünen klar benannt worden, dabei bleibt es auch, wenn, dann müssen die Vereinten Nationen die Federführung bekommen. Die Amerikaner und die Briten sind mit ihrem Einsatz gescheitert. Gerade jetzt in den vergangenen Wochen nach der offiziell verkündeten Friedensverhandlungen, sind immer mehr Kämpfe entstanden. Das Land ist destabilisiert. Eine Kriegsmacht kann nicht auch Friedensmacht sein. Wenn die Amerikaner diesen Prozess vollziehen und die Vereinten Nationen mandatieren, dann wird sicherlich auch Deutschland zu entscheiden haben, in welchem Rahmen, ob jetzt zivil, polizeilich oder auch militärisch, wir dort unterstützen können. Es ist ein notwendiger Prozess, weil sonst eine langfristige Destabilisierung des Iraks auch zu weiteren Unruhen in der Region führen könnte.

    Zagatta: Aber selbst wenn die UNO diese Voraussetzungen schafft, Frau Beer, wäre denn die Bundeswehr dazu überhaupt in der Lage, sich in Afghanistan, wie bisher, und im Irak gleichzeitig zu engagieren?

    Beer: Das muss überprüft werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Bundeswehr im Auslandseinsatz an der Kante angereicht. Deswegen unterstreiche ich nochmals, es ist falsch, immer nur von militärischer Beteiligung zu reden. Diese Länder, über die wir gerade gesprochen haben, brauchen eine Vielfalt an ziviler und auch polizeilicher, also nicht militärischer Unterstützung. Wir werden, wenn es soweit ist, und im Moment ist es noch Theorie, überprüfen, wo Kapazitäten frei sind und dann sicherlich auch in verantwortlicher Weise uns beteiligen.

    Zagatta: Wie schätzen Sie denn die Gemengelage in Ihrer eigenen Partei, in Ihrer Bundestagsfraktion ein. Da gibt es ja schon kritische Stimmen, zum Irak ohnehin, aber auch was die Ausweitung des Afghanistaneinsatzes angeht. Glauben Sie, dass da erheblicher Widerstand sich zeigen wird in den Reihen der Grünen?

    Beer: Kritik und das heißt, das Für und Wider abwiegen, ist eine absolute Notwendigkeit, wenn man politisch verantwortlich reagieren will. Wir haben das immer gemacht, bei allen Auslandseinsätzen davor. Das sind gesellschaftliche Kerndebatten, die geführt werden müssen. Die Soldaten sind nicht irgendwelche Schachspieler, die man auf dem Feld hin und her rückt. Das heißt, und das ist der Konsens auch bei den Grünen, wir sehen, dass eine stärkere Reform der Bundeswehr notwendig ist, eine Qualifizierung, eine gute Ausstattung, um solche Einsätze sicher auch durchführen zu können. Das ist der Dissenspunkt mit der SPD: wir wollen dieses Personal weiter reduzieren und qualifizieren, und deswegen die Wehrpflicht abschaffen. Aber das ist ein Thema, wo die Grünen seit Jahren eine ganz klare Position haben. Was die Einsätze selber betrifft, eine offenen Diskussion ist notwendig über diese Einsätze. Es gibt keinen Einsatz, der ungefährlich ist und jeder, der dann im Parlament die Hand zur Zustimmung hebt, muss wissen, dass er selber auch dieses Signal und diesen Auftrag erteilt hat.

    Zagatta: Wenn diese Diskussion jetzt noch notwendig ist, können Sie sich vorstellen, dass da die Bundesregierung schon in diesem Monat die Ausweitung des Afghanistaneinsatzes beschließt, ist das möglich?

    Beer: Ich habe die Rahmenbedingungen gerade genannt. Es muss völkerrechtlich gedeckt sein. ISAF bezieht sich sehr eng auf Kabul und die engere Region. In welchem Zeitraum Entscheidungen fallen, wird nicht nur von Deutschland abhängen und wir werden darauf achten, dass die Entscheidungskriterien auch Berücksichtigung finden.

    Zagatta: Angelika Beer, die Chefin der Bündnisgrünen. Ich bedanke mich für das Gespräch.